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Seite:Die Gartenlaube (1866) 556.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

liegen, als er das bekannte Couvert, den braunen Lack und das Siegel mit dem Helm sah, und eilte aus dem Comptoir, um ihn zu lesen. Als er den Inhalt überflogen hatte, schlug sein Herz fieberisch.

„Die Aermste!“ rief er. „Jetzt klärt sich mir ihr Schweigen auf. Die liebt mich! Und – interessant – wie von Brief zu Brief ihre Liebe beredter wird! Das kindliche Lallen, das halb scherzhafte Geplauder ist ein durch alle Tonregister reichendes Klagen, eine schreckliche Elegie geworden. Neulich noch ein Kind und jetzt ein Weib, welch ein Weib! Nie hätte ich geglaubt, daß ihre Leidenschaft einer solchen Anschwellung fähig ist. Soll ich mich anklagen, so viel Leid über sie gebracht zu haben, soll ich mich freuen, so geliebt zu werden? In meiner Brust kämpft Alles durcheinander. O, die Handschriftenkenner haben Recht. In der Schrift liegt viel vom Charakter! Diese Buchstaben haben etwas so Festes, eine beinahe männliche Energie und doch wieder seh’ ich hier und da die Spuren von Unsicherheit der Hand – also das Mädchenhafte, Schüchterne, Zaghafte! Gleich will ich ihr schreiben. O, welche Wonnen erwarten mich im Frühjahr!“

„Hör’ Du einmal,“ sagte inzwischen der Schullehrer zum Gerichtsboten, der zugleich Briefausträger war, „die Vroni, die vordem beim Seewirth war, läßt Dir sagen, Du sollst einen Brief, der dieser Tage für sie ankommt, bei mir abgeben. Sie holt ihn selbst ab.“

Der Gerichtsbote, begreiflicher Weise froh, daß ihm der Gang in’s Gebirg erspart wurde, hatte dagegen nichts einzuwenden. Und wirklich, so schnell als es möglich war, erhielt der Schullehrer Seeburg’s Antwort, der eine Banknote beilag. Der Pfarrer konnte bezahlt werden und es blieb noch ein Rest, mit welchem man sich lustige Tage machen konnte. Aus seinen Verlegenheiten herausgerissen, war der Schullehrer nicht mehr gesonnen, seine Liebescorrespondenz weiter zu führen, wiewohl der Erfolg ein vollständiger war und es sich gezeigt hatte, daß er ein Männerherz zu umstricken und es sich tributpflichtig zu machen verstehe. Als sich aber nach einiger Zeit wieder harte Geldkrisen einstellten, wurde Balthasar Saiblinger nach langem Gewissenskampfe abermals verleitet, seine Feder in Vulcanengluth zu tauchen, um Seeburg’s Gutmüthigkeit zu prüfen. Diesmal forderte er nicht direct. Sein Brief athmete nur Sehnsucht und Liebe. Ein Büschlein Edelweiß, als Sinnbild nie verwelkender Gefühle, war ihm beigelegt. Auch dieser Brief hatte die gewünschte Wirkung, ebenso ein zweiter und dritter, die er in entsprechenden Zwischenräumen abfaßte.

Ostern war herangekommen. Saiblinger hatte indeß aus seiner treuen Erwerbsquelle gegen fünfzig Gulden geschöpft, aber nun war es auch an der Zeit zu erwägen, wie Seeburg’s Pfingstbesuch zu vereiteln wäre. Schon in seinem letzten Briefe hatte der Schullehrer Liebeshändel anzuspinnen begonnen, aus welchen sich ein Casus belli bilden sollte, damit er brechen könne und den Liebhaber vom Halse habe. Aber es wollte sich nicht machen. Seeburg’s Liebe flog darüber hinweg. Der Schullehrer beschloß, längere Zeit zu schweigen. Inzwischen hoffte er einen Ausweg zu ersinnen. Wochen strichen hin, ohne daß etwas geschehen war, und bis Pfingsten war es nicht mehr weit hin.

Es war ein schrecklicher Morgen, als der Gerichtsbote, welcher den Schullehrer für den regelmäßigen Besorger der Briefe an Vroni ansah, ein Schreiben Seeburg’s brachte. Die Anzeige stand darin, Seeburg werde mit aller Bestimmtheit am Pfingstsonntag eintreffen. Bis dahin waren nur sieben Tage. Dem Schullehrer war zu Muthe, als sei der Verderber schon da. Er sah ihn nach Vroni fragen, diese aufsuchen, sie zur Rede stellen. Es war unausweichlich, daß dabei Alles an’s Licht komme. Er sah Seeburg, Vroni und deren Bräutigam gegen sich Front machen; der Scandal war ungeheuer, seine Absetzung, vielleicht noch Aergeres, mußte die Folge davon sein. Ganz außer sich nahm er das erste beste Blatt und schrieb Folgendes:

     „Lieber Herr Seeburg!

Ich hatte gestern eine furchtbare Scene. Mein guter Ruf ist zerstört. Schon vordem habe ich viele Spöttereien und Nachreden erdulden müssen, denn die Leute haben gemerkt, daß wir etwas mit einander gehabt haben. Nun müssen mich wohl die Briefe verrathen haben. O mein Himmel, warum habe ich Ihnen geschrieben!

