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Seite:Die Gartenlaube (1866) 356.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

von zehn bis zwölf Officieren ritt, und wandte sich dann an das Volk, um die übermüthige Frage zu thun, welche ihm zu Mainz ein lebhaftes Hoch eingebracht hatte: „Habt Ihr den Kaiser Franz gesehen?“

Franz der Zweite war im vergangenen Sommer, am 14. Juli, dem Jahrestage des Bastillesturmes in Paris, zum römischen Kaiser in Frankfurt gekrönt worden, und einige Stimmen aus dem Volke antworteten auf die wunderliche Frage des französischen Generals natürlich: „Ja!“

„Nun, Ihr werdet keinen römischen Kaiser mehr hier sehen!“ rief Custine stolz und, ohne es zu ahnen, prophetisch, denn Franz der Zweite war der letzte deutsche Kaiser. Aber kein Vivat, kein Jubel antwortete ihm, wie in Mainz – die Frankfurter blieben stumm, Viele zuckten die Achseln und kehrten sich ab. Wenn Mirabeau’s bekanntes Wort in der Nationalversammlung: „Das Schweigen der Völker ist die Belehrung der Könige!“ eine Wahrheit enthält, so konnte General Custine, als er durch das schweigende Volk ritt, gründlich belehrt werden, daß hier die Saat auf harten Boden gefallen sei. Es stimmte ihn nicht günstiger für Frankfurt. Er führte nun seine Regimenter, zwei Linien- und zwei Nationalgardenregimenter, in die Stadt, deren neue Garnison sie bilden sollten, während die bisherige zu weitern Razzias, wie man heute sagen würde, in das Hessische, namentlich zur Wegnahme der einträglichen Nauheimer Saline, bestimmt war. Der Obergeneral ritt dann nach dem Römer, wo sich unterdessen der Rath versammelt hatte. Hier fand er zu seinem Erstaunen eine ganz andere Haltung, als er bis jetzt gewohnt war: seiner Willkür preisgegeben, behauptete der Magistrat den Muth und die Festigkeit, ihn durch wiederholte Vorstellungen um Rücknahme der Contribution zu bitten und seine letzte Forderung, das Geschütz betreffend, abzulehnen. Daß es sich mit der Pflicht der freien Stadt gegen Kaiser und Reich nicht vertrug, ihre Vierundzwanzigpfünder den Franzosen zur Vertheidigung der eroberten Reichsfestung Mainz zu leihen, mußte Custine, wenn er es auch nicht zugab, selbst einsehen; um so mehr erbitterte ihn der Widerstand. Er kündigte dem Rathe an, daß er sein Hauptquartier nach Frankfurt verlegt habe und seinen Befehlen in jeder Hinsicht Nachdruck geben werde. Als er ziemlich brüsk den Römer verlassen hatte, um, im rothen Hause, wo General Neuwinger gewohnt, sein Quartier zu nehmen, blieb der Rath noch zusammen und beschloß, eine Deputation nach Paris an den französischen Nationalconvent zu senden, um dort die Gerechtigkeit zu erlangen, welche der General der Republik versagte.

In der Stadt herrschte Bestürzung unter den Wohlhabenden, eine dumpfe Gährung in den ärmeren Classen. Mit steigender Angst warteten die Familien der Rathsherren auf deren Heimkehr, und jedes Trommel- oder Hornsignal, mit denen die Franzosen bis auf diesen Tag für die kleinste Dienstverrichtung lärmen, erregte Besorgniß vor Gewaltmaßregeln. Es war bekannt geworden, daß der Rath dem „Custinus“ die schweren Geschütze rund abgeschlagen, und hatte den freudigsten Beifall in allen Schichten der Bevölkerung gefunden, die Frage war nur, wie man die drei Zeughäuser vertheidigen solle. „Man muß nicht abwarten, bis man geprügelt wird, Meister!“ sagte der Hanauer Geselle, als dieser Zweifel in der Werkstatt geäußert wurde. „Wer zuerst ausschlägt, hat einen voraus.“

„Zum Feierabend geht Ihr mir heute nicht aus, hörst Du, Sperber? Du gar nicht!“ befahl der Meister.

Sperber ließ es aber doch darauf ankommen, und wie er vor die Hausthür trat, sah er aus dem Nachbarhause, das dem reichen Hartinger von der Zeil gehörte, die alte Frau kommen, welche hier die Schlüssel führte. Er hatte sie schon kennen gelernt und grüßte sie. „So spät noch? Einen französischen Liebsten suchen?“ neckte er sie.

„Will Er mir einen Gefallen thun?“ entgegnete sie. „Ich muß zu meiner Herrschaft – es hat ein Unglück gegeben, sie wissen’s noch nicht, mein Herr hat eben zu mir geschickt aus dem rothen Hause, ich soll’s ihnen glimpflich beibringen. Will Er mir einen Brief auf der Post bestellen, den ich geschrieben habe?“

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem Schweizer Reiseleben.
Von H. A. Berlepsch.


