verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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die man gegen eine Dame nimmt, keinen Augenblick aus den Augen gesetzt … ich kann Sie versichern, daß ich innigstes Mitleid mit ihr hatte, weil ich sah, wie furchtbar sie erschrak, wie tief sie sich die Suche zu Herzen nahm … sie ist so hübsch, so liebenswürdig, Ihre Frau Gemahlin; Sie dürfen mir glauben, daß mir meine Rolle schwer wurde.“
„Ich glaube es Ihnen,“ versetzte Ernst lächelnd.
„Darum,“ fuhr Herr Färber fort, „habe ich auch weniger daran gedacht, ihr Vorwürfe zu machen, als ihr das Unglück, welches sie über mich gebracht, recht kläglich und beweglich vorzustellen …“
„Das war sehr recht von Ihnen, Herr Färber, und was das Unwohlsein angeht, so wird es auch wenig zu bedeuten haben, man kennt das bei Frauen. Jetzt ziehen Sie sich an, damit wir uns auf den Weg zu Ihrem edlen ehemaligen Pseudo-Schwiegervater machen können. Ich habe Alles bisher versucht, diesen bösen harten Menschen zu erweichen und ihm Schrecken vor allen möglichen Processen einzujagen, aber nichts hat gefruchtet; heute, hoffe ich, finden wir ihn mürber.“
„Das gebe Gott,“ seufzte Herr Färber, „wenn dieser letzte Versuch ihm das unglückliche Blatt aus den Händen zu winden mißglückt, so ist Alles zu Ende. Ich muß meiner armen Braut dann Alles eingestehen, und wie werde ich vor ihr und ihren Eltern dastehen! Was wird mir übrig bleiben, als wirklich zu thun, was ich Ihrer armen Frau vorstellte, als wirklich fort von hier und in die weite Welt zu gehen! Sie glauben nicht, wie verzweifelt beklommen ich dieser Unterredung mit Grüler entgegengehe!“
„Haben Sie guten Muth,“ fiel Ernst beschwichtigend ein; „rüsten Sie sich nur und kommen Sie.“
Nach wenigen Augenblicken verließen beide Männer das Haus, um einige Straßen weiter zu wandern und vor einem stattlichen alten Gebäude, dessen Thürpfosten ein blankes Messingschild mit der Inschrift „J. J. Grüler, Wechselsensal“ trug, die Klingel zu ziehen. Die Thür öffnete sich und ein im Flur befindlicher Laufbursche übernahm es, die beiden Herren in das elegante Sprechzimmer des Herrn Wechselsensals zu führen und sie anzumelden. Sie hatten eine Weile zu warten. Endlich öffnete sich eine Thür, durch die man in ein mit mehreren Schreibern besetztes Comptoir blickte, und ein breitschulteriger, kleiner Mann mit einem grauen Gesichte, welches durch die weiße Halsbinde nur noch grauer wurde, in einem abgetragenen braunen Rock mit Schreibärmeln trat stürmisch in’s Gemach und rief in einem Tone, welcher durchaus nichts verbindlich Bewillkommnendes hatte, Ernst entgegen:
„Was wünschen Sie, womit kann ich dienen, Herr Rechtsanwalt? Ich sehe, Sie haben heute sogar auch Herrn Färber mitgebracht; wüßte nicht, daß ich dem Herrn Färber noch in etwas dienlich sein könnte…“ Der graue Mann maß die beiden Herrn mit förmlichen Wuthblicken.
„Es muß Ihnen allerdings ein wenig auffallend sein, mein werther Herr Grüler,“ entgegnete der Anwalt sehr ruhig, „daß ich noch einmal bei Ihnen erscheine, nachdem Sie vor einiger Zeit, als ich das letzte Mal als Rechtsbeistand des Herrn Färber bei Ihnen war, mich so entschieden abgewiesen haben. Aber ich denke, es liegt ein Novum, wie wir Juristen sagen, in der Sache vor, was Sie bewegt mich anzuhören und meine Vorschläge zu überlegen; Sie werden das Journal erhalten haben, welches ich mir erlaubte, Ihnen gestern Nachmittag zu übersenden …“
„Das habe ich allerdings erhalten, und wenn Sie darauf hindeuten mit Ihrem Ausdruck: ein Novum,“ rief Herr Grüler, zitternd vor Wuth und immer grauer werdend aus, „so muß ich Ihnen freilich Recht gehen. Das ist allerdings neu und noch nicht dagewesen, daß sich auch die Frauen der Herren Advocaten in die Sachen ihrer Männer mischen und Schriften gegen die Parteien in ihrer Art machen, in elenden Geschichten, die sie drucken lassen, vor aller Welt schwarz auf Weiß drucken lassen, um die Leute, welche sie so bloßstellen, auf immer zu ruiniren, um auf der Gasse mit den Fingern auf sie zeigen zu lassen! Aber das macht man freilich mit vielen schönen, tugendhaften, ästhetischen Redensarten und mit lauter verstellten Namen; so daß man die Heimtücker nicht packen, nicht vor Gericht ziehen, nicht als Verleumder und Ehrabschneider zur Strafe bringen kann, ja wahrhaftig, es ist neu, es ist ganz infam neu…“
Während Herrn Grüler’s Stimme bei diesen sich überstürzenden Worten sich immer mehr steigerte und eine gerechte Sorge weckte, daß bei seinem nächsten Punctum die Wände in’s Zittern gerathen würden, hatte sich Ernst ruhig einen Stuhl herbeigezogen und sich gesetzt.