Gestern war bei uns Tanz. Kaum tret’ ich in den Tanzsaal, als alle Burschen auf mich zuspringen, mich verhöhnen und allerlei Schandliedel singen.

Ich kann nicht mehr hier bleiben. Noch heute verlasse ich den Dienst und gehe, soweit mich die Füße tragen.

Leben Sie wohl, für immer. Sie finden mich nicht mehr hier, aber was liegt Ihnen an mir? Sie können doch kommen! Dann würden Sie aber nur Anlaß geben, daß man wieder über mich rede. Ich beschwöre Sie also: kommen Sie nicht. Zeigen Sie sich nirgends weder hier, noch in der ganzen Umgegend. Ich habe nichts als meine Ehre. Vergessen Sie mich und auch mein Herz wird Ruhe finden.

13. Mai 1866.

Veronica Schöllerin.“




Mit begreiflicher Unruhe wartete Balthasar Saiblinger die Wirkung dieses Briefes ab. Fortwährend plagte ihn die Sorge, daß Seeburg’s Ankunft alle seine Unthaten an’s Licht ziehen werde.

„Leichter ist es,“ sagte er in einem Moment tiefster Deprimirung, „einen Verliebten auf den höchsten Berg, ja bis auf den Mond hinauf zu bestellen, als durchzusetzen, daß er zu Hause bleibe und sich Alles aus dem Kopf schlage. Das hätte ich bedenken sollen! Meine Briefe waren aber so gefühlvoll; das war nicht klug. Ich hätte früher an den Rückzug denken sollen.“

Inzwischen hatte sich ein Vorfall ereignet, der nicht danach angethan war, seine schwüle Gemüthsstimmung zu kühlen. Vroni, deren Hochzeit hinausgeschoben worden war, hatte sich mit den Schwiegereltern durchaus nicht vertragen, es hatte Streit gegeben und die Heirath war rückgängig geworden. Der Schulmeister war ganz niedergedonnert, als er eines Tags in’s Seewirthshaus kam und das Mädchen dort wieder bedienen sah. Gleich beim ersten Gespräche, das sie zusammen hatten, sagte Vroni:

„Jetzt reut’s mich, daß ich Dir nicht gefolgt habe. Ich hätte mich für die Halskette bedanken sollen. Sommerzeit ist da, und Herr Seeburg wird gewiß wieder kommen. Der wird eine schöne Meinung von mir haben und wird nichts von mir wissen wollen.“

„Daran bist Du allein schuld,“ polterte der Alte hervor, indem er die Stellung suchte, die er ihr gegenüber einzunehmen hatte. „Aber es ist ganz recht, Du solltest, da es einmal so ist, Dich schämen, mit einem Herrn Dich einzulassen, der Dich nicht heirathen kann. Wenn er kommt, solltest Du ihn nicht ansehen, ja ihm den Rücken drehen! So gehört sich’s für ein braves Mädchen!“

Vroni sah ihn betroffen an.

„Sieh’ mich nur an,“ fuhr der Schulmeister in höchster sittlicher Entrüstung fort. „Ihr Mädchen habt nur Ohren für das, was ihr gern hört, sonst müßte Dir bekannt sein, was die Leute über Dich und ihn reden.“

„Um Gotteswillen!“ rief Vroni. „Wer? Was?“

„Ich kann sie Dir nicht herzählen. Aber eine Lehre kannst Du Dir daraus abziehen, wie Du Dich in Acht zu nehmen hast.“

„Du hast Recht,“ sagte Vroni. „Ich hab’ es zu wenig bedacht. Nun, wenn er kommt, wird er nichts mehr von mir wissen wollen, aber ich weiß, daß ich gescheidter sein werde, als ich’s voriges Jahr war.“

Noth macht erfinderisch. Der Schulmeister wandte sich sofort an einen guten Nachbar, der neben ihm auf der Bierbank saß, und flüsterte ihm zu:

„Necke einmal die Vroni mit Herrn Seeburg. Geh’, mach’ mir den Spaß!“

Der Nachbar that es. Vroni war wie versteinert und sah den Schulmeister mit einem langen Blicke an, welcher ihm sagen sollte, wie Recht er mit seinen Rathschlägen gehabt.




Seeburg war inzwischen durch den Scheidebrief, den er unmittelbar vor seiner Abreise erhalten, in die unangenehmste Ueberraschung gestürzt. Er wollte die Reise aufgeben. So hätte der Schulmeister seine Absicht durchgeführt und die Gefahren der Entdeckung glücklich abgewendet, wenn es ihm nicht so gegangen wäre, wie so oft den raffinirtesten Verbrechern, welche das bestdurchdachte Werk durch ein ganz plumpes und bagatellmäßiges Versehen verrathen lassen, durch ein Versehen, wie es auch den unvorsichtigsten Menschen nicht gröber hätte passiren können. Der Schulmeister hatte nämlich, ehe er sich hinsetzte, den Scheidebrief zu schreiben, ein Blatt Papier hervorgekramt und in seiner Hast und Bestürzung dessen Rückseite nicht angesehen. Auf dieser stand die Bestellung einer Seelenmesse für einen Bauer, von seiner Hand geschrieben und mit seiner Unterschrift als Dorfschullehrer versehen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_556.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)