Will man eine Vollblut-Caricatur aus der heiteren Zone des sommerlichen Touristenlebens zeichnen, so ist es fast zur stehenden Norm geworden, sein Müthchen an den blonden Söhnen Albions zu kühlen und eben jede auffallende Erscheinung dieser Art rundweg mit der Vermuthung zu erledigen: „Es wird wohl ein verrückter Engländer sein.“ Es hat seine Richtigkeit: in der großen Menge der Reisesüchtlinge, mit welcher die britische Insel unser europäisches Festland überfluthet, kommen höchst barocke Exemplare zum Vorschein, die sowohl durch die abweichende Art sich zu kleiden, als durch ihr dem deutschen Schollenbewohner ungewohntes Benehmen und die lässige Ungenirtheit, mit welcher sie ihre Ansichten, Bedürfnisse und Bequemlichkeitsansprüche in den Vordergrund schieben, ohne Rücksicht aus die sie umgebende Mitreisewelt zu nehmen, den Eindruck von Sonderlingen, Spleenköpfen oder Gesellschaftsflegeln machen. Aber noch lange nicht der vierte Theil sind Narren in dem Grade, wie man auf den ersten Blick glaubt, und auch andere Nationen schicken ihr Contingent origineller Käuze auf die Reise.

In England reist alle Welt, reist, wer Geld hat. Daß da, wo so viele auf den verschiedensten Stufen gesellschaftlicher und geistiger Bildung stehende Menschen durcheinander wimmeln, auch allerlei halb oder ganz im Gährungsprocesse der Speculation als Hefe zu Boden gesunkene oder als Gasblasen obenauf schwimmende Persönlichkeiten mit unterlaufen, ist natürlich. Diese sind es zumeist, die den Reise-Kladderadatsch illustriren. Dann aber auch ist ein guter Theil specifisch englischer Engländer, die es eben nicht für nöthig erachten, den Leuten unterwegs eine Convenienz-Komödie vorzuspielen und sich anders zu geben, als sie eben sind. Sie bringen ihre seit Jahren ihnen zur Natur gewordenen Gebräuche, Anschauungen und Ausdrucksformen mit herüber, und weil uns diese eben gerade abnorm vorkommen, so lachen wir darüber.

Auch in Deutschland fängt das Reisen an, Luxusartikel zu werden, und man sieht jetzt schon nicht minder ergötzliche Figuren in der Summe deutscher Wandervögel auftauchen, die dem beobachtenden Engländer jedenfalls ebenso komisch vorkommen mögen wie uns die transcanalischen Originale. Wenn bei dem Aufschwung, den Handel und Gewerbe erfreulicher Weise in allen Gauen Deutschlands nehmen, erst das Bedürfniß des Fremdeländersehens so in Saft und Blut des Deutschen übergegangen sein wird, wie beim weltmarktbedienenden Engländer, und wenn Jeder erst gelernt haben wird, den Ueberschuß seines Gefälligkeits-Dranges, seiner schüchternen Rücksichtsnehmerei und seines millionenumschlingenden, alle persönlichen Geheimnisse freiwillig offenbarenden Vertrauens abzustoßen, dann wird uns der praktisch reisende Ausländer in seiner Nüchternheit und in seinem unverkennbaren „Ich reise für mich und nicht für Andere“ – auch weniger auffallen.

Von solch’ einem urwüchsigen, personificirte „Ich bin Ich“ möge hier eine Wander-Erinnerung Platz finden, die diesmal aber in keinem „verrückten Engländer“, sondern in der Hülle eines vornehmen Russen sich geltend machte.

Die verstorbene Kaiserin von Rußland bereiste vor mehreren Jahren die Schweiz. Ihr leidender Zustand bedingte die größte Aufmerksamkeit und Rücksichtsnahme auf eine Menge kleiner Zufälle und Umstände. Schon Wochen lang war für sie und ihr aus etwa siebenzig Personen bestehendes Gefolge Wohnung in einigen der vornehmsten Hotels der Schweiz angesagt, in einem für längeren Aufenthalt, in anderen lediglich für die Durchreise. In einem derselben, in welchem sie zuerst in der Schweiz zu übernachten gedachte und dessen bedeutende Räumlichkeiten ausschließlich für diese kaiserliche Gesellschaft in Anspruch genommen waren, wurde mehrmals durch telegraphische Depesche die Ankunft der hohen Dame verschoben. Als sie dann wirklich das Hotel passirte, blieb sie jedoch nicht über Nacht in demselben, sondern nur wenige Stunden, mußte aber für ein Frühstück oder dergleichen eine scheinbar über alle Maßen kolossale Rechnung bezahlen. Wer mit den näheren Umständen genau vertraut war und die durch die wiederholte Verzögerung für mehrere Tage völlig brach gelegte Frequenz des sonst sehr belebten Gasthofes in der hohen Reisesaison in Betracht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_356.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)