verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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Der Mann hatte fast unbewußt seinen Arm um sie geschlagen und hielt sie fest an sich gepreßt. Sie wollte das Antlitz zu ihm erheben, allein er hinderte es. Nicht jetzt durfte sie ihm in’s Auge sehen, wo Schreck, Angst und Trotz um die Oberherrschaft kämpften. Aber er vermochte es nicht über sich, dem eigenen Kind gegenüber eine wirkliche Schuld einzugestehen, nur Zeit wollte er gewinnen, um sich zu sammeln, um jede Spur einer Ueberraschung aus seinen Zügen zu verwischen, und dann erst, als er wenigstens glaubte, daß ihm das gelungen sei, ließ er sie los und sagte freundlich, ja herzlich:
„Du bist wirklich krank, mein armes Kind, ernstlich krank, und ich muß darauf bestehen, daß Du Dich in Dein Bett legst. Du sprichst wahrhaftig wie in Fieberphantasien.“
Rosel richtete sich auf und sah ihren Vater starr an.
„Also bist Du’s wirklich nicht gewesen, Vater?“ sagte sie dann und ein eisiges Lächeln zuckte um ihre Lippen, „den ich die Nacht oben in der alten Ruine gesehen habe?“
„Aber, liebes Herz, was soll ich Dir das noch zehnmal betheuern,“ sagte der Wirth, „ich habe die ganze Nacht geschlafen.“
„Und der Franz auch nicht?“
„Gewiß nicht, und wenn er oben gewesen wäre, so hätte er doch nie etwas Böses dort im Sinn gehabt.“
„Gott sei Dank!“ sprach das Mädchen mit einem aus tiefstem Herzen heraufgeholten Seufzer, „dann ist eine große Last von meiner Seele genommen und ich kann mir Ruhe vor meinem Gewissen schaffen. Jetzt darf ich auch wieder fröhlich sein und es kann noch Alles gut werden.“ Damit ging sie zu ihrem Kleiderschrank, nahm Hut und Tuch heraus und warf sich das letztere um.
„Und wohin willst Du noch heute Abend, Rosel?“ sagte der Vater scheu.
„Auf’s Criminalamt, Vater,“ sagte ruhig das Mädchen.
„Auf’s Criminalamt?“ rief Jochus erschreckt, „aber der Bruno ist ja noch gar nicht oben und heute erst auf’s Obergericht gegangen. Vor morgen Abend kann er, wie er mir auch sagte, nicht zurück sein.“
„Ich will auch nicht zum Bruno,“ erwiderte das junge Mädchen fest, indem sein Blick wieder den Vater traf, „sondern nur eine Anzeige oben machen, die wichtig genug ist.“
„Eine Anzeige, Rosel?“ frug der Wirth bestürzt.
„Ja, Vater, droben auf der Ruine nämlich treibt eine Bande von Falschmünzern ihr Wesen. Gestern Nachts habe ich sie belauscht und ihre Maschine gesehen und ihre Reden gehört; ich geh’ dann gleich selber mit hinauf und zeig’ ihnen den Platz, wo’s hinabgeht, daß sie gar nicht mehr fehlen können; dort finden sie das ganze Nest.“
„Rosel,“ rief der Vater in Todesangst, „misch’ Dich nicht in solche Geschichten! Was weißt Du von Falschmünzern oder derlei Dingen, und wenn Du auf’s Gericht mit einer solchen Klage kommst, glaubst Du denn nicht, daß es Dich und uns Alle in Ungelegenheiten bringen könnte?“
„Keinen unschuldigen Menschen, Vater, sei versichert,“ sagte das Mädchen ruhig. „Die Verbrecher mögen sich in Acht nehmen, aber uns kann nichts geschehen.“
„Und wenn – wenn Dein Bruder Franz nun doch –“ stotterte der Mann, „in jugendlichem Leichtsinn vielleicht – verführt –“
„Vater!“ schrie Rosel mit einem herzzerreißenden Ton des Jammers.
„Ich sag’ es ja nicht,“ sprach dieser erschreckt, „aber die Möglichkeit liegt doch vor – und Du möchtest doch Deinen eigenen Bruder nicht unglücklich machen wollen?“
„So soll ich nicht gehen?“
„Nimm Dir Zeit,“ sagte Paul Jochus, „auf einen Tag kommt’s ja nicht an, ich will noch heute Abend nach Hellenhof hinüber und mit Franz sprechen; ich kann mir’s nicht denken, aber wir dürfen auch nicht die Möglichkeit außer Acht lassen. Morgen früh sage ich Dir dann Antwort, Rosel. Nicht wahr, bis dahin redest Du mit Niemandem darüber?“
„Nein, Vater,“ erwiderte das junge Mädchen, indem sie ihr Tuch abwarf und wie gebrochen auf einen Stuhl sank. „Ich hätte auch heute zu Niemandem davon geredet,“ setzte sie fast tonlos hinzu, „es war eine leere Drohung, denn ich will – keine Vatermörderin werden.“
„Rosel!“ rief der alte Mann und wollte auf sie zueilen, allein sie streckte abwehrend den Arm gegen ihn aus.
