verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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sein. Wissen’s aber, Herr Camerad, ich wünschte schon, daß dieser verflixte Nachtmarsch endlich mal ein Ende nähme. Was zu arg ist, ist zu arg. Sechs Meilen marschirt bei Nacht und Regen, ohne nur eine Rast und einen Bissen zu essen. Ich sage Ihnen, Major Heide, denken’s an mich, wenn das so fort geht mit dem vertrackten Hin- und Hermarschiren, geht die ganze Armee zu Grunde, bevor noch eine Schlacht geschlagen worden ist.“
Das Anlangen mehrerer höheren Officiere bei der Gruppe auf der Anhöhe überhob den mit Major Heide angeredeten zweiten Bataillonsführer der Verpflichtung, auf diese freimüthige Herzensergießung seines Cameraden zu antworten.
„Da ist der Feldmarschall-Lieutenant in Person!“ hatte einer der Officiere ausgerufen.
„In der That,“ äußerte Major Heide mit einem Blick hinauf zu der Höhenkuppe, „es ist unser Corpsbefehlshaber. Nun denn, Herr Camerad, da meine ich, daß die Erfüllung Ihres Wunsches wohl noch lange auf sich warten lassen dürfte. Und in der That, da jagen auch schon die Adjutanten nach allen Richtungen.“
„Achtung, es wird marschirt! Bataillon Marsch!“ schallte das Commando. Mit einem in den Bart gebrummten schweren Fluche war der Major von T… zu seinem Bataillon gesprengt.
Stunden waren seit dem Halt bei dem Sattelberge von Hohenbruck verflossen und es mochte etwa um neun Uhr Morgens sein, als die Truppen nach einem abermaligen Gewaltmarsche wieder bei dem südöstlich von Trautenau gelegenen Höhenzuge anlangten. Ein heftiges Feuer bei oder in dieser Stadt hatte sie von Pilnikau wieder nach dieser Richtung zurückgerufen. Auch jetzt dauerte das Schießen noch an, ohne daß jedoch wegen der vorgelegenen Höhen das Object, um welches, und die Oertlichkeit, wo gestritten wurde, zu erkennen gewesen wären. Dagegen fiel aus der Gegend, wo bei Tagesaubruch das erste Gefecht stattgefunden hatte, kein Schuß mehr. Das der Brigade angehörige Jäger-Bataillon und das Bataillon T… vom Infanterie-Regiment Baron Welden befanden sich, das erstere nach Trautenau selbst, das andere auf den als Endpunkt des vorerwähnten Höhenzuges unmittelbar neben und hinter dem südlichen Ausgang der genannten Stadt gelegenen Capellenberg vorgeschoben. Der Rest des Wehrzuges lagerte unter dem diesseitigen Abhang dieses Berges auf dem Wege nach Hohenbruck, welches von dem neuen Lagerplatz nur etwa drei Viertel Stunden entfernte Dorf indeß wegen eines andern rückwärtigen Höhenzuges ebenfalls nicht gesehen werden konnte. Eine zweite österreichische Brigade rastete neben der ersten, noch eine dritte schien weiter abwärts nach rechts, hart hinter dem Kamm des Trautenauer Höhenrückens einen Lagerplatz bezogen zu haben, doch blieben von derselben wegen des Gehölzes, das sich nach dieser Seite von dem Capellenberge etwa bis zur halben Höhe desselben hinabzog, nur einzelne Abtheilungen und eine mehr zurück aufgefahrene Batterie zu bemerken. Der frische Morgenwind hatte die nächtlichen Regenschleier verscheucht und die Morgensonne strahlte von dem wolkenlosen Himmel in goldenem Glanze. Eine zauberhaft schöne Beleuchtung lag über der ebenso anmuthigen wie fruchtbaren Landschaft gebreitet. Die Capelle namentlich mit ihrem kleinen spitzen Thurme und ihren weißen Mauern oben im kühlen Waldesschatten bildete einen Ruhepunkt, von welchem sich das Auge kaum loszureißen vermochte.
Mit dem Anlangen der Truppen auf der neuen Lagerstelle war zugleich der langerwartete Provianttranssport bei denselben eingetroffen, und Dank diesem Umstande wie der gebesserten Witterung blieb deren Stimmung mit der von einigen Stunden zuvor durchaus nicht zu vergleichen. Das Knattern des nahen Gewehrfeuers schien bei diesen leichtblütigen und lebensfrohen Söhnen Siebenbürgens und Mährens vollends jede Spur der früheren Ermattung verscheucht zu haben.
Der Major Heide war mit seinem Adjutanten, einem jungen Lieutenant, und einem schon älteren Officier, den Gradabzeichen an dem Kragen seiner Uniform nach einem Hauptmann desselben Regiments, zu der Capelle hinaufgeritten. Der Erstere erschien trotz des erfreulichen Wechsels auch jetzt noch düster und in sich gekehrt, wie er es zuvor gewesen war, der Lieutenant trällerte ein fröhliches Liedchen zwischen den Zähnen.
„Was hast Du heute nur?“ richtete der dritte Officier, sein Pferd auf einer hervorspringenden Bergkuppe etwas verhaltend, die halblaute Frage an den Major.
