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Seite:Die Gartenlaube (1869) 403.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

– wandten sich die jungen Damen einstimmig bittend an Serenissimus.

„Ei, meine Damen, ich glaubte; Ihre kleinen Füße ständen bereits auf Nadeln wegen des Tanzvergnügens!“ scherzte er. „Nun gut, ich nehme die Geschichte des Herrn von Oliveira sehr gern in das Festprogramm auf – wir streichen dafür eines der Männerquartette, die im Walde gesungen werden sollen.“


27.

Welch’ eine ironisirende Wendung der Dinge! Der verfehmte Portugiese war der Löwe des Festabends geworden. Freilich stand er auf einem Boden, der auf- und abschwankte wie die Schiffsplanke, und die aufgescheuchten Wespen summten nur weniger laut und hörbar um sein Haupt. Das wußte Niemand besser als die schöne Hofdame. Sie warf ihm einen langen, bedeutungsvollen Blick zu: „Lasse dich nicht beirren,“ warnten die dunklen Augen.

Gisela, die bisher schweigend neben dem Fürsten gestanden und nicht ein einziges Mal gewagt hatte, den Portugiesen anzusehen, während er sprach, fing diesen Blick auf – er durchfuhr ihr Herz wie ein Dolchstoß. … Sie wollte ja nie heftig werden; aber wie schoß ihr jetzt das empörte Blut nach den Schläfen! Wie in der Kindheit, wo sie stets ohne Weiteres ihrer Abneigung Ausdruck gegeben, hob sie auch jetzt die Hand, um das Mädchen dort fortzustoßen. – Worte der tiefsten Erbitterung drängten sich auf ihre Lippen. … Wie thöricht! … Was gab ihr denn das Recht, sich zwischen diese beiden Menschen zu drängen? … Sah er nicht selbst in diesem Moment hinüber nach der reizenden Zigeunerin und erwiderte den langen Blick so ausdrucksvoll, daß das liebliche Gesicht bis unter die dicken, braunen Locken erröthete? … Die Zwei waren wohl längst einig! …

Wie konnte sie es überhaupt wagen, sich neben jenes Mädchen zu stellen? An dem Namen der Hofdame haftete kein schlimmer Leumund, sie war sehr schön, galt für geistreich und handhabte die gesellschaftlichen Formen mit unvergleichlicher Grazie. … Pfui, wie häßlich! … Sie mit dem bleichen Gesicht, mit der tiefen Unwissenheit hinter der Stirn und dem ungelenken Benehmen, sie empfand Neid, blassen Neid gegen jene schöne, gefeierte Rose! …

Das unschuldige Herz, das ja bis dahin nie geliebt, hatte, keine andere Definition für das heiße Gefühl der Eifersucht.

Sie wandte die Augen ab von dem schreiend rothen Käppchen mit den Perlenbehängen, das sich so anmuthig hin und herbewegte, und sah über das Lichtmeer hinweg in den dunklen Weg hinein, der nach Greinsfeld führte. Eine tiefe Sehnsucht nach dem finsteren, schweigenden Wald erfaßte sie. … Fort, fort, alle diese Larven im Rücken lassen und die unausgesprochenen Qualen, die ihr in Kopf und Herzen wühlten, in der Dunkelheit verbergen! … Eilige Flucht aus dieser sogenannten Welt, in die sie nur geblickt, um sofort von grellen Blitzen getroffen und verwundet zu werden! Tausendmal lieber in finsterer Nacht mit bedrohtem Leben an den schauerlichen Abgründen der Steinbrüche vorüberwandeln, als hier gleichsam an der Martersäule stehen, diese schmetternde, jubelnde Musik hören und die lächelnden Gesichter sehen zu müssen, während in den schmerzenden Augen die mühsam verhaltenen Thränen brannten! ….

Sie hatte mit Enthusiasmus den Gedanken ergriffen, die Menschen lieben zu wollen – wie schwer war er auszuführen! Konnte sie diese eitle, gleißnerische Menge lieben, die, Falschheit im Herzen und auf den Lippen, ihr reines Wollen unmöglich verstand? …

In den Steinbrüchen war es dunkel und todeseinsam – nicht einmal die kleinen Vogelaugen blickten tröstlich auf die heimwärts Fliehende, sie schliefen wohlgeborgen in den Nestern und Felsennarben. Drunten lagen die armen Blumenleichen, die er mit unbarmherziger Hand von sich geschleudert, und am Wegrand zitterten die elastischen Nesselzweige, die ihr Kleid streifte – diese einzige Bewegung hauchte Leben in die Einöde. … Und der Fuß des jungen Mädchens schritt wieder über die Stelle hinweg, wo es eine so schmerzliche Demüthigung erlitten – der Weg war schrecklich, aber er führte ja in das Heim zurück, dort konnte sie die Thüren verschließen und sich für immer verbergen vor Menschenaugen und Menschenstimmen. …

Fort! Fort!