„Laß mich, Vater, laß mich allein mit meinen Gedanken, geh’ zu Franz, geh’, so rasch Dich Deine Füße tragen, und bitt’ ihn um meinet-, um seiner seligen Mutter willen, daß er die Genossenschaft mit jenem Menschen aufgebe.“
Sie hatte das Gesicht mit ihren Händen bedeckt und ihr ganzer Körper zitterte. Der Vater stand vor ihr, er hätte noch so gern zu ihr gesprochen, doch er vermochte es nicht. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, und scheu und zerknirscht nahm er seinen Hut und verließ das Zimmer.
Paul Jochus eilte wirklich, so rasch ihn seine Füße trugen, nach Hellenhof hinüber, denn was er schon seit heute Morgen im Geheimen befürchtet, war geschehen und es galt nun die Folgen der möglichen Entdeckung von ihren Häuptern abzuwenden. Er traf auch seine beiden Bundesgenossen, den Sohn und dessen Compagnon, zu Hause, aber in anderer Stimmung, als er selber sich befand. Jubelnd sprangen ihm die beiden jungen Männer entgegen, als er das Haus betrat, denn sie hatten ihn schon von oben kommen gesehen und ihm geöffnet, und wie sie nur erst wieder die beiden schweren Riegel vorgeschoben, um von keinem Unberufenen gestört zu werden, führten sie ihn in ihr kleines, abseit gelegenes und nur für besondere Zwecke bestimmtes Arbeitszimmer hinauf. Ja, in ihrer Ausgelassenheit bemerkten sie nicht einmal das niedergeschlagene Wesen des Alten, den sie überhaupt nicht zu Worte kommen ließen.
„Da sieh her, Vater,“ rief Franz ihm entgegen, indem er ihm zwei Fünfundzwanzig-Thalerscheine vorhielt, der eine ist ächt, der andere unächt; nun sage selber, welches der ächte ist.“
„Welches der ächte ist, weiß ich nicht,“ erwiderte der Wirth, während er nur einen flüchtigen Blick auf die Scheine warf, „aber so viel weiß ich, daß wir entdeckt und verrathen sind und auch die letzte Spur unserer Thätigkeit vertilgen müssen, so lange es noch Zeit ist.“
„Alle Teufel!“ rief Brendel, der junge Berliner, aus, indeß Franz den Vater erschreckt anstarrte. „Haben sie einen unserer Unterhändler erwischt? Gewiß den holzköpfigen Meier.“
„Nein,“ sagte der Wirth, „die Polizei weiß zum Glück noch nichts von unserer Arbeit, oder ich hätte vielleicht nicht einmal Gelegenheit bekommen, Euch zu warnen, aber von anderer Seite sind wir beobachtet worden.“
„Von anderer Seite?“ sagte Franz erstaunt. „Das versteh’ ich nicht.“
„Rosel ist hinter unser Geheimniß gekommen.“
„Rosel?“
„Na,“ nickte Brendel, „wenn erst ein Frauenzimmer darum weiß, wär’s freilich Zeit, daß wir einpackten.“
„Aber wie um Gottes willen ist das möglich?“
Paul Jochus erzählte den ihm in der gespanntesten Erwartung zuhörenden jungen Leuten die Erlebnisse der gestrigen Nacht und seine heutige Unterredung mit der Tochter, verschwieg ihnen auch nicht, daß sie die Hand des jungen Adligen ausgeschlagen habe, weil er von jetzt ab beim Criminalamt angestellt sei und sie vor ihrem künftigen Mann kein Geheimniß haben könne und wolle.
„Bah!“ rief Franz verächtlich, „wenn weiter Niemand darum weiß, als Rosel, so hat’s noch keine Gefahr. Daß die uns nicht verräth, ist sicher, und jetzt wahrhaftig können wir die Sache nicht aufgeben, wo wir gerade Alles erreicht haben, was wir wollen. Die Banknoten sind so vorzüglich ausgefallen, daß sie der Finanzminister selber nicht von den ächten unterscheiden sollte. Wir wissen jetzt, daß wir’s machen können, und sollen nun mit diesem Bewußtsein die Flinte in’s Korn werfen, weil meine eigene Schwester Mitwisserin geworden ist? Es wäre reiner Wahnsinn, wenn wir’s thäten.“
„Du kennst die Rosel nicht,“ sagte der Vater ernst, „sie grämt und härmt sich schon jetzt die Seele aus dem Leibe.“
„Aber sie darf uns nicht verrathen,“ rief Franz rasch, „denn sie hat selber die Früchte unserer Arbeit mit genossen, also Theil an dem Betrug genommen. Daß sie deshalb dem langweiligen Jungen, dem Herrn von der Haide, den Laufpaß gegeben, war
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_746.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)