„Ich bitte, Herr Grüler,“ fiel er jetzt ein, „erhitzen Sie sich nicht, um mir zu sagen, daß die Waffe, welche wir wider Sie gebraucht haben, keine ganz edle ist. Ich bin vollständig mit Ihnen einverstanden, daß wir nicht das Recht hatten, Sie als einen bösen und rachsüchtigen Mann der Welt zu denunciren, und noch weniger, Ihre unglückliche schuldlose Tochter so compromittirend in die Sache zu ziehen …“
„Aber zum Teufel, Herr, wenn Sie das selber sagen …“
„Gemach, gemach, Herr Grüler … ich sage das selber. Aber ich frage Sie auch, haben Sie in dieser Sache Recht? Hatten Sie Recht, als Sie Herrn Färber durch Ihre eigensinnige und egoistische Härte zwangen, in London ein Auskunftsmittel wider seinen Nebenbuhler bei Ihrer Tochter oder vielmehr bei Ihnen zu ergreifen, das allerdings leichtsinnig und tadelnswerth war und uns in dieses ganze traurige Zerwürfniß gebracht hat? Und jetzt, wo Herr Färber und Sie geschiedene Leute sind, haben Sie da Recht, sich auf seinem Lebenspfad in einen tückischen Hinterhalt zu legen, ihm den Weg zu seinem Glücke abzuschneiden? Haben Sie Recht, ihm das unglückliche Document vorzuenthalten, welches er so thöricht war, in Ihren Händen zu lassen? Die Rache um der bloßen Rache willen ist etwas Abscheuliches, Herr Grüler, und …“
„Predigen Sie nur, predigen Sie nur, Herr Advocat,“ sagte ingrimmig die Zähne knirschend der Wechselsal, „Sie werden mir das Document nicht aus den Händen predigen!“
„Möglich,“ erwiderte Ernst ruhig; „wahrscheinlich ist, daß ich es in der Tasche habe, wenn ich aus diesem Zimmer gehe. Und gewiß ist, daß ich nicht gehen werde, bevor Sie mich nicht ruhig angehört haben. Haben Sie mich verstanden, als ich sagte, daß Sie die erste Schuld an Allem haben und daß Sie uns diese letzte Waffe wider Sie in die Hände gezwungen? Wenn das ist, so möchte ich fortfahren …“
„Ich glaube kaum, daß es nöthig ist,“ schrie Herr Grüler dazwischen, „ich kann nicht absehen, was diese ganze Unterhaltung noch soll, und jedes Wort, das …“
„Diese Unterhaltung,“ fuhr der Rechtsanwalt dazwischen, „soll einen Vergleich herbeiführen zwischen Ihnen und meinem Clienten und mir.“
„Einen Vergleich … jetzt noch … ei, sieh mir doch, jetzt noch einen Vergleich … Sie müssen rasen, Herr!“
„Das Rasen ist auf Ihrer Seite, lieber Herr Grüler; Sie rasen so stark, daß all Ihre Schreiber drüben jedes Ihrer Worte hören müssen!“
Diese Bemerkung schien den Wechselsensal ein wenig betroffen zu machen. Er warf sich jetzt ebenfalls auf einen Stuhl und während er die Hände zwischen den Knieen zusammenfaltete, sagte er ruhiger und leiser:
„Nun, so reden Sie einmal aus, damit wir zu Ende kommen!“
„Ich wünsche nichts mehr, als das. Also, ich sagte Ihnen, daß wir vollständig einsehen, wie heimtückisch und ungerechtfertigt das Mittel ist, welches wir wider Sie gebraucht haben. Es wird uns demnach desto lieber sein, wenn wir es zurücknehmen können.“
„Zurücknehmen können? … was soll das heißen?“
„Das soll heißen, daß wir es ungeschehen machen möchten, wenn Sie es ermöglichten.“
„Jetzt, nachdem die ganze Sache schwarz auf Weiß in dem Journal steht, von Jedermann gelesen und mit Heißhunger verschlungen wird …“
„Herr Grüler, wenn ein Anwalt in Geschäftssachen zu seiner Gegenpartei spricht, so weiß er ganz genau, was er sagt. Ich erkläre Ihnen auf mein Ehrenwort, daß wir die Sache zurücknehmen, wenn Sie es möglich machen.“
„Ich … ich soll es möglich machen … ja, ist denn …“
„Es ist nichts Anderes zu thun, Herr Grüler, als daß Sie mit dem Document herausrücken. Geben Sie uns das Document, und das Journal, die Geschichte darin, welche eine so drastische Schilderung Ihrer Persönlichkeit, Ihrer Grausamkeit gegen Ihre Tochter, Ihrer bösen Rachsucht erhält und welche nebenbei Ihre Tochter so bloßstellt, verschwindet mit Einem Zauberschlage aus der Welt. Wo nicht, so wandert sie in zehntausend Exemplaren in jeden Club, in jedes Kaffeehaus, in jeden Lesecirkel unseres lieben
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_682.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)