verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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dieses Jahrhunderts auf dem östlichen Thurm der Mainbrücke ausgesteckt sah. Indeß hatte das blutige Zwischenspiel die Geschlechter doch eingeschüchtert, und es kam 1616 ein Bürgervertrag zu Stande, wonach sich die Limpurger mit höchstens vierzehn, die Frauensteiner mit höchstens sechs Rathsstellen begnügen sollten. Von hier ab datirt der Verfall der Patricier. Allmählich mehr und mehr aus dem Rathe gedrängt, reclamirten sie jene Rathsstellen beim Reichskammergericht, wo die Streitsache Frankfurt contra Frankfurt eine stehende wurde und die Acten zu Bergen anwuchsen; noch 1817 beim neuerrichteten Bundestag, der sich jedoch für incompetent erklärte. Auf Fürsprache hoher Personen kam ein Vergleich zu Stande und die Stadt erklärte sich bereit, je Einen Limpurger und je Einen Frauensteiner in den Rath aufzunehmen, verwahrte sich aber nachdrücklich gegen ein hieraus etwa zu folgerndes Vorrecht und Präjudiz. Wirklich saß letzter Zeit kein einziges Mitglied der Geschlechter mehr im Senat; nur Ein Limpurger, Herr von Boltog, fungirt gegenwärtig noch als Vorstand der Stadtcanzlei.
Nachdem die Patricier sich so alles Einflusses beraubt sahen, verließen sie, wie erwähnt, großentheils ihre Vaterstadt und traten in fremde Dienste. Aber noch der letzte Staatskalender der weiland Freien Stadt Frankfurt zählt die „Hochadelige Ganerbschaft des Hauses Alten-Limpurg“ und „die Adelige uralte Gesellschaft des Hauses Frauenstein“ – wie er beide Geschlechter, um ihrem Rangstreite gerecht zu werden, sehr diplomatisch titulirt – namentlich auf. Nach diesen Verzeichnissen sind noch sechsundsechszig Limpurger und sechzehn Frauensteiner vorhanden. Unter jenen befinden sich jedoch nur noch dreizehn directe Nachkommen jener Familien, die einst die Stadt regiert, nämlich die Herren von Holzhausen, von Fichard, von Lersner, von Günderrode und von Eysseneck; alle übrigen sind neuere cives mulierarii, nämlich solche, die durch Anheirathung mit eines Ganerben Tochter Aufnahme gefunden haben, darunter auch der ehemalige preußische Bundestagsgesandte, Herr von Sydow, welcher mit einem Fräulein von Stein, einer Verwandten des großen deutschen Staatsmannes, verheirathet ist, und der jetzige preußische Civilgouverneur Freiherr von Patow, dessen Gemahlin eine geborene von Günderrode ist. In ihrer Vaterstadt leben gegenwärtig noch neun Limpurger und sechs Frauensteiner; von den auswärtigen befinden sich die meisten in österreichischen, würtembergischen oder baierischen Staats- oder Militärdiensten. In preußischen Diensten dagegen stehen außer Herrn von Patow noch zwei Limpurger: ein Referendar von Wasmer und ein Lieutenant gleichen Namens; ebenso zwei Frauensteiner: ein Herr von Heyden und ein Freiherr von Malapert, genannt Neufville, beide Officiere.
Wenn man diese Verhältnisse erwägt, darf man sich nicht wundern, daß die hiesigen Patricier stets zu Oesterreich gehalten haben, dem sie vielfach verbunden sind. Noch 1804 verlieh Kaiser Franz der Zweite beiden Geschlechtern ein Ordenszeichen, dessen Kreuz von den Limpurgern an einem weißen, grün geränderten Bande, von den Frauensteinern an einem gelben, schwarz geränderten Bande getragen wird. Es ist daher sehr begreiflich, daß das neue Preußen-Regiment unter den alten Patriciern bisher keine Freunde gefunden hat. Dennoch beruht die durch viele Zeitungen gegangene Nachricht, Herr von Patow habe die seinen Ganerbgenossen zugesandten Visitenkarten wieder zurückerhalten, auf einer Unwahrheit. Wie man mir von zuverlässiger Seite versicherte, haben im Gegentheil die hier lebenden Patricier die Artigkeit des Herrn von Patow umgehend erwidert, allerdings ohne darum mit ihm in weitern Verkehr zu treten; wie sie denn überhaupt und selbst ihren nichtadeligen Mitgliedern gegenüber sich reservirt und abgeschlossen halten.
Wenn also unter den Ueberresten der alten Geschlechter der Mangel an Sympathien für Preußen nicht besonders in’s Gewicht fällt, so ist es dagegen ein Anderes mit der eigentlichen Bürgerschaft, der, wie schon oben gesagt, auch die reichsten Handelsherren, die höchsten Magistrats- und Justizbeamten angehören; wo indeß im Großen und Ganzen die Stimmung nicht viel günstiger ist.
