verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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Gestalten der unglücklichen Liebenden – statt ihrer umschloß der Fensterrahmen die gebietende Erscheinung des Blaubartes. Wie unberührt von dem Geräusch des zertrümmerten Kunstwerkes stand er einen Moment, die Rechte ausgestreckt, unbeweglich da, dann verschränkte er die Arme und blickte in dieser herausfordernden, beinahe hohnvollen Stellung unverwandt auf das Paar herab; der hinter ihm niederfallende dunkelblaue Vorhang ließ eine auffallende Blässe seines Gesichts doppelt hervortreten.
„Nun, der Nabob da drüben macht sich wohl einen Privatspaß und zerschlägt seine kostbaren Fenster, um sich neue anschaffen zu können!“ sagte spöttisch der junge Mann an Lilli’s Seite; „Wie er unverschämt herunterstarrt! … Ich hätte gute Lust, ihn für seine Frechheit zu züchtigen!“
Diese Drohung wurde jedoch in sehr zahmem Ton geflüstert und war offenbar nicht darauf berechnet, den Weg bis hinauf zum Thurmfenster zu machen. Lilli hörte sie kaum. Mit dem Verständniß eines erwachten Herzens begriff sie blitzschnell, was in dem Innern des Mannes da droben vorgehe; er litt unverkennbar. Sie fühlte den fast unbezwinglichen, leidenschaftlichen Wunsch, ihn beruhigen zu dürfen, aber beinahe ebenso schnell gewann sie die Herrschaft über ihre heftige Gefühlsaufwallung. Bei alledem blieb ihr der Gedanke unerträglich, daß der Anschein einer näheren Beziehung zu dem jungen Gecken auf ihr laste; deshalb erwiderte sie dessen zierliche Verbeugung mit einem kaum merklichen, stolzen Kopfnicken, und ohne noch einen einzigen Blick nach dem Thurmfenster zurückzuwerfen, schritt sie langsam nach der Laube.
Die Hofräthin war im Begriff in das Haus zu gehen. Sie hatte sicher den Lärm hören und auch seine Veranlassung sehen müssen; aber sie berührte den Vorfall mit keinem Wort und ermahnte Lilli, den Brautkranz fortzutragen, auf jeden Fall aber bei Uebergabe desselben die Leichenbittermiene wegzulassen, die sie nun schon den ganzen Morgen habe ansehen müssen. … Tante Bärbchen mußte tief, tief in dem Wahn stecken, daß der Puppenspielwinkel in Lilli’s Stübchen ein unfehlbares Präservativ gegen Herzenanfechtungen sei; wie hätte sie sonst die unverkennbare, tiefe Gemüthsbewegung in den Zügen des jungen Mädchens, die noch dazu fortwährend ein jäher Farbenwechsel überfluthete, für Niedergeschlagenheit oder gar üble Laune halten können! … Sie war eine geschworene Feindin der Kopfhängerei bei der Jugend und ereiferte sich deshalb Nachmittags auf’s Neue, als Lilli, hochzeitlich geschmückt, in das Wohnzimmer trat, und, wenn auch gezwungen lächelnd, doch noch immer so zerstreut und wie in sich verloren dreinschaute. Mit einer Art von komischem Zorn zeigte sie auf das Bild der Großmutter.
„Es sind häßliche Dinger, die schwarzen Pflästerchen da auf dem Gesicht,“ sagte sie „und ich hab’ nie begreifen können, wie ein Mensch sein ehrliches Gesicht so verderben mag; aber heute möchte ich sie am allerliebsten sammt und sonders auf Deine Stirn kleben, weil mich die Falte da grimmig ärgert… Dein Anzug sieht übrigens gut aus, aber es fehlt etwas, und zwar just das, was ich immer so gut hab’ leiden mögen, für ein junges Mädchen, ein paar frische Blumen an der Brust. Geh’ hinaus in den Garten und schneide Dir ein Sträußchen weißer Rosen ab; hast noch vollauf Zeit dazu.“
Zeit hatte sie allerdings; denn die Hofräthin hatte sie gezwungen, sich eine ganze Stunde früher anzukleiden, damit die Feier nicht durch eine säumige Brautjungfer verzögert werde.
Mechanisch schritt Lilli die Thürstufen und den Hauptweg des Gartens hinab. Ihr Kleid von starrer Seide rauschte über den Kies fast erschien dieser weiße, mattglänzende Stoff zu schwer für die elfenleichte Gestalt es jungen Mädchens, aber der Eindruck des Schwerfälligen wurde gemildert durch duftige Tüllbauschen und Spitzen, die Schultern und Oberarme umschlossen. Eine einzige, weiße Seerose, den mattgelb schimmernden Kelch voll blitzender Krystalltropfen, lag über ihrer Stirn; lange Schilfblätter mischten sich zwanglos mit den wundervollen Haarsträhnen und fielen auf den Nacken; hier und da leuchtete es wie ein blutigrother Tropfen aus dem tiefdunklen Haar, oder auf einer Blattfläche, der Schilfkranz war mit Korallennadeln befestigt.
