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Seite:Die Gartenlaube (1869) 681.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

dann kommt die Bauchseite, hierauf der Rücken und endlich der Schwanz daran. Dabei dreht und wendet, streckt und beugt sich das Thierchen, als ob seine Haut ein Sack wäre, in welchem der Leib lose steckt, wäscht, so weit es mit der Zunge reichen kann, kämmt die erreichten Stellen mit den Zähnen durch und zerrt mit beiden Händen andere Theile des Balges herbei, um überall fertig zu werden. Endlich ist auch dieses wichtige Geschäft beendet worden, und es regt sich die Lust zu freier, ja, ausgelassener Bewegung.

Eine kurze Weile noch sitzt unser Flughörnchen, wie überlegend, still auf der Stelle, welche es während der Ordnung seines Kleides inne gehabt. Dann folgt ein Sprung mit voll ausgebreiteter Fallhaut, quer durch die Weite des ganzen Käfigs. Nur einen Augenblick, nein kürzere Zeit noch, klebt es an der Wand, denn schon hat es sich rückwärts geworfen, rennt eine Sitzstange entlang, ist im Nu zum Ausgangspunkte zurückgekehrt und ebenso rasch irgendwo anders. Und nunmehr beginnt ein spielendes Durcheilen des Käfigs, welches keine Feder wahrheitsgetreu beschreiben kann. Auf und nieder, kopfoberst, kopfunterst, hin und her, oben an der Decke weg, unten längs des Bodens fort, an der einen Wand herab, an der anderen hinauf, durch das Schlafkästchen, an dem Futternapfe vorüber zum Trinkgeschirr, aus diesem Winkel in jenen, über die Sitzstange dahin, oben, unten, seitlich, laufend, kletternd, springend, hängend, klebend, rennend, gleitend, sitzend: – so und noch hundertfach verschieden bewegt sich das Thier, als ob es „tausend Gelenke zugleich regen“ könne, als ob es keine zu überwindende Schwere gäbe, als ob es aufjubeln wolle oder müsse vor lauter Freude über der Lust der Bewegung. Bis auf Fußweite trete ich langsam an den Käfig heran; scharf blicke, auf das Genaueste achte ich jeder Bewegung, wiederhole das forschende Folgen zehn, zwanzig Male, versuche, die Wahrnehmung meiner Sinne zu berichtigen und – gestehe beschämt, daß ich dem Flughörnchen nicht folgen, daß ich seine Bewegungen nicht verstehen, weil nicht von einander unterscheiden kann. So klettert kein anderer Säuger, so kein anderes Thier überhaupt: der Geko mit seinen Klebefingern, welche wie Schröpfköpfe wirken und deshalb eine giftige Feuchtigkeit ausspritzen sollen, der Geko, welcher neuerdings noch von gelehrten Herren verleumdet worden, weil er sich in einer ihnen unbegreiflichen Weise bewegt, ist, so geschickt er auch jede senkrechte Fläche begeht, ein Stümper, die Spechtmeise ein Lehrling, das Eichhörnchen ein Anfänger in der Kunst diesem Meister gegenüber. Und dabei beweist mir dieser Künstler ohne Gleichen, daß er eben nur spielt, denn er beendet das tolle Jagen jederzeit, nach Ermessen und Belieben, so überraschend, daß ich immer noch mit dem Auge umherschweife, während er bereits regungslos auf einem bleistiftdünnen Zweige sitzt, als sei er nie in Bewegung gewesen. Und wieder ein Sprung, und wiederum das ganze Flughörnchen, das wahre Urbild eines geträumten, raumverachtenden Wesens. Und nun noch ein solcher Springer, und endlich noch ein dritter – –

„Wenn sie nur alle sieben herauskommen wollten, Herr Doctor,“ sagt der mit mir beobachtende Futtermeister, „das müßte hübsch anzusehen sein!“

„Nein, alter Seydel, da würde man gar nichts weiter sehen als umherschwirrende Schatten – die wahrhaftigen Gespenster. Aber vergleichen wollen wir: bringen Sie ein Erdeichhörnchen in den Käfig!“

Der kaum größere, wegen seiner Gewandtheit berühmte Ordnungsverwandte wird zu den Flughörnchen gesetzt, von diesen erst angestaunt, dann berochen, endlich geneckt und läuft und springt und klettert, so gut er es vermag. Es sieht aus, als krieche er neben den Flughörnchen seines Weges dahin: seine Sprünge erscheinen schwerfällig, seine Bewegungen langsam im Vergleiche zu denen seiner Genossen. Weg mit ihm!

