verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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dem Verkehr mit ihren nächsten Verwandten, und sie war überzeugt, daß dann noch Alles gut – recht gut werden konnte. Alles? Das arme Mädchen schüttelte traurig mit dem Kopfe. Alles konnte nicht mehr gut werden, denn für sich und ihr Glück sah sie keine Hoffnung. Bruno blieb ihr für immer verloren und schien sich auch selbst bereits in das Unvermeidliche gefügt zu haben, denn sie hatte ihn nicht allein seit jenem Morgen nicht gesehen, sondern wußte auch, daß er während der ganzen Zeit nicht wieder nach Wellheim herüber gekommen war, – aber sie dankte Gott dafür, denn es machte ihr die eigene Entsagung nur so viel leichter. Es war besser so; sie paßte auch nicht in die vornehme Familie, wenn es sich wirklich bestätigte, daß diese durch den Proceß ein Vermögen erworben hatte. So lange er arm gewesen, so lange sie die Aussicht gehabt, daß sie sich selber durch Fleiß und Arbeit im Leben forthelfen konnten, durfte sie den Gedanken hegen, – jetzt aber war das anders geworden, viel besser für ihn, und es schmerzte sie nur, wenn sie sich dachte, daß er sich doch wohl gar zu rasch und leicht in das Unvermeidliche gefunden.
Den einzigen Trost fand sie in der veränderten Stimmung des Vaters, den sie noch nie so heiter und vergnügt gesehen hatte wie jetzt. Er pfiff den ganzen Tag im Hause herum, und wenn sie sich manchmal allein mit ihm befand, streichelte er ihr die Backen und versicherte sie, er würde nun auch nicht mehr lange in dem langweiligen Wellheim bleiben, sondern bald mit ihr in eine große Stadt ziehen und ein Hotel anlegen. Die Preise des Landes seien, wie er hinzusetzte, so bedeutend gestiegen, daß er seine Weinberge jetzt äußerst vortheilhaft verkaufen könne, und den Zeitpunkt wolle er benutzen, denn nach einem recht schlechten Weinjahr sinke auch der Werth des Landes wieder, und so hoch wie jetzt sei er noch nie gewesen.
Fort von Wellheim? – im Anfang hatte der Gedanke etwas Peinliches für sie, sie wußte eigentlich selbst nicht weshalb, aber rasch gewöhnte sie sich hinein und als sie sich Alles überlegte, schien es ihr das Beste, daß sie weit, recht weit von hier fortzögen in ein anderes Land und auch die Erinnerungen, die bösen trüben Gedanken zurückließen am Rheine; ja sie drängte jetzt sogar selbst den Vater, diesen Zeitpunkt zu beschleunigen, draußen in der Welt konnte es vielleicht doch noch besser werden.
Der alte Jochus schien auch wirklich Ernst zu machen, denn er verkaufte schon in dieser Woche einen Theil seiner Weinberge an einen frisch zugezogenen Weinbauer und stand sogar mit diesem im Handel um Haus, Garten und Wirthsgerechtigkeit.
Es waren indessen fast vierzehn Tage seit jener Nacht verflossen und das Wetter schon recht rauh und herbstlich geworden, was den Vater aber nicht verhinderte, sehr häufig nach Hellenhof hinüberzugehen. Einmal war er sogar die Nacht dort geblieben, wie er sagte. In der ganzen langen Zeit hatte sie nichts von Bruno gehört und gesehen; in der Stadt hieß es nur, seine Mutter würde ebenfalls hinüber nach Hellenhof ziehen und hätte sich dort drüben ein sehr hübsches Haus mit einem großen Garten gemiethet; also mußten sich ihre Vermögensverhältnisse doch bedeutend gebessert haben, oder wenigstens bald Aussicht dazu vorhanden sein.
Eines Tages war Rosel hinaus in den Garten gegangen, um sich noch einen hübschen Strauß zu pflücken, ehe es einwinterte, und wollte eben mit ihren Blumen in das Haus zurück, um sie in Wasser zu stellen, als plötzlich – das Blut trat ihr wie mit Einem Schlag zum Herzen zurück – Bruno neben ihr stand – keinen Schritt auf dem Kies des Gartens hatte sie vorher gehört.
„Rosel,“ sagte der junge Mann herzlich, indem er ihr die Hand entgegenstreckte, „bist Du mir bös, daß ich Dich überrascht habe?“
„Bös?“ sagte das Mädchen verwirrt, indem sich ihr Antlitz jetzt blutroth färbte, „bös bin ich Ihnen nicht, Herr von der Haide.“
„Ihnen – Herr von der Haide?“ wiederholte der Gekommene leise und traurig, und das freundliche, ja glückliche Lächeln, mit dem er sie eben noch begrüßt, wich aus seinen Zügen. „Bin ich Dir in den wenigen Wochen so fremd geworden, Rosel, daß Du mich Sie und bei dem kalten Namen nennst?“
Rosel schwieg eine kleine Weile; sie hätte gern gesprochen, aber es ging nicht, die Worte quollen ihr in der Kehle, und sie brachte keinen Laut über die Lippen. Endlich aber wurde sie ihrer Aufregung Herr und sagte leise:
„Es kann nicht anders sein, Herr von der Haide. Sie wissen es doch; ich habe ja auch schon Abschied von Ihnen genommen, und ich hatte geglaubt, Sie würden mir den Schmerz einer zweiten Begegnung ersparen.“
„Ich begreife Dich nicht, Rosel,“ rief Bruno bewegt aus; „wie ich noch verzweifelnd in das Leben und vor mir nur Noth und Entbehrung sah, hieltest Du treu und wacker zu mir, und nichts konnte Dich irre machen.“
„Noth und Entbehrung hätten uns auch nie getrennt,“ sagte das Mädchen scheu und fast lautlos.