Zu beiden Seiten des Weges dufteten weiße Rosen, aber Lilli berührte keine derselben; sie hatte schon wieder vergessen, weshalb sie den Garten betreten. Träumerisch schritt sie weiter. Sie wußte nicht, daß sie bereits das Bohnengehege passirte, welches einen Theil des nach dem Pavillon führenden Weges einschloß; erst, als die hohen, grünen Wände seitwärts aufhörten, und der Sonnenschein wieder voll und breit auf dem Kies lag, hob sie den Kopf … vor ihr lag der Pavillon, in demselben Augenblicke wurde die Thür von innen rasch aufgestoßen, und der Blaubart trat heraus.
Lilli stieß einen leisen Schrei aus und wollte in den Hauptweg zurückfliehen.
„Bleiben Sie, oder ich folge Ihnen in das Haus!“ rief er so laut und drohend, daß sie scheu und angstvoll nach dem Haus hinüberblickte, diese Stimme mußte ja bis in seine entferntesten Winkel dringen. Sie blieb wie festgewurzelt stehen, während er mit raschen Schritten auf sie zukam. Er fing ihren ängstlichen Blick auf, ein bitteres Lächeln zuckte über sein Gesicht.
„Beruhigen Sie sich,“ sagte er mit herbem Spott, als er vor ihr stand, „mein Anblick wird die Tante nicht erschrecken, aus dem einfachen Grunde, weil sie mich hier nicht sehen kann. Es geschieht ihr überhaupt kein Leid’s, so wenig wie ihrem Garten. … Haben Sie je eine niedergetretene Blume, oder umgeknickte Grashalme in der Nähe des Hauses, oder um jene Laube bemerkt? … Und doch habe ich in finsterer Nacht unzählige Male dort gestanden; gehe ich auch auf verbotenen Wegen, so weiß ich doch fremdes Eigenthum zu schonen… Jenem unwiderstehlichen Trieb, nächtlicher Weile hier auf feindlichem Terrain herumzustreichen, verdanke ich einen ganzen Schatz von Wissen; so z. B. weiß ich, daß Sie eben im Begriff sind, zur Hochzeit zu gehen; diese träumerische Seerose wird Opposition bei Ihren Freundinnen hervorrufen, die Ihnen durchaus brennendrothe Verbenen octroyiren wollten.“
Lilli hob die zornig blitzenden Augen zu ihm auf; heftige Worte drängten sich auf ihre Lippen, aber sein Anblick machte sie so bestürzt, daß sie nicht einen Laut hervorbrachte. Er hatte offenbar die Herrschaft über sich selbst verloren. Seine Gesichtsfarbe war noch fahler, als am Morgen, und die Lippen, die er zu einem spöttischen Lächeln zwingen wollte, sträubten sich gegen den Zwang und zuckten fieberisch. Er hatte bis zum letzten Wort den Ton beißender Ironie festgehalten; allein völlig gegen seine sonstige Art und Weise, nach der er zwar rasch und feurig, aber doch klar abwägend und markirend zu sprechen pflegte, stieß er Alles so hastig und gepreßt hervor, als ob ihm der Athem fehle.
Was sollte sie beginnen? Der Aufruhr in ihrem Innern war unbeschreiblich. Bei jedem höheren Aufbrausen seiner Stimme zuckte sie zusammen; die Furcht, daß die Hofräthin plötzlich hervortreten und ihn beleidigen könne, war abermals die vorherrschende Empfindung in ihr. Mit unsäglicher Anstrengung überwand sie den inneren Sturm und sagte ziemlich ruhig, wenn auch mit etwas vibrirender Stimme:
„Nun, da Sie wissen, was ich vorhabe, werden Sie auch wohl einsehen, daß ich mich nicht länger hier aufhalten kann –“
„O, Sie haben Zeit!“ unterbrach er sie. „Der Wagen wird erst um vier Uhr kommen, Sie abzuholen… Sie sehen, ich habe mich auf meinem Lauscherposten neben der Laube genau instruirt. Ja, wenn man einmal der Sünde verfällt, so geschieht es meist mit Haut und Haar! Meine Seele war ehemals rein vom Laster des Spionirens, rein, wie die Sonne am Himmel, und jetzt – sehen Sie die blauen Vorhänge da droben hinter den Thurmfenstern? Dort stehe ich lauernd und leide bisweilen auch die Strafe des Horchers, nämlich, das mit ansehen zu müssen, was ich verwünsche… Ja, ja, ich hatte heute Morgen einen unbezahlbaren Anblick! Er riß mich dergestalt hin, daß ich die Entfernung und jegliches Hinderniß übersah und meinte, mit einem Faustschlag das widerliche Insect fortschleudern zu können, das meine Blume berührte – und darüber gingen Romeo und Julie zu Grunde… Ah, diesem Romeo geschah ganz recht! Ich haßte ihn zuletzt bitter, war er doch so empörend glücklich! … Jener blondgelockte Adonis von heute Morgen, der ohne Zweifel Ihr Ritter bei der Hochzeit sein wird, er durfte Blumen aus Ihren Händen nehmen, so viel ihm beliebte; wenn ich nun in diesem Augenblick an Ihr Gerechtigkeitsgefühl appellirte und Sie bäte, nur diesen einen armseligen Zweig für mich zu brechen, Sie würden es nicht thun, ganz sicher nicht?“
„Ich habe kein Recht an diese Blumen, sie gehören meiner Tante.“
„Ah, vortrefflich geantwortet! … Was würden Sie erst sagen, wenn ich spräche: ‚Gehen Sie nicht zu der Festlichkeit,
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_483.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)