verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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„Natürlich, er hat mir den Anzug, den ich trage, geschickt, dann hat er mich abgeholt und in eine reizende Wohnung geführt, gestern war es; auch der Graf erschien auf kurze Zeit mit dem alten Herrn. Er, nämlich der Graf, versicherte mir, daß er mich liebe und mich mit Glanz umgeben wolle, doch solle ich drei Tage Bedenkzeit haben, denn sobald ich eingewilligt habe, verlange er Treue.“
„Lieben Sie den Grafen?“
„Nein, er gefällt mir wenig, aber ich wagte nicht, es ihm zu sagen.“
„Was aber, Mademoiselle, macht Sie so traurig, und warum erzählen Sie mir das Alles?“
„O mein Herr, weil Sie mich fragten und weil ich Sie in der Kirche fand – – ich möchte doch lieber nicht Lorette werden, denn noch bin ich es nicht.“
„Das ist ganz richtig gedacht, nur möchte ich wissen, warum Sie es nicht werden wollen; wenn ich dies weiß, dann erst kann ich vielleicht etwas thun, was Ihnen eine sichere, ehrenvolle Zukunft gründet“
„Ja, mein Herr, mit dem besten Willen kann ich Ihnen nicht so genau erklären, warum ich es nicht will; vielleicht ist es einfältig von mir, wie der Herr Pole spricht, vielleicht stoße ich mein Glück von mir. Eine meiner Bekannten, sie heißt Louison Lesueur, wurde mit mir im Waisenhaus erzogen; sie ist drei Jahre älter als ich, hat jetzt Equipage, einen prachtvollen Schmuck; o, ich sprach sie vor einiger Zeit, ihr Wagen hielt vor der Thür des Ladens, wo ich Blumen verkaufte, auf der Place Vendôme; sie ließ sich ein Rosenbouquet für fünf Franken geben und sagte, sie lebe wie im Himmel, aber doch –“
„Ihr Ehrgefühl sträubt sich gegen den Gedanken, Lorette zu sein; ist es nicht so?“
„Das nicht, denn die gebildetsten Mädchen sind es und die vornehmsten Herren fahren mit ihnen herum; sie haben prachtvolle Toiletten, Dienerschaft, es ist ja keine Schande, aber – der Graf gefällt mir gar nicht, und zuweilen kam ein junger Mann in den Blumenladen, er kaufte immer nur für einen halben Franken; wenn er Student wäre, ja dann wollt’ ich schon seine kleine Frau sein.“
„Spricht der junge Mann mit Ihnen?“
„Selten; er ist ein Deutscher, ein Maler, er weiß, daß ich ein wenig Deutsch verstehe.“
„Und haben Sie schon bedacht, daß, selbst wenn der deutsche Maler Sie als seine kleine Frau zu sich nähme, er Sie in einiger Zeit wieder verlassen würde?“
„Nein, wer denkt an die Zukunft? Weiß ich denn, ob ich morgen noch lebe?“
„Wenn aber der junge Mann Sie liebte, wenn er Sie erst zum Altar und dann in eine bescheidene Häuslichkeit führen wollte, würden Sie ihm lieber folgen als dem reichen Grafen, selbst wenn Sie nicht nur dessen Geliebte, sondern seine Gemahlin sein sollten?“
„Sicher, o ganz gewiß!“
„Und wie nennt sich mein Landsmann?“
„Es war einmal ein Freund mit ihm im Blumenladen der nannte ihn Max.“
„Aha, Max, jetzt glaube ich ihn zu kennen. Ein junger, schlanker Mann, gelocktes braunes Haar, große blaue Augen, Schnurrbart; ist diese Beschreibung richtig, Mademoiselle?“
„Sie trifft genau, mein Herr.“
„Und die Liebe, wahrscheinlich, wie Ihre Jugend schließen läßt, Ihre erste Neigung, hat Sie belehrt, wie viel, wie unschätzbar viel Sie verschenken wenn Sie Ihre Person ohne Ihr Herz an einen Mann für schöne Kleider und Luxus verkaufen. Armes Kind, das böse Beispiel, welches Sie vor sich sahen, und der Mangel an richtiger Erziehung hatte Sie beinahe dahin gebracht, den Weg der Schmach zu wandeln! Danken Sie Gott für Ihre Liebe zu meinem Landsmanne, welche Sie auf dem Pfade der Tugend erhalten wird.“
„Werden Sie Herrn Max sprechen, mein Herr?“ fragte sie lieblich.
„Heute noch; ich werde ihm sagen, daß ich Sie kenne, daß Sie ein sittsames Mädchen sind, vorausgesetzt, daß Sie das Haus, in dem Sie jetzt wohnen, sofort verlassen und in den Blumenladen zurückkehren, bis sich ein besserer Platz für Sie gefunden hat, was sicher nicht schwer sein wird.“
„Wollen Sie mir dazu behülflich sein, mein Herr?“
„Natürlich, geben Sie mir Ihre Adresse, Mademoiselle.“
Ich wechselte noch einige Worte mit ihr; sie sagte mir, daß sie jetzt nach ihrer Wohnung zurücklehren, ihre prachtvollen Gewänder ablegen und sich dann wieder zu der Blumenhändlerin bei der Place Vendôme begeben würde.
