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Seite:Die Gartenlaube (1866) 599.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

vor vierzehn Jahren nach Amerika, und es ist nicht ohne Nutzen, ihm auf seiner hiesigen Laufbahn zu folgen. Ihn umgab der Nimbus des durch Verfolgungen zum Märtyrerthum beförderten politischen und religiösen Agitators, und mit Wärme wurde er aufgenommen. Noch entsinne ich mich lebhaft des Sonntags, an welchem er im Shakespeare-Hotel, dem damaligen bevorzugten Sammelpunkte der gebildeten Deutschen in New-York, seinen ersten Vortrag hielt. Eine schöne, stattliche, majestätische Gestalt, trat er uns gegenüber, und majestätisch, prächtig, feurig verfloß der Strom seiner Rede. Stürmischer Beifall wurde ihm zu Theil, und mancher warme Händedruck kündete ihm den Dank der Hörer. Auf der kleinen Orchestertribüne aber, wo die verneinenden Geister sich gesammelt hatten, lautete das Urtheil: „Er spricht wie ein Pfaff!“ Ich weiß nicht, ob dies Herrn Dulon zu Ohren kam; sehr bald aber sollte er bemerken, daß die Elemente, welche ihn jetzt umgaben, weit von denen verschieden seien, an die er gewöhnt war, und es fehlte ihm durchaus die Gabe, diese Elemente zu beherrschen.

Ein wohlbestallter protestantischer Pfarrer als Redacteur der „Tageschronik“, als Herausgeber des „Wecker“, als Verfasser des Buches „Vom Kampf für Völkerfreiheit“, als republikanischer Redner und als politischer Flüchtling – das war in Deutschland ein Phänomen, welches in seiner Art nur von der, freilich vorübergehenden, Naturerscheinung des liberalen Papstes übertroffen wurde. Aber im liberalen Agitator war der Pfarrer, welcher gewohnt ist, Lesern und Hörern eine Autorität zu sein, nicht untergegangen, der freisinnige Theil des deutschen Elements in Amerika, unter dem ein Dulon allein wirken und auf den er allein rechnen konnte, hat sich vom Begriff jeglicher Autorität total losgesagt, und darum mußte der Pfarrer sehr bald Anstoß erregen, ohne daß ihm selbst oder sonst irgend Jemandem ein Vorwurf daraus zu machen war. Es wurde eine „freie Gemeinde“ gegründet, die ihn zu ihrem Sprecher wählte. Ich habe noch nie einen begabteren Redner gehört als Dulon, und es war eine Freude, seinen sonntäglichen Vorträgen beizuwohnen; aber an den Discussionsabenden, wo philosophische Themata von allen Seiten frei behandelt wurden, merkte Dulon sehr bald, daß er seiner Gemeinde keine Autorität, daß er nicht ihr Prediger, sondern eben nur ihr erwählter Sprecher sei. Statt diesen Verhältnissen tactvoll die rechte Seite abzugewinnen, war er thöricht genug, sich die fehlende Autorität erzwingen zu wollen.

Das ging nicht, es mußten Reibungen eintreten, bei Dulon machte sich eine immer größere Reizbarkeit geltend; die Verstimmung wuchs, und bald mußte der dem Sprecher warm befreundete Präsident, Doctor Aschenbrenner, in einer Generalversammlung das Geständniß ablegen, daß die Persönlichkeit des Herrn Dulon dem Gedeihen der Gemeinde hinderlich sei. Auch auf einem andern Felde sollte ihm der Beweis zu Theil werden, daß er seine Stellung in Amerika falsch erfasse. Es wurde auf Actien eine Zeitung, ein Sonntagsblatt, gegründet und Dulon’s Redaction übergeben. Er war felsenfest überzeugt, daß das Blatt in Amerika dasselbe Glück machen werde, wie einst die Tageschronik und der Wecker, daß sein Name hinreichen werde, dem Unternehmen die glänzendste Aufnahme zu sichern. Gaben wohlmeinende Freunde sich Mühe, diese kühnen Erwartungen auf ein den Verhältnissen entsprechendes bescheidenes Maß herabzustimmen, so war er sehr geneigt, das als ihm gebotene persönliche Beleidigung aufzufassen. Es kam, wie es kommen mußte. Das Blatt erschien, der theoretisirende Inhalt konnte unter dem Gezweig des grünen Lebensbaums, wo jegliche Theorie längst grau geworden, keinen Beifall finden, die Abonnentenzahl hob sich nur auf einige Hunderte, und nach Erschöpfung des kleinen Actiencapitals war es mit dem Sonntagsblatte vorbei. Den furchtbarsten Schlag aber versetzte Dulon sich dadurch, daß er in der letzten Nummer erklärte, die Deutschen in Amerika verdienten nicht, daß ihnen ein solches Blatt geboten werde, und das Zugrundegehen desselben gereiche ihnen zur unauslöschlichen Schande.