„Ich glaube,“ läßt sich der Futtermeister wieder vernehmen, „der Siebenschläfer thut’s ihnen gleich. Einer, welchen ich jung aufgezogen hatte –“

„Versuchen wir es meinetwegen auch mit dem Siebenschläfer!“

Es wird, unter Beobachtung aller durch die Wuth und Beißlust des unliebenswürdigen Nagers gebotenen Vorsichtsmaßregeln, ein Siebenschläfer zu den Flughörnchen gebracht. Auch er klettert, läuft und springt, gleichsam zur Probe; ein Tölpel den Künstlern gegenüber. Weg mit ihm!

„Ja, denen thut’s doch kein Anderer gleich,“ sagt Seydel, von dem alle Thiere als Personen angesehen, behandelt und angesprochen werden.

Einmal beim Anstellen derartiger Versuche, ließ ich noch andere Thiere zu den Flughörnchen setzen, um zu erfahren, wie sie sich diesen gegenüber betragen möchten. Das Erdeichhörnchen hatten sie offenbar mit großer Theilnahme betrachtet, längere Zeit beobachtet, berochen und schließlich wohl als ungefährliches Geschöpf erkannt, wenigstens bekümmerten sie sich anscheinend bald gar nicht mehr um dasselbe; der Siebenschläfer dagegen wurde vom Anfange an als verdächtig beargwöhnt und gemieden, bezüglich geflohen, wenn er sich einem der rechtmäßigen Käfigbewohner zu nähern suchte. Diese waren von dem Erdeichhörnchen ebenfalls ohne Furcht und gleichgültig, von dem Siebenschläfer aber, wie bei ihm üblich, mit übler Laune behandelt worden. Jetzt kam eine Springmaus an die Reihe. Sie schien durch den Käfig weit mehr gefesselt zu werden als durch die Flughörnchen, welche gar nicht beachtet wurden, während diese ihrerseits dem seltenen Gaste vom ersten Augenblicke des Bekanntwerdens an ihre vollste Aufmerksamkeit zuwandten. Eines nach dem anderen gleitet zum Boden nieder und nähert sich dem Fremdlinge, um ihn kennen zu lernen. Der lange Schwanz desselben erregt die allerhöchste Theilnahme, sein Träger aber keineswegs auch Beifall. Denn ehe es sich die wegen der kleinen Kletterer unbesorgte Springmaus versieht, hat sich einer von jenen des langen Schweifes bemächtigt und bearbeitet ihn mit Händen und Zähnen. Aergerlich schnellt die Springmaus in die Höhe und schüttelt mit gewaltigem Rucke den neckischen Plagegeist ab; doch schon hängt wieder ein anderer an derselben Stelle, und es bleibt Nichts übrig, als das friedliebende Thier zu seines Gleichen zurückzuversetzen.

„Wissen Sie wohl, Seydel, daß ich diesen kleinen Flattergeistern entschiedene Raubthiergelüste zutraue? Setzen Sie schließlich noch den Grünling zu ihnen in den Käfig!“

Der Grünling hat viele Tage mit Schlangen das Gefängniß getheilt, ohne gefressen worden zu sein, ist also gewitzigt und achtet mit ängstlicher Sorge auf jede Bewegung der Flughörnchen. Diese ihrerseits gerathen beim Erscheinen des Vogels förmlich in Aufregung: sie sehen eine Beute in ihm, und eines beginn sofort die Jagd. Der Grünling ist auf seiner Hut und entgeht, als ein im Gebauer eingewohnter, mit Gefahren vertrauter Vogel, glücklich dem ersten, dem zweiten Angriffe. Alle Achtsamkeit und Gewandtheit ist jedoch vergebens. Schon mit dem dritten Schwunge hat ihn der Nager gepackt, und nur unser Einschreiten rettet ihm das Leben, welches fortan Gefahren nicht weiter ausgesetzt werden soll.

Die unangenehme Täuschung ist bald überwunden, und wiederum beginnt das alte Treiben, das jeder Beschreibung spottende Laufen, Rennen, Klettern, Schwingen.

„Ja, wer Das nicht mit eigenen Augen gesehen hat,“ sagt Seydel, „der glaubt es nicht.“

Und darin hat der Mann Recht.




Aus meinem Leben.
Vom Capellmeister Dorn in Berlin.
Nr. 1.0 Ein Concertabend am Hofe des Herzogs von Cumberland.

„Wollen Sie mit der Catalani reisen?“ fragte mich Concertmeister Möser im April 1827; „Madame hat mir aufgetragen, für einen Accompagnateur zu sorgen, der sie begleiten soll auf ihrer Tour nach Dänemark, Schweden und Norwegen.“ Angelica Catalani, Marquise de Valabrégue (geb. 1780 oder 1784, denn hierüber sind die Angaben verschieden) hatte bereits die Linie passirt, als sie zu jener Zeit nach Berlin kam, um sich wieder öffentlich hören zu lassen. Man wußte nicht, ob ihr zweimaliges Directorat der italienischen Oper in Paris oder das zweifelhafte Marquisat des Herrn Gemahls die Schuld trug, daß, bei allem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_681.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)