Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1866) 730.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Beim Criminalgericht!“ stöhnte Rosel und zog erschreckt ihre Hand aus der seinen.

„Nun, Herz, darüber hast Du doch nicht zu erschrecken,“ lachte der junge Mann, „denn es sichert ja unsere ganze Zukunft; aber das nicht allein – meine Mutter hatte am nämlichen Tage auch gute Kunde über einen in unserer Familie schon seit langen, langen Jahren geführten Proceß erhalten, der ein kleines Vermögen betrifft und bis dahin unsere sämmtlichen Mittel fast aufgezehrt hat. Jetzt sind wichtige Dokumente aufgefunden worden, die unser Recht ganz außer Zweifel stellen und eine für uns günstige Entscheidung bald, recht bald hoffen lassen. Die Einwendungen, die Dein Vater bis jetzt also gegen unsere Verbindung – und vielleicht mit Recht – geltend machen konnte, fallen nun ganz, und schon in kurzer Zeit hoffe ich Dich heimzuführen, mein süßes, liebes Kind. Aber stehe nicht so todt und traurig bei der frohen Kunde da, mein Rosel; mir schnürt es sonst das Herz zusammen. Was hast Du nur, Mädchen? Du siehst mich ja so scharf und forschend an, als ob ich Dir plötzlich ganz fremd geworden wäre – oder Du am Ende gar meinen Worten nicht glaubtest. Hab’ ich Dich je belogen, Rosel?“

„Nein,“ hauchte das Mädchen, indem es plötzlich, wie scheu, den Kopf abwandte, „Dir glaub’ ich schon Alles, was Du sagst – Alles, denn Du bist gut und brav und ich – will zu Gott beten, daß er Dich einst so glücklich macht, wie Du es verdienst –“

„Und liegt das nicht in Deiner eigenen Hand, mein Herz?“ sagte der junge Mann, indem er sie lächelnd an sich zog. „Sieh’ mir nur wieder so froh und vertrauensvoll in’s Auge, wie Du es früher in schwererer Zeit gethan, und ich verlange ja nicht mehr vom lieben Gott, denn er hat mir da seinen Himmel schon auf der Erde gegeben.“

Rosel litt, daß er sie an sich preßte, ja sie lehnte selbst ihr Haupt wie müde an seine Schulter – aber es war nur ein Moment; dann wand sie sich wieder, nicht hastig, aber entschlossen, aus seinem Arm, und ihm voll in’s Auge sehend, während in dem ihrigen eine große Thräne glänzte und es vollständig füllte, sagte sie ernst: „Und doch muß es sein, Bruno; doch muß ich heute – jetzt – für immer von Dir Abschied nehmen und kann Dir nicht angehören.“

„Rosel, sprich nicht so!“ rief Bruno ängstlich. „Deine Worte klingen wie aus einem Traume heraus – so fremd und kalt, als ob sie gar nicht aus Deiner eigenen Seele kämen, und Dein Blick hat dabei etwas so Eisiges, daß er mir bis in’s innerste Mark hinein schneidet. Was ist denn seit gestern Abend so Entsetzliches geschehen, daß Du in den paar Stunden wie verwandelt bist? Hättest Du doch endlich den Plänen Deines Bruders nachgegeben?“

„Den Plänen meines Bruders?“ rief das Mädchen voller Verwirrung.

„Der Dir die Verbindung mit seinem Compagnon, dem jungen arroganten Menschen, aufnöthigte?“

„Eine Verbindung mit dem?“ sagte Rosel schaudernd, „eher springe ich selber in den Rhein.“

„Aber was sonst kann Dich so bewegt, so Deinen ganzen Sinn geändert haben?“

„Frage mich nicht, Bruno, frage mich nicht meinet-, nein auch Deinetwegen. Ich darf und kann Dir die Gründe nicht, angeben, die mich zwingen, so und nicht anders zu handeln, wenn ich auch darum selber elend werden müßte. Nur Eines glaube mir: so treu wie ich Dir jetzt bin und immer war, so treu will ich Dir ewig bleiben, aber – ich werde nie heirathen. Was ich zu tragen habe, es soll allein geschehen, und nun leb’ wohl, Bruno. Halte mich nicht zurück; ein längeres Zusammensein mit Dir könnte mich wahnsinnig machen und zur Verzweiflung treiben, denn schon jetzt fühle ich es, wie die verrätherischen Worte nach den Lippen drängen. Leb’ wohl – schütze Dich Gott!“ Sie warf sich an seine Brust, umschlang ihn mit ihren Armen und preßte heiße Küsse auf seine Lippen; dann riß sie sich los von ihm – gewaltsam, als er sie noch länger festhalten wollte, und floh wie ein gescheuchtes Reh den Pfad hinab, der auf die Straße führte.