„Ich? O, Nichts,“ erwiderte derselbe wie aus einem Traume emporfahrend. „Und doch,“ fügte er nach einer langen Pause mit bis beinahe zu einem Geflüster gedämpfter Stimme hinzu: „Ich weiß nicht, was mir ist; Du kennst mich, wir haben vor sieben Jahren damals in Italien, bei Magenta und Solferino, Seite an Seite gestritten, und früher schon, noch als junger Mann, habe ich in Ungarn in so manchem Kampfe gestanden, aber, was mich heute bedrückt, habe ich noch an keinem Schlachttage empfunden. Es lastet wie die Ahnung eines furchtbaren Unheils auf meiner Seele.“
Der Andere hatte einen fast bestürzten Blick auf den Major geworfen. „Pah, Unsinn!“ äußerte er endlich mit gepreßter Stimme, „schlage Dir die Grillen aus dem Sinn. Wie an so manchem früheren blutigen Tage werden wir auch heute unversehrt aus dem Treffen hervorgehen, wenn es noch zu einem solchen kömmt. Betrachte nur diese Position; die Preußen müßten mehr als tollkühn sein, wenn sie uns in derselben angreifen wollten.“
Die von dem augenblicklichen Standpunkte der drei Officiere vollkommen sichtbare österreichische Stellung konnte in der That unmöglich günstiger gedacht werden. Hart über dem südlichen Ausgang der in der Tiefe gelegenen Stadt ragte als Schlüssel zu derselben der bei sechshundert Fuß hohe Capellenberg empor. Ein dichter, hochstämmiger Fichtenwald zog sich nach dieser Seite etwa von dessen halber Höhe bis zum Gipfel hinaus und ging fünfzig bis hundert Schritt weiter aufwärts in ein Eichen- und Akaziengehölz über, welches sich über die ganze Kuppe dieser und der nächsten Höhen fortpflanzte. Mit Getreide bestellte, noch höhere Berge schlossen sich nach rechts oder gegen Norden in der ganzen Ausdehnung der Stadt an und fielen bei dem jenseitigen Ausgang derselben steil gegen die Aupa ab, von welchem allerdings für gewöhnlich wenig wasserreichen Flusse Trautenau von Nordwest nach Südost durchströmt wird. Das Schuß- wie das Gesichtsfeld zeigte sich von diesem Höhenzuge nach allen Richtungen völlig unbehindert und ein gewaltsames Ersteigen desselben mußte bei dem Mangel jedes Deckungsgegenstandes nahezu unmöglich erscheinen. Die Stadt an sich bildete noch ein neues Annäherungshinderniß an diese furchtbare Stellung, und die jenseitigen weit niedrigeren Höhen lagen überdies vollkommen in dem Bereich der Kanonen und unter der Beherrschung derselben. Nur ein einzelner, weiter südlich an der von Trautenau nach Königinhof führenden Landstraße und gerade gegenüber der Capellenhöhe gelegener Berg vermochte dieser Position gefährlich zu werden; allein die Lage desselben erschien andererseits doch zu entfernt und der Zugang zu demselben durch die noch österreichischerseits in Besitz gehaltene Stadt zu gesichert, als daß man vorläufig wegen desselben irgend eine ernste Besorgniß hegen sollte.
Das Gefecht schien nach dem über den Dächern der Stadt gelagerten Pulverdampf noch innerhalb derselben bei der an deren jenseitigem Ausgang befindlichen Aupabrücke und etwa bis zu der hochgelegenen Kirche und dem Marktplatz stattzuhaben. Die beiderseitige Artillerie kanonirte sich über Trautenau fort von den diesseitigen und jenseitigen Höhen. Geschlossene feindliche Abtheilungen, ja selbst einzelne Schützenzüge waren noch nirgend zu bemerken. Ueberhaupt aber trug der gegenseitige Zusammenstoß noch durchaus das Gepräge eines gelegentlichen Versuchs, die Standhaftigkeit des Gegners zu erproben, und nichts deutete preußischerseits auf die Absicht, einen ernsten Kampf herbeizuführen.
„Es ist nicht um meinetwillen, daß ich diese Beängstigung fühle,“ hatte der Major Heide mit einem kalten, gleichgültigen Blick auf die österreichische Stellung und das Gefechtsbild zu seinen Füßen auf die Bemerkung seines Freundes erwidert. „Mag mir dort oben auf dem Berge mein Ziel gesteckt sein, meinen Tod bin ich als Soldat und Officier meinem Kaiser und dem Vaterlande schuldig und für mein Weib und meine Kinder wird der Erstere Sorge tragen. Indeß der Gedanke, daß Oesterreich in diesem Streit unterliegen sollte, preßt mir das Herz zusammen, und eine düstere Ahnung, die ich seit dem Ausbruch des Krieges schon vergeblich zu bekämpfen versucht habe, verkündet mir: es wird unterliegen.“
„Na schaun’s, Herr Camerad, wie sie die Preußen da unten in dem Städtel in die Presse genommen haben,“ ließ sich, bevor noch der Hauptmann die schlimme Muthmaßung seines Freundes zu bekämpfen vermochte, die fröhliche Stimme des Major T… hinter den Dreien vernehmen. „Ich hab’s halt ja immer behauptet, unsere Jäger werden mit den preußischen Zündnadelgewehren schon fertig werden, und auch die Bürger von
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_490.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)