„Aber was denn sonst, Herz?“ bat dringend der junge Mann, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm, aber nur widerstrebend ließ, „was, um Gotteswillen ist zwischen uns getreten, wo uns nicht einmal Noth und Entbehrung auseinander reißen konnten? Dein Vater war, als ich ihn das letzte Mal sprach, gut und freundlich gegen mich, und meine Mutter hat mich viel zu lieb, als daß sie, eines alten Vorurtheils wegen, das Glück ihres einzigen Sohnes zerstören sollte. Ich habe auch erst gestern wieder mit ihr über Dich gesprochen und fand zu meiner Freude, daß sie sich, in der Zeit meiner Abwesenheit, näher nach Dir erkundigt und von allen Seiten nur Gutes gehört habe. Ich begreife nicht, was geschehen sein kann, Dein Herz in so kurzer Zeit, ja in wenigen Stunden nur, von mir abzuwenden. Wie soll ich da noch Lust und Liebe zu meinem Beruf haben, wo mir die schönste Hoffnung, die ich daran knüpfte, in der Blüthe geknickt ist?“
Rosel schwieg noch immer – ein schwerer Seufzer nur hob ihre Brust und ganz in Gedanken zupfte sie die Blätter von einigen der Blumen, die sie eben noch mit solcher Sorgfalt gesammelt hatte.
„Ich wäre auch schon lange zu Dir herüber gekommen,“ fuhr der junge Mann bewegt fort, „denn diese Ungewißheit ließ mich nicht ruhen noch rasten, aber es gab gerade in den letzten Wochen so viel auf dem Criminalamt zu thun, daß ich kaum zu Athem gekommen bin. Ja ich mußte sogar, in einem wichtigen Verbrechen, dem wir auf die Spur gekommen sind, mit unserem Assessor eine Reise machen, die mich fast acht Tage von Hellenhof entfernt hielt. Gestern zurückgekehrt, hörte ich zu meinem Schreck, daß Dein Vater im Begriff stehe, Haus und Wirthschaft zu verkaufen und ganz von Wellheim fortzuziehen, und da litt es mich nicht länger. Ich mußte Dich sehen, und wenn ich auch für die Versäumniß vielleicht die ganze Nacht zu arbeiten habe. – Ist es wahr, Rosel – wollt Ihr fort von hier?“
„Ja,“ hauchte das Mädchen, „der Vater will wegziehen – ich weiß selber noch nicht wohin.“
Der junge Mann schwieg und ein bitteres Gefühl zog durch sein Herz, während er still vor sich nieder starrte.
„Ich weiß nicht,“ sagte er nach einer kleinen Weile, „was mir Deine Liebe rauben konnte – ich bin mir selber wenigstens keiner Schuld bewußt, denn nicht mit einem Gedanken habe ich an Dir gesündigt. Ich kann mir auch gar nicht denken, was Du dabei hast, mir den Grund zu verschweigen, denn Du bist sonst immer so wahr und offen gegen mich gewesen, wie ich auch nichts auf der Welt kenne, was ich Dir verschweigen möchte. Aber etwas hat sich zwischen uns gelegt – Gott weiß es, ohne mein Verschulden – und sicherlich auch ohne Deines, Rosel, und nur recht, recht traurig ist es, daß dies zwei Menschen soll für ihr ganzes Leben unglücklich machen.“
„Recht traurig,“ nickte Rosel leise vor sich hin, aber so leise, daß er wohl die Bewegung sah, doch die geflüsterten Worte nicht verstand.
„So sag’ mir nur noch das Eine, Rosel,“ bat Bruno herzlich, „ich will Dich nicht länger quälen, denn ich sehe, daß Dir meine Gegenwart nicht mehr so lieb ist, wie sie es früher war – nur die eine Frage beantworte mir noch – giebt es kein Mittel, durch welches ich das Verlorene wieder gewinnen kann? Ist es so vollständig unmöglich, das Hinderniß, das ich nicht einmal kenne, aus dem Weg zu räumen – soll ich nicht wenigstens hoffen dürfen, daß noch Alles gut werden kann?“
„Nein, Bruno,“ sagte das arme Mädchen tonlos und kopfschüttelnd, „ich habe keine Hoffnung mehr. Um das Eine nur aber bitt’ ich Dich,“ setzte sie fast ängstlich hinzu, als er matt ihre Hand losließ und sich von ihr abwandte, „wenn ich auch einmal fort bin von hier und Du mich nicht mehr siehst, denk’ immer
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_775.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)