Als ich Mittags in den Speisesaal des Hotels trat, wo ich gewöhnlich mehrere Landsleute treffe, ward ich von meinem liebsten Freunde mit Gelächter begrüßt.
„Hoho, Du Eremit, Bücherwurm, blind für Frauenschöne, taub für Sirenengesang, was hast Du heut in Notre Dame gethan? Bist Du dort getraut worden, oder hältst Du Deine Stelldicheins an heiliger Stätte? Wer ist das reizende Wesen im schweren Gewand von violetter Seide, an dessen Seite Du wandeltest?“
„Himmel!“ rief ich erstaunt aus, „kann man in dieser Riesenstadt rein wie Schnee sein und dennoch der Verleumdung nicht entgehen?“
„Bester Freund,“ lachte mein Freund Georg, “der Zufall führte mich in die Gegend von Notre Dame, und ich sah Dich, das ist Alles.“
Nach dem Diner, als die andern Tischgenossen sich entfernt hatten, blieben Georg und ich noch bei Kaffee und Cigarren zusammen. Ich theilte ihm mein Abenteuer mit und schloß mit der Frage: „Könntest Du nichts für das arme Mädchen thun? Du bist viel länger hier als ich, hast in sehr angesehenen Familien Zutritt, vielleicht machtest Du eine passende Stelle für meinen Schützling ausfindig.“
„Deutscher Schwärmer!“ lachte Georg herzlich, „Du bist nicht wie ich zehn Jahre in Paris; ich kenne keine Familie hier, welcher ich ein so schönes Mädchen empfehlen möchte; übrigens, bester Georg, scheint mir Deine Unschuld aus dem Blumenladen sehr verdächtig. Sie hatte ihr bescheidenes Auskommen, trug eine reine Neigung zu unserm schönen Landsmann Max im Herzen, ließ sich aber nichtsdestoweniger bereden, eine elegante Wohnung, reiche Toilette etc. anzunehmen, und ist – wenn es sich bewahrheitet – nur deshalb noch nicht ganz gesunken, weil ihr Beschützer ihr persönlich mißfällt. Lehre mich solche Pariser Mädchen kennen!“
„Aber ich versichere Dir, sieh das Mädchen, sprich es –“
„Gut, ich will am Sonnabend mit Dir nach dem Blumenladen gehen, da wollen wir sehen, was für sie zu thun ist, um sie auf dem Pfade der Tugend zu erhalten; früher habe ich keine Zeit.“
Wir trennten uns, Georg lachend, ich in sehr verdrießlicher Stimmung über sein Mißtrauen. Den nächsten Morgen ging ich nach dem Louvre, um meinen Freund Max aufzusuchen; ich wußte, daß ich ihn dort finden würde, weil er mit der Copie eines berühmten Gemäldes von Rubens beschäftigt war.
„Da malst Du ein sehr hübsches Gesicht,“ sagte ich, „aber das Antlitz der Blumenverkäuferin unter den Arcaden bei der Place Vendôme ziehe ich vor.“
„Ah, die schöne Manon, blaue Augen, schwarzes, atlasartiges Haar –“
„Ja, sie ist Deiner werth, und Du machst ihr den Hof?“
„Werth? Hm, sie ist schön, deshalb kaufe ich alle Blumen, die ich für mein Junggesellenstübchen und zum Verschenken brauche, bei ihr.“
„Sie scheint Dich mehr als gern zu sehen.“
„Sehr schmeichelhaft, doch sieht wohl Manon auch andere junge Männer gern.“
„Hast Du keine ernstere Neigung zu ihr, Max?“
„Durchaus nicht; wenn ich überhaupt schon an Heirathen dächte und wenn das holde Blumenmädchen eine Deutsche, nur an Stand und Bildung gleich wäre, dann könnte ich vielleicht einen kleinen Roman spielen, welcher mit einer Heirath endete, aber wie ihre und meine Verhältnisse sind, wäre eine Liebesgeschichte ihrerseits Unsinn, meinerseits Unrecht.“
„Max sagte das so ernst, daß ich kein Wort mehr über die arme Waise sprach, aber eine Stelle wollte ich für sie finden. Am fünften Mai, an dem Tage wo das Denkmal Napoleon’s des Ersten mit unzähligen Immortellenkränzen geschmückt ist, traf ich der Verabredung gemäß Georg auf der Place Vendôme; er hing sich an meinen Arm und sagte: „Nun komm’, ich will mir die gerühmte Schönheit besehen.“
Im Blumenladen, dessen Duft mich fast betäubte, erblickte ich nur eine ältliche Frau und einen Mann, der ihr Gatte zu sein schien.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_394.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)