„Wir sind als freie Bürger, als Republikaner geboren,“ sagte mir ein gebildeter Handwerker. „Das bloße Wort ‚Unterthan‘ verletzt unser Selbstgefühl, ob wir auch damit, anstatt wie bisher einem kleinen Gemeinwesen, einer Großmacht angehören. Unzweifelhaft hat Preußen sich große Verdienste um Deutschland erworben, unzweifelhaft gebührt ihm die Führung in Deutschland, aber mußte es denn gerade Einverleibung sein?! Sehen Sie, das demüthigt, das schmerzt!! Unsere Stadt trauert um den Verlust einer vielhundertjährigen Reichsfreiheit, wir fühlen uns gewissermaßen degradirt. Und ich denke, Preußen muß diesen Schmerz ehren, wenigstens dulden. Wir müssen dem Unmuth unseres Herzens Luft machen, wie wir’s frank und frei auch unter der siebenjährigen übrigens sehr humanen Herrschaft des Fürsten Primas, wie wir’s selbst während der Occupation Frankfurts durch den französischen General Custine sonder Furcht und Scheu auf alle Gefahr hin gethan haben!“
Ein Kaufmann äußerte sich folgendermaßen:
„Ich für meine Person,“ sagte er, „habe mich bereits mit der Einverleibung ausgesöhnt, weil ich sie als nothwendig begriffen und weil ich hoffe, das übrige Deutschland wird uns bald nachfolgen, freiwillig nachfolgen. Aber billigen kann ich nicht die Art und Weise, mit der Preußen hier aufgetreten ist. Man hat uns schroff und hart behandelt, weit härter als z. B. Nassau oder Sachsen, als ob Frankfurt vor allen andern Staaten ein Capitalverbrechen begangen. Und was konnte man uns in Summa Summarum vorwerfen? Daß wir nicht preußenfreundlich gesinnt gewesen. Ganz richtig! Aber haben wir etwa Ursache dazu? Ist denn die bloße Gesinnung schon ein Verbrechen? Ich glaube, selbst im juridischen Sinne nicht. Weisen uns nicht auch unsere Beziehungen und Verbindungen, unsere Neigungen und Gewohnheiten, ja schon unsere geographische Lage auf den Süden hin, und das sollte plötzlich ein Verbrechen sein? War es nicht genug an der Einverleibung? Mußte man uns noch durch eine Contribution von fünfundzwanzig Millionen Gulden strafen? Sie war wirklich unerschwinglich, denn die öffentlichen Cassen standen leer, weil wir nur geringe Steuern zahlen, nicht mehr, als die laufenden Bedürfnisse erfordern. Jene Forderung ging daher dem Privatbesitz an den Hals und würde, wirklich ausgeführt, selbst Viele vom Mittelstande ruinirt haben.“
„Nun,“ entgegnete ich, „man hat davon Abstand genommen, man wird sogar die schon gezahlten sechs Millionen im städtischen Interesse verwenden.“
„Wenn’s geschieht, wird auch diese Wunde vernarben. Aber es muß wirklich im Interesse der Stadt geschehen, nicht etwa, wie man schon fürchtet, davon Casernen gebaut werden. – Einstweilen,“ schloß der Sprecher, „werden hier noch zwei Strömungen streng geschieden nebeneinanderlaufen: Frankfurter und Preußen; aber ich hoffe, allmählich werden sie sich mit einander vermischen und vereinen. Wenn’s nämlich die Preußen verstehen!“
„Das wird doch wohl an beiden Theilen liegen.“
Lange nicht so gemäßigt und resignirt äußerte sich ein Kreis von Personen, deren Bekanntschaft ich in einem öffentlichen Locale machte.
„Frankfurt’s Glanz und Reichthum ist gewesen,“ rief ein junger Mann, „für immer dahin! Der Bundestag hat der Stadt jährlich Millionen eingetragen. Der Geldmarkt wird sich nach Stuttgart und Basel ziehen. Die großen Bankiers werden Frankfurt verlassen, vielleicht sogar die Häuser Erlanger und Rothschild, und Rothschild hat die ganze rheinische Industrie in seinen Händen.“
Die Erwiderung auf diese Befürchtungen fiel mir nicht schwer. Die reichen Geldhäuser werden nicht auswandern, wenn sie sich erst überzeugen, mit welchen gewaltigen Mitteln Preußen das Frankfurter Geschäftsleben zu heben im Stande ist. Durch die neue Ordnung gewinnt nicht nur ganz Deutschland, auch jede einzelne Stadt. Und die Frankfurter werden als preußische Staatsbürger einst stolz darauf werden, die erhabene Pflicht, das Vaterland zu vertheidigen, selbst mit zu üben, nicht durch Söldlinge, auf welche die reichen Söhne der Geldbeutel bisher mit Geringschätzung herabsahen.
Frankfurt ist auch nicht durch die Gehalte der Bundestagsgesandten oder durch die von fremden Gesandten verschwendeten Summen groß geworden. Seine Selbstständigkeit und sein Wohlstand beruhen auf festerem und sittlicherem Grunde, sie beruhen auf dem Gewerbfleiß, der rastlosen Thätigkeit und weisen Sparsamkeit, der religiösen Toleranz und Tugend seiner Bürger seit vielen Jahrhunderten, und auf der günstigen centralen Lage der Stadt.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_742.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)