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Seite:Die Gartenlaube (1866) 770.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Prinzen zu Heerführern erwählt, aber jeder von Beiden weigerte sich, an die Spitze der Preußen zu treten, Beide übernahmen abwechselnd das Commando der Oesterreicher, der Vater hatte jedem eine zierliche österreichische Miniatur-Uniform anmessen lassen, und so errangen die Oesterreicher hier täglich im kindischen Spiele glänzende Siege, während sie im furchtbaren Ernst auf Böhmens Feldern blutige Niederlagen erlitten. Auch ist es bekannt, daß der Herzog seine Officiere, in Vorder- wie in Hinteransicht, portraitiren, die Conterfeis dann lithographiren und auf Pappe kleben ließ. Die so gewonnenen Figuren wurden mit Holzpflöckchen versehen und dienten den Prinzen zum Spiel, an dem sich der Vater am meisten erlustirte.

Des Parkes wegen gestattete der Herzog in dessen Umgebung keine Fabrikanlagen. Er haßte solche überhaupt, weil sie nach seiner Meinung nur Schmutz und ein Proletariat erzeugten, letzteres aber zur Revolution neige. Gesetzlich bestand im Lande Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, thatsächlich aber lagen beide in den schweren Banden der Polizeiwillkür, daher flüchteten die Industriellen auf das benachbarte hessen-darmstädtische Gebiet, wo sie bereitwillig Aufnahme fanden, und so erheben sich nun hart an der Grenze und dicht neben Biebrich eine Reihe bedeutender Etablissements.

Aehnlich verhielt es sich mit den Steuern, welche in Nassau nur Grund- und Gewerbesteuer sind. Weil der letzteren auch die Beamten unterworfen, lasteten die Steuern ausschließlich auf den unteren und mittleren Ständen; die eigentlich Reichen blieben dagegen, weil weder eine Personen- noch Vermögenssteuer bestand, gänzlich verschont; woher sich der Umstand erklärt, daß sich nach dem Herzogthum so viele Capitalisten zogen, die hier ihre Renten verzehren.

Diese und verwandte Gegenstände besprach eine Gesellschaft von Bürgern, die ich im Gasthofe fand. Mehrere Gewerbe- und Geschäftsleute waren unter ihnen, und diese riefen:

„Wären wir schon vor zwanzig Jahren preußisch geworden, wir ständen jetzt zwanzig Mal besser, sowohl was den Privatbesitz der Einzelnen, als die Entfaltung unseres Handels und unserer Industrie betrifft!“

„Schon möglich,“ entgegnete ihnen ein kurzer dicker Herr. „Aber bisher hätten wir von den Segnungen des preußischen Regiments noch wenig gespürt. Man hat unsere Verfassung suspendirt, ohne uns dafür die preußische zu geben, und so befinden wir uns zur Zeit in einem völlig rechtlosen Zustande. Warum enthält man uns z. B. das preußische Jagd-, Gewerbe- und Preßgesetz noch vor? Man sagt: Nur bis zur Einführung der preußischen Verfassung! Aber bis dahin können die beliebten Chicanen mit der Wildschädenvergütigung, in Bausachen, Concessionirungen, Preßgeschichten etc. nach wie vor getrieben werden. Und sie werden getrieben, von frechen Anhängern des alten Regimes, unter den Augen des Civilcommissariats, das trotz allen guten Willens und trotz der glücklichen Wahl seiner Beiräthe doch weder genau unsere Zustände, noch sein eigenes Ressort kennt, daher sowohl unter unseren wie unter den preußischen Beamten in Betreff der Auslegung, Heranziehung und Gültigkeit gewisser Gesetze, in der Frage über die Competenz einer Behörde oder über den Lauf des Instanzenzuges oft große Verwirrung und Rathlosigkeit herrschen.“

„Gut Ding will Weile haben,“ meinte ein Dritter. „Unsere Verhältnisse sind eigenartig und verwickelt; es wird Zeit und Mühe kosten, sie mit den preußischen in Einklang zu bringen. Uebrigens möchte ich unserem Lande nicht eine durchgehend preußische Reorganisation wünschen. Wir haben Manches, was entschieden besser ist als in Preußen, namentlich unser Schulwesen. Die Vorbildung und Besoldung unserer Lehrer ist besser, die Elementarschulen sind nicht confessionell geschieden und dem Gesetze nach unabhängig von der Kirche, wenngleich sie während der Reaction immer tiefer in die Hände der klerikalen Partei geriethen.“

Biebrich ist eigentlich eine Vorstadt von Wiesbaden und mit diesem durch eine prächtige, nur eine Stunde lange Allee verbunden. Wie es im Sommer von Tausenden der Curgäste geschieht, hätte ich gern diesen Spaziergang gemacht, aber das nasse kothige Wetter verbot es. Also bestieg ich den Eisenbahnwagen, der zunächst eine Strecke weit höchst sonderbar von einem lebensmüden Gaule im melancholischen Hundetrott gezogen wurde, bis die heranbrausende Locomotive sich seiner erbarmte und ihn schnell mit sich fortriß.