Quer über den Festplatz konnte sie freilich nicht gehen – sie mußte im Waldesdunkel die Wiese umkreisen, wenn sie den gegenüberliegenden Greinsfelder Weg erreichen wollte. Langsam und scheu wandte sie sich um und forschte im Dickicht nach einer Stelle, wo sie unbemerkt entschlüpfen konnte.

Da tauchte plötzlich ein Gesicht vor ihr auf, ein Gesicht mit harten, dunklen Zügen, das sie kannte und fürchtete – es war der alte, strenge Mann aus dem Waldhause. Er trug einen kleinen Koffer, den er auf die nächste Bank stellte; sein finsterer Blick streifte an der jungen Dame vorüber und heftete sich sehr beredt auf den Portugiesen, vor welchem bereits der zurückgekehrte Lakai stand und mit einer entsprechenden Handbewegung die Anwesenheit des alten Soldaten meldete.

„Ah, die Brillanten!“ scholl es von allen Seiten.

Sofort bildete sich ein dichter Kreis um den alten Soldaten und seine kostbare Bürde. … Für diesen Augenblick war Gisela’s Flucht vereitelt – der Fürst stand neben ihr, und die Gräfin Schliersen ergriff schmeichelnd ihre Hand und zog sie dicht an sich heran.

Oliveira schloß den Koffer auf. Der Inhalt war freilich angethan, Frauenherzen zu berauschen; und der stille Gedanke Aller, der Brasilianer wolle mit seinen Schätzen prunken, wurde zur Gewißheit. … Wer aber Gelegenheit hatte, in sein gesenktes Gesicht zu sehen, der wußte sofort, daß der Seele dieses Mannes augenblicklich nichts ferner lag, als die Eitelkeit – ein so furchtbarer Ernst, eine so finstere Entschlossenheit lag auf der düstergefalteten Stirne.

Er nahm mit raschen Händen ein schwarzes, mit Juwelen beladenes Sammetpolster um das andere aus dem Koffer und legte es achtlos auf die Seite. Neben ihm stand die Baronin Fleury mit halbgeöffneten Lippen und vorgebeugtem Oberkörper. Allmählich begann ein leiser Triumph in ihren Augen zu funkeln. Sie sah allerdings glitzernde Wunderdinge aus dem Koffer emporsteigen, die ihr unersättliches Herz klopfen machten, allein es waren lauter antike Schmuckstücke, die „der Sammler“ da aufgehäuft hatte – nicht ein einziges erinnerte an „ihren hübschesten Gedanken“…. Hatte sich der Portugiese hinsichtlich des „Corpus delicti“ doch getäuscht?

Da hob er, bedeutend langsamer als zuvor, ein großes Etui empor und schlug fast zögernd den Deckel zurück.

Ein Ausruf der Ueberraschung ertönte von allen Lippen, und die schöne Excellenz wich bestürzt zurück.

Bis auf das kleinste, in ihren Locken glitzernde Staubfädchen getreu copirt, lag der Fuchsienkranz auf dem Sammetpolster – aber er hatte einen Vorzug: die „gräflich Völdern’schen Familienbrillanten“ erloschen neben dieser funkelnden Steinpracht.

Und der Kranz lag nicht allein – ihn umkreiste dasselbe Halsband, das dort auf dem weißen, stürmisch athmenden Busen Titania’s blitzte, und die Agraffe, die den silberdurchwobenen Schleier auf ihrer Schulter festhielt, leuchtete auch hier mit ihren großen, bläulichen Brillanten.

„Welch’ ein schändlicher Betrug!“ stieß die schöne Frau zornbebend hervor. „Siehst Du, Fleury“ –. wandte sie sich an ihren Gemahl – er befand sich nicht mehr an ihrer Seite – Seine Excellenz stand an einem entfernten Büffet und stürzte ein Glas Wein hinunter. Er wurde alt und stumpf, der Mann, er zeigte für Nichts mehr das wahre, feurige Interesse wie ehedem – war es ihm doch sogar unangenehm geworden, seine schöne Frau diamantengeschmückt zu sehen. … Sie stand allein unter all den schadenfrohen Gesichtern – die ganze furienhafte Leidenschaft dieser Frauenseele, die bis dahin nur Seine Excellenz und die engen Wände des Boudoirs kennen gelernt hatten, war nahe daran, angesichts des Hofes hervorzubrechen.

„Fleury, Fleury!“ rief sie mit unbeschreiblichem Aerger hinüber. „Ich bitte Dich, komme hierher und überzeuge Dich, wie recht ich hatte, gegen das völlig überflüssige Putzen und Reinigen der Steine in Paris zu protestiren! … Du hast es à tout prix durchgesetzt, und diese treulosen Franzosen haben den Moment benutzt, die köstlichen Formen zu stehlen. … O, hätte ich sie doch nicht aus den Händen gegeben!“

Jedes dieser schneidend scharf betonten Worte sollte den Besitzer der Brillanten beleidigen … war er in der That vollkommen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_403.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)