Bruno’s erster Gedanke war freilich, ihr zu folgen, aber aus den Büschen heraus erkannte er unten auf der Straße Menschen – was mußten die denken, wenn er hinter dem fliehenden Mädchen her geeilt wäre! Das Beste war, ihr Zeit zu lassen, daß sie die Stadt wieder allein erreichte, doch Abschied auf Lebenszeit hatte er nicht von ihr genommen und heute selber wollte er ihren Vater aufsuchen und ihm seine verbesserten Lebensaussichten vorlegen, denn von ihm ging – wie er nicht anders glauben konnte – jedenfalls der plötzliche Widerstand des Mädchens aus.

Langsam stieg er indessen zu der lange nicht besuchten Ruine empor; die frische Luft da oben that ihm wohl und lange lag er dort unter der epheuumrankten Mauer und schaute träumend hinab auf das friedliche Bild der kleinen Stadt, die mit ihren altersgrauen Dächern und rauchenden Schornsteinen zu seinen Füßen lag. Allein es ließ ihm keine Ruhe, denn nicht freundliche Gedanken waren es, die durch seine Seele zogen. Rosel – was um Gotteswillen konnte dem sonst so charakterfesten Mädchen durch den Sinn gefahren sein, daß es plötzlich über Nacht solche Idee gefaßt und sich und ihn unglücklich machen wollte?

Er stand auf und wanderte durch das alte Gemäuer, um der Gedanken ledig zu werden, aber es gelang ihm nicht. Selbst die steile, gefährliche Treppe kletterte er hinauf – vergebens. Aus der ganzen prachtvollen Aussicht heraus suchte und fand er nur das eine Haus, in dem sie wohnte, und seufzend stieg er die Stufen wieder hinab, um nach der eigenen Heimath zurückzukehren.

Rosel hatte inzwischen lange die Stadt erreicht und hörte, als sie das Haus, das sie auf demselben Wege wieder betrat, auf welchem sie es verlassen, daß ihr Vater auf sei und schon nach ihr gefragt habe. Er war in der Schenkstube gewesen, wo er von den zahlreich versammelten Gästen das nächtliche Abenteuer seiner Tochter erfuhr, und Bärbel flüsterte ihr, wie sie nur die Küche betrat, leise zu, sie möge sich vor dem Vater in Acht nehmen, der sei ‚fuchswild‘ geworden, als er von ihrem nächtlichen Spaziergange gehört.

„Es wird nicht so arg sein,“ hatte Rosel ruhig gesagt, während sie langsam die Treppe hinauf und in ihr Zimmer stieg, um sich das etwas wirr gewordene Haar frisch zu ordnen.

Kaum war sie damit zu Ende, als sie ein Geräusch an ihrer Thür hörte, und wie sie sich danach umdrehte, stand ihr Vater auf der Schwelle und sagte finster:

„Höre, Rosel, was hast Du denn die Nacht für dumme Streiche gemacht, he? Was soll denn das heißen? Schickt sich das für ein ehrbares und gesittetes Mädchen, wie Deine Mutter Dich, wie ich Dich erzogen habe?“

„Ich, Vater?“ sagte Rosel und sah den Mann fest und starr an.

„Ja, Du!“ sagte der Vater noch immer störrisch, aber ein eigenes, unbehagliches Gefühl beschlich ihn bei dem starren Blick. „Bist Du nicht bei Nacht allein in den alten Burghof der Wildenfels gelaufen?“

„Ja, Vater,“ sagte Rosel ruhig, „ich war oben.“

„Und wann?“

„In der Nacht, Vater.“

„Aber zu welcher Stunde?“

„Bleibt sich das nicht gleich?“

„Hm, ja, aber weshalb willst Du’s nicht sagen?“

„Ich will’s schon sagen, Vater. Es schlug gerade hier drunten in Wellheim zwölf Uhr, als ich die letzten steinernen Stufen hinaufstieg.“

„Und blos ’um einen Zweig abzuschneiden,“ rief der Vater erbost aus; „es ist wirklich zu toll für ein junges Mädchen, bei Nacht den einsamen, öden Weg zu machen.“

„Ich war nicht allein, Vater,“ sagte Rosel, ohne noch ihren Blick von ihm zu wenden, an dem der seine ebenfalls wie gebannt hing.

„Nicht allein?“ rief der Vater schnell, „und wer war bei Dir?“

„Gott,“ sagte das Mädchen, und ein schwerer Seufzer entrang sich dabei ihrer Brust.

„Schnack,“ rief der Alte unwirsch und blickte scheu zur Seite, „das heißt den Uebermuth auf’s Höchste getrieben, und wie leicht hättest Du ein Unglück nehmen können!“

„Auf der alten Burg, Vater?“ lächelte Rosel, aber die Worte klangen so unheimlich und der Vater, der sich vorgenommen haben mochte, sie tüchtig auszuzanken, wandte seinen Aerger einer anderen Seite zu.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_730.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)