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Seite:Die Gartenlaube (1870) 084.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


noch kein Unrecht war, in die Ehe herübergebrachte Leidenschaft so weit erkaltete, daß sie dem Gedanken an einen Andern Raum geben konnte, so wurde das Verhältniß, das durch jahrelanges Bestehen und tausend Schwüre ein unzerreißbares für sie geworden, einfach eine Gemeinheit. Instinctiv schauderte sie vor dieser kaum in die Form eines Gedankens gekleideten Ahnung zurück.

Nochmals überlas sie die Stelle; nein, sie konnte, sie durfte schwören; es war ein neckender Dämon der Nacht, der sie auch nur einen Augenblick daran zweifeln machte, und sie fügte im Gefühle des flüchtigen Unrechts, das sie an dem Geliebten begangen, eine Fluth erneuter Liebesbetheuerungen als Nachschrift hinzu. Aber sie schloß auch diese rasch ab; sie fand etwas Absichtliches, Gezwungenes darin; was brauchte sie eine Liebe erst zu betheuern, in der ja ihr ganzes Leben aufging? Sie hatte den Brief noch lange vor sich liegen und starrte sinnend darauf nieder. Ihr Haupt ruhte auf ihrer Hand und mechanisch entwirrte sie mit der andern die lockige Fülle ihres Haares. Endlich fiel blendend ein Strahl der Morgensonne durch die grauen Wolken auf das Papier; sie faltete es rasch zusammen; es war ihr unerträglich, diese Zeilen von dem Lichte der Sonne beschienen zu sehen. Sie siegelte und überschrieb den Brief: „Dem Grafen Egon von und zu Schorn, Ehrenritter des St. Johannisordens etc. etc. etc.“ Dann löschte sie das Licht, schloß den Brief ein und begann sich zu entkleiden, um sich noch ein paar Stunden auf ihr Bett zu legen. Sie trat dabei zufällig vor den Spiegel, und wie oft sie auch das schöne Bild, das ihr daraus entgegenschaute, schon gesehen, heute in ihrer Aufregung berührte es sie doppelt lebhaft.

Wie ein Strom geschmolzenen Goldes flossen ihre langen rothen Locken über ihre schneeigen Schultern nieder und blieben wie in eine schöne Form gegossen auf ihrer gewölbten Brust liegen. Sie hätte nie in ihrem Leben gelernt haben müssen, was die Schönheit eines Weibes ausmacht, um nicht von ihrem eigenen Anblicke entzückt zu sein. Und sie zog die ganze Fülle ihres Haares vom Hinterhaupte vor und wog seine Schwere in der Hand. Wie viele Millionen dieser weichen Fäden, kaum stärker als eine Faser ungesponnener Seide, gehörten dazu, um ein solches Gewicht zusammenzubringen? Um den Besitz dieser Haare würde eine Italienerin oder Französin jedes erdenkbare Opfer bringen, und was waren sie erst werth, da sie auf einem solchen Haupte wuchsen! Und diese großen und doch von den langen dichten Goldwimpern geheimnißvoll verschleierten Augen mit den üppigen leichtgeschwungenen Brauen, die in ihrer Fülle fast dunkel erschienen! Und die feine römische Linie des Profils! Sie drehte sich so weit seitwärts, als möglich war, um sich noch im Spiegel zu sehen; es genügte nicht, und sie nahm einen Handspiegel zu Hülfe, um sich damit im Profil zu betrachten. Warum sollte sie nicht, ganz allein, ganz unbelauscht, die eigene Schönheit bewundern, wie man wohl manchmal einen kostbaren Schmuck betrachtet, den zu tragen die Gelegenheit fehlt, und ihn dann wieder wegschließt, zufrieden in dem Bewußtsein, daß man ihn hätte, wenn je die Gelegenheit käme, wo man ihn brauchte. Wenn sie in einer Gemäldegallerie einem Bilde wie das, was sie im Spiegel sah, begegnet, so wäre sie stehen geblieben und hätte es staunend betrachtet, und nun sollte sie sich nicht doppelt dessen freuen, da es ihr eigenes Antlitz war? Und sie berauschte sich mehr und mehr im Gedanken an alle die Triumphe, die sie feiern konnte, wenn sie gewollt hätte. Wäre sie in Paris geboren, sie hätte nicht nöthig gehabt, einen alten verwitterten Mann zu heirathen, um ihren Vater vor dem pecuniären Untergange zu retten, sie hätte sicher eine große glänzende Partie gemacht, sie wäre der Mittelpunkt eines Kreises von Menschen geworden, die sich an ihrem Reize bewundernd gelabt hätten, sie wäre als die schönste Frau Frankreichs anerkannt worden! Welch ein kaiserlicher Titel, die schönste Frau eines Landes zu heißen!