Ich fand das Curhaus in seinem alten verführerischen Glanze und die Spielsäle gefüllter als je, nämlich in dieser vorgerückten Jahreszeit. Man suchte sich für den Sommer zu entschädigen, wo es sehr leer gewesen; man spielte auf beiden Seiten, Croupiers und Publicum, mit schweißtriefender Hast, als wolle man keinen Augenblick der von dem preußischen Gouvernement erhaltenen Gnadenfrist bis zur Aufhebung dieser privilegirten Raubanstalt einbüßen. Auch preußische und nassauische Officiere sah ich jetzt spielen, was früher verboten war; nur den gemeinen Soldaten bleiben diese Räume streng verschlossen. Einen eigenen Contrast gewährte es, unter der eleganten, meist ausländischen Menge der Zuhörer zerstreut ein Dutzend von Verwundeten der preußischen Armee sitzen zu sehen. Sie sind theils auf Kosten ihrer Regierung, theils auf Kosten des Curvereins hier untergebracht, um an den berühmten Quellen und in der milden Luft vollends zu genesen und zu erstarken. Sie saßen also da in ihren von Wind und Regen entfärbten, von Strapazen und Kugeln zerrissenen Mänteln, die Krücke in der Hand oder den Arm in der Binde, und starrten mit ihren ehrlichen pommerschen oder lithauischen Gesichtern in das bunte glänzende Gewühl, in das Meer von Licht und Pracht, und an ihren erstaunten Ohren kreuzten sich französische und englische Worte der Umsitzenden.

Die Stadt in der Umgebung des Curhauses scheint über Nacht entstanden, so neu und gleichförmig sehen hier Häuser, Straßen und Anlagen aus. Man erblickt nur Hotels, Badehäuser, Cafés, Restaurationen, Bazars und Läden aller Art, Wechsler und – charakteristisch genug – Pfandleiher. Alles ist auf den Fremden und auf das Spiel berechnet und Alles lebt von Beiden. Daher auch die Angst und das Klagen der Leute um die nächste Zukunft. – „Wenn das Spiel aufhört, sind wir ruinirt, ist Wiesbaden ruinirt!“ jammern sie. „Das Spiel hat die Promenaden und Anlagen, hat das Theater und alle Vergnügungen unterhalten, hat die halbe Stadt ernährt.“

Diese Leute fühlen nicht das Ehrlose, Entwürdigende und Verpestende, was in der Beschäftigung mit dem Spiel und mit den Spielern liegt; sie wollen nur in bisheriger Weise fortexistiren.

So könnte man nach oberflächlicher Bekanntschaft an Wiesbaden und seinen Bewohnern verzweifeln, aber wie man tiefer in die Stadt eindringt, da wo die soliden alten Häuser stehen, stößt man auf einen ehrbaren kernigen Bürgerschlag, der keinem andern in Deutschland nachsteht; und Gott Lob! er bildet unter den Einwohnern Wiesbadens die Mehrzahl und ist noch stärker im übrigen Nassau vertreten.

Diese würdigen Männer halten das Spiel für den Schandfleck ihrer Stadt und werden den Augenblick segnen, wo es aufhört. Unter ihnen giebt es Viele, die noch nie einen Fuß in die Spielhölle gesetzt haben und ein solches Unternehmen bei einem ihrer Angehörigen oder Hausgenossen wie ein Verbrechen ahnden würden.

„Möge die Regierung über das Spiel abstimmen lassen,“ sagte mir ein alter umfangreicher Herr mit den schönsten Weinflecken auf Nase und Wangen. „Möge sie abstimmen lassen. Ich wette, mehr als vier Fünftel der Einwohnerschaft erklärt sich dagegen, drei Fünftel aus Ueberzeugung und ein Fünftel aus Scham. Neulich haben sie eine Bittschrift an den König von Preußen um Erhaltung des Spiels abgelassen, aber nicht mehr als vierzig und einige Unterschriften zusammen bekommen. Wem aber gehörten diese? Croupiers, Spielactienbesitzern und Leuten, die durch’s Spiel oder vom Spiele leben. – Die Schließung der Spielhölle kann der Stadt nur geringe und vorübergehende Verluste bringen, aber sie wird uns von einer Bande von Schwindlern, Gaunern und feilen Dirnen befreien, die sich hier wie die Raben um ein Aas zu sammeln pflegen. Sie wird aber auch der Corruption und Demoralisation steuern, die unter Hiesigen selber eingerissen ist, indem sie solchen Strolchen Obdach geben und sich gleichfalls zu Müßiggang und Spiel verleiten lassen – wenn nicht hier, wo es ihnen allerdings verboten war, dann in dem benachbarten Homburg oder Nauheim. Wie viele ihrer Frauen, Töchter und Schwestern sind in Ueppigkeit, ja in Prostitution versunken! – Nein, die Wegschaffung des Spiels wird im Gegentheil unser Bad heben. Die Heilquellen fließen unversiechbar, und sie werden alsbald nur wahrhaft noble Gäste heranlocken, die uns bisher mit Recht gemieden, und Wiesbaden wird ebenso floriren wie Kissingen und die böhmischen Bäder, wo man doch auch nicht dieses teuflische Spiel duldet!“



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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_770.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)