Ein solcher Abschied mußte Dulon die Bahn des öffentlichen Lebens in Amerika für lange Zeit, wenn nicht für immer, verschließen. Er gründete ein Kosthaus und gerieth, als es auch hiermit nicht ging, endlich in die Carriere, für die er nach meiner Ueberzeugung geschaffen ist, nämlich er etablirte eine Schule. Die Erfahrungen, welche er auf diesem Felde gesammelt, hat er selbst kürzlich in einem Werke, das ich als bekannt voraussetzen darf, dem. deutschen Volke vorgelegt. Leider hat er auch hieraus die persönliche Leidenschaftlichkeit nicht fern halten können, welche ihm in Amerika so manche bittere Prüfung eingebracht. Aber um das deutsche Schulwesen in Amerika hat Rudolph Dulon sich große Verdienste erworben und die Gerechtigkeit fordert, daß er den Lohn dafür ernte.

Kürzlich traf ich nach einer Reihe von Jahren wieder einmal mit Dulon zusammen. Sein Anblick erschütterte mich tief. Die majestätische Gestalt war unter der Last der Leiden gebeugt, die energische Stimme langsamer geworden. Auf meine Aeußerung, daß es mir sei, als hätte ich ihn erst vor Kurzem gesehen, erfolgte die schmerzlich betonte Antwort: „Es liegt doch viel dazwischen!“ Aber in den Augen glühte das alte Feuer, und greift ein friedliches Geschick hülfreich ein, dann wird der gebeugte Nacken des alten, braven, hochverdienten Mannes noch einmal wieder so gerade werden, wie je zuvor. Mögen die Deutsch-Amerikaner diese Kraft nicht rosten lassen! Nicht leicht ist sie zu ersetzen, und Dulon hat es verdient, daß er seine Laufbahn in dem segenvollen Wirkungskreise, in den er gehört, geliebt und geschätzt beschließe. Er ist ein großes Rednertalent und viele seiner Zuhörer hängen mit unendlicher Liebe an ihm.

Verweilen wir jetzt noch kurz bei einem Manne, welcher allerdings nicht werth ist, an der Seite der Andern genannt zu werden, und hier nur des Contrastes wegen seinen Platz finden möge. Vor etwa einem halben Jahr stellte sich eine Persönlichkeit bei mir ein, welche jemals gesehen zu haben ich mich nicht entsinnen konnte. Ein aufgedunsenes Gesicht, abgerissene Kleidung, das leibhaftige Bild geistiger und physischer Verkommenheit. Schüchtern trat er auf mich zu und sagte leise: „Erschrecken Sie nicht vor meinem Namen, ich bin – Dowiat!“ In der That erschrak ich und blickte ihn prüfend an. Und er war es, der früher so hoch angesehene Prediger der deutsch-katholischen Gemeinde in Danzig; mit Mühe ließ sich noch eine Spur von den sonst so schönen Zügen entdecken. Leise fuhr er fort, mir seine überstandenen Leiden zu schildern und um Mitleid, um ein freundliches Wort, einen Händedruck, eine nachsichtige Aufnahme zu bitten – er, der die herrlichsten Gaben ruchlos verzettelt, der an sich selbst zum frevelhaften Lügner geworden, der, zum Höchsten berufen, sich in den Pfuhl des Lasters stürzte, zuletzt sich den südlichen Freiheitsschändern anschloß und selbst ihnen noch zu schlecht war. Es wurde ihm kein Händedruck, kein freundliches Wort zu Theil, und leise, verstohlen, unbemerkt, wie er gekommen war, verschwand er wieder. Kurz darauf erschien seine Erklärung, daß er, des Jagens nach politischen Phantomen überdrüssig, wieder in den Schooß der Kirche zurückkehre und sich geduldig der unendlichen Gnade Gottes empfehle. Will er selbst seinen Gott noch betrügen, nachdem er die Welt betrogen? Diese Menschenruine fällt weder Amerika, noch seinen Verhältnissen zur Last, wohl aber hat man es vielleicht diesen zu verdanken, daß der Heuchler entlarvt worden ist.




Blätter und Blüthen.


Das transatlantische Kabel im Dienste der Wissenschaft. Neben der großen und bedeutungsvollen Rolle, welche das transatlantische Telegraphenkabel in internationaler, commercieller, maritimer und politischer Hinsicht von nun an in der modernen Welt zu spielen berufen scheint, ist dasselbe bestimmt, auch den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft, namentlich der Astronomie, der Nautik, der Meteorologie etc. die wichtigsten Dienste zu leisten. Die erste Anwendung dieser Art, welche das neue Kabel finden wird, besteht in der genauen Bestimmung der geographischen Länge der Insel Neufundland und folglich der richtigen Entfernung des amerikanischen vom europäischen Festlande, welche, ungeachtet zahlreicher, mit möglichster Sorgfalt ausgeführter chronometrischer Längenmessungen immer noch nicht mit der für gewisse astronomische und nautische Zwecke erforderlichen Genauigkeit festgestellt ist.

Unter geographischer Länge versteht man bekanntlich den östlichen oder westlichen Abstand eines Ortes von dem als Ausgangspunkt angenommenen Hauptmeridian, oder allgemein ausgedrückt, die Entfernung zweier Orte in der Richtung von Westen nach Osten. Da sich nun die Erde in vierundzwanzig Stunden von Westen nach Osten um ihre Achse dreht und in Folge dessen sämmtliche Punkte des Erdumfanges die Sonne nicht gleichzeitig, sondern nacheinander auf- und untergehen sehen, so ist klar, daß an den verschiedenen Punkten der Erdoberfläche in einem und demselben Augenblicke die Tageszeit eine sehr verschiedene sein und stets um so weniger betragen müsse, je

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_599.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)