Sie strich mit den zarten Fingern die Locken zurück und warf das Haupt nach hinten über, daß sich die weiße Stirn scharf auszeichnete. Ja, das war ein Kopf, bestimmt, ein Diadem zu tragen. Ach, sie besaß keins. Doch! Sie öffnete ihre Schatulle und zog ein diamantenes Halsband hervor, ein altes Familienerbe der Salten. Sie band es statt um den Hals – ein solcher Hals bedurfte keines Schmuckes, es wäre zu schade um jedes Grübchen, das er bedeckte – um den Kopf an Stelle eines Diadems. Die immer mächtiger vordringende Morgensonne, die sich hier noch nie anders als in flüssigen, schnell zerrinnenden Diamanten gespiegelt hatte, sah ihre Strahlen verwundert von dem unlöslichen Wasser dieser Steine abprallen und hundertfach zersplittert einen Regenbogenkranz um das stolze Haupt flechten, das sie nicht um ihren Glanz zu beneiden brauchte. – Wie schön war dieses Haupt in dem geheimnißvollen Durcheinanderweben von Gold- und Juwelenschimmer! Alles leuchtete und flimmerte in dem grellen Morgenscheine, die Brillanten, die Haare, die Augen, eine Glorie hüllte Adelheid ein. O, wenn sie wollte, sie konnte noch jetzt Alles bezaubern, die Freiin von Salten-Hermersdorff konnte noch jetzt eine Rolle an jedem Hofe der Welt spielen. Die Schönheit hatte doch auch ihr Recht, wozu war sie schön, wozu diese strahlende Herrlichkeit? Sie wollte – nein, sie wollte nicht genießen; es jammerte sie nur, daß die Fülle von beglückender Kraft, die in dieser Schönheit lag, ungenossen untergehen sollte. Das Kunstwerk des Menschen darf bewundert werden in öffentlicher Schaustellung und Tausende von Augen entzücken, – aber das Kunstwerk der Natur, das höchste aller Meisterwerke, das soll Einem allein gehören, und wenn dieser es absperren will von der Welt, so muß es ungesehen verwelken und Niemand darf sich dessen erfreuen. Solch ein todtes Bild von Leinwand oder Stein fühlt es nicht, welch Entzücken es bereitet; aber das Menschenbild, das die Natur geschaffen, das lebendige, warme, sich selbstbewußte, würde es fühlen und die Wonne mit genießen, die Andere bei seinem Anblicke empfinden. Ist denn das Sünde, ist es verwerflich?

So philosophirte die junge Frau in der Trunkenheit ihres eigenen Anschauens, und sie erschien sich immer mehr als eine Märtyrerin der Verhältnisse, und das Opfer, das sie brachte, indem sie solche Gaben auf den Altar ihrer häuslichen und Mutterpflicht niederlegte, erwuchs in diesem Augenblicke zu einer so unermeßlichen Größe, daß kein Mann und kein Kind es jemals zu lohnen im Stande wäre; ja, wer weiß, ob es ihr nur möglich gewesen wäre, es zu bringen, wenn nicht wenigstens Einer lebte, der sie zu würdigen verstand, Einer, für den sie noch schön sein durfte: Egon! Ja, an seiner Seite wäre sie eine bewunderte vielumworbene Frau geworden, denn er war ein Mann der großen Welt und nahm eine hervorragende Stellung ein, die sie mit ihm getheilt hätte. Sie würde seine herrlichen Reisen in den Orient mitgemacht, über die Grenzen Europas hinaus den Ruf ihrer Schönheit getragen haben, – o welch ein Leben wäre das gewesen! Warum mußte der geliebte Mann ein jüngerer Sohn und also vermögenslos sein, daß es den beiden armen Kindern versagt war, einander anzugehören, und Adelheid von ihrem Vater zu der unseligen Partie mit Salten gezwungen ward? Warum, warum sollte sie die Folgen dieses grausamen Geschickes immer fortschleppen in geduldiger Ergebung? Warum sollte sie nicht auch einmal in die Welt hinaus dürfen, in die Heimath, an den Hof zu ihrem Geliebten? War es denn ein Unrecht, wenn sie sich nach jahrelanger Abwesenheit bei den Ihren und in der Vaterstadt zeigte? Nein, sicher nicht! Sie wollte noch heute mit dem Freiherrn sprechen; Alfred war ja so wohl versorgt bei dem Candidaten. Welche Mutter würde nicht einmal ihr Kind verlassen, um die Heimath wiederzusehen? Hatte sie denn nur Pflichten, nicht auch Rechte? Und ihr Athem ging rasch und die Goldwellen ihrer Locken wogten auf ihrer jugendlich gehobenen Brust auf und nieder, die Diamanten funkelten und in den Blättern des Dümas’schen Romans neben ihrem Bette rauschte es, wie wenn winzige verführerische Kobolde daraus entstiegen, um in den Strahlenbüscheln, die das reizende Haupt umkränzten, ihren Carneval zu halten. Und das Herz des schönen Weibes pochte laut, als wäre der Versucher schon in der Nähe. Er war es auch, denn der größte und siegreichste Versucher einer schönen Frau ist ihr Spiegel, das Werkzeug, mit welchem Mephisto dem Faust die Wege ebnet!

Da plötzlich – was war das? Hatte es nicht geklopft? Alles Blut drängte sich ihr nach dem Kopfe, es war ja kaum fünf, – sie hatte sich getäuscht. Ihr eigenes Gewissen hatte ihr den Streich gespielt, sie so zu erschrecken! Aber nein, wieder klopfte es an die Thür, diesmal lauter, unverkennbar. Adelheid fuhr vom Spiegel zurück, als könne der da draußen durch die Thür sehen, daß sie vor dem Spiegel stand.

„Was ist?“ rief sie und ihre zitternden Hände bemühten sich, das Diadem aus den Locken zu wirren. Doch umsonst waren alle Anstrengungen der jungen Frau; Zacken und Steine hatten sich in das Haar verwickelt wie eine Klette.

(Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_084.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)