verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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das Vergnügen, einer anderen hübschen Gesellschaft verwandter Geschäftsfreunde zu begegnen, der Bande des Cicho Ciancio, mit der wir einen ganzen Tag marschirten. Sie schien mir die gleichen Reisezwecke zu verfolgen, denn auch sie war durch Geschaftsstörer in Uniform aus ihrem Frieden herausgeschreckt worden. Ich fand zwischen den Briganten Cicho Ciancio’s und derjenigen Manzo’s keinen großen Unterschied. Nur fiel mir gelegentlich einer kurzen Pause, die zum Ausruhen bewilligt wurde, ein blutjunger Brigant auf, der sofort mit Scheere und Nadel zu hantiren und Kleidungsstücke zu flicken begann. Ich selbst hatte die Dienste eines „Regimentsschneiders“ sehr nöthig, da ich den Abfall verschiedener Knöpfe zu beweinen hatte, und bat den Jungen, die Constitution meiner Bekleidung wieder zu befestigen, ohne jedoch zu merken, daß ich keinen Er, sondern eine Sie vor mir hatte, nämlich eine ziemlich hübsche Brigantessa. – In unserem neuen Verstecke angekommen, bemühten wir uns, auf der den Briganten geschickten Karte, die uns seltsamer Weise von ihnen überlassen wurde, die Lage unseres Gefängnisses ausfindig zu machen. Dies gelang uns ganz gut und zwar mit Hülfe eines gewiß eigenthümlichen Umstandes. Es ist buchstäblich wahr: die Bande lagerte mit uns einem Orte gegenüber, woher wir regelmäßig und ganz deutlich die Trommelsignale der dort stehenden Garnison vernahmen! Und trotz dieser naheliegenden Hülfe konnten wir nicht gefunden werden! Ich muß es dem freundlichen Leser selbst überlassen, hierüber seine Anmerkungen zu machen.
Mit der zweiten Geldsendung, welche Matteo überbrachte, kam auch das Lösegeld für mich, die Summe von viertausend Francs, mit der ganz entschiedenen schriftlichen Erklärung, daß für Lichtensteiger Nichts mehr gegeben werde. Manzo gab sich, wenn auch ungern, mit der Summe zufrieden, nicht aber die Bande, und ich mußte während der Abwesenheit Manzo’s oft die Drohung der Banditen hören, ich müsse noch „Schnee essen“, d. h. getödtet werden. Wie groß die Summe war, die Herr Wenner zahlte, weiß ich nicht genau, drang auch nicht darauf es zu erfahren. Man sagt, er sei durch Vermittelung Giardullo’s für die Summe von einhundertundsechszigtausend Francs mit Manzo übereingekommen.
Da nur für mich und Herrn Wenner ein Lösegeld gefordert wurde, für die Herren Gubler und Friedli dagegen nicht, so richteten die Briganten ihre Behandlungsweise der Gefangenen nach diesem Umstande ein. Während die zwei Erstgenannten als Galantnomini mit „Don“ betitelt und zu keinerlei Dienstleistung angehalten wurden, mußten unsere zwei Freunde tagtäglich Holz sammeln, Feuer anzünden, Schnee herbeischaffen und dergleichen. Auch wurden sie nie mit Don angeredet, sondern einfach bei ihrem Taufnamen gerufen.
Unsere Unterhaltungen mit der Brigantenbande wurden in italienischer Sprache geführt. Unter uns selbst durften wir deutsch sprechen. Wir hatten diesen Umstand schon von Anfang an dazu benutzt, jedem der Briganten einen beliebigen Namen beizulegen, um so ohne deren Wissen von Jedem sprechen zu können. So hatten wir einen „Alten“, einen „Schuhmacher“, einen „wilden Teufel“, einen „Büffel“ u. s. w. Freilich mochten die Räuber zuweilen ahnen, daß sie der Gegenstand unserer zärtlichen Unterhaltung waren. Sie fragten uns deßhalb hie und da, über was wir sprächen. Natürlich waren wir um eine passende Antwort nie verlegen. –
Einst begab es sich, daß die ganze Bande abwesend war mit Ausnahme zweier ehrenwerthen Mitglieder, welche zu unserer Bewachung zurückgeblieben waren und sich mit dem Ausweiden einer geschlachteten Ziege beschäftigten. Die Schießwaffen lagen am Boden, die Versuchung zur Flucht trat entsetzlich nahe. Bald waren meine drei Gefährten entschlossen, der Waffen sich zu bemächtigen, über die beiden Wächter herzufallen, sie zu tödten und die Flucht zu ergreifen. Aber was dann? Wie wollten sie sich zurechtfinden? wer zeigte ihnen die Spur durch die unbekannten Wälder? Wie leicht mußte es den Briganten werden uns wieder einzufangen! Und was dann? Die Rache einer Brigantenbande heraufzubeschwören? Und gerade in dem Zeitpunkte eine Flucht von höchst zweifelhaftem Erfolge und mit blutbefleckten Händen zu unternehmen, wo wir doch schon einigen Grund zu der Hoffnung hatten, in nicht zu ferner Zukunft freigelassen zu werden, da die Familie Wenner bereits den größten Theil der geforderten Summe an unsere Peiniger überschickt hatte! Diese Einwendungen machte ich geltend und hatte meine Freude zu sehen, daß meine Freunde von ihrem Vorhaben abstanden. Was unser gewartet hätte im Falle einer mißlungenen Flucht, sollten wir an einem der nächsten Tage schon erfahren. Wir waren an einem ziemlich steilen Abhange eingeschlafen und Einige von uns rutschten während des Schlafes ganz unfreiwillig eine kleine Strecke den Abhang hinunter und kamen so in die Nähe der Waffen. Die Schildwache bemerkte es und die Bande gerieth in eine so gefährliche Aufregung, daß wir den ganzen Tag mit unsäglicher Mühe und Anstrengung die Leute versichern mussten, daß wir durchaus keine Absicht hatten zu entweichen.
Eines Tages war Manzo, begleitet von nur einem seiner Leute, in Geschäften abwesend. Dieser Begleiter verließ plötzlich seinen Capitano und stellte sich freiwillig der Behörde. Manzo hatte nichts Eiligeres zu thun, als sofort zur Bande zurückzukehren, um sein Versteck abermals zu verlegen und zwar an einen Ort, der auch dem Entlaufenen unbekannt war. Um zehn Uhr Vormittags – es war ein Tag voll stürmischen und kalten Regenschauers – gab Manzo den Befehl zum Aufbruche. Und fort ging es auf Wegen, welche halsgefährlich an Abgründen hinführten, fort ohne Rast und Ruh mit einer Eile, die ein schlechtes Gewissen als Locomotive und den hänfenen Strick im Rücken als Conducteur hatte; fort ging’s rastlos bis des andern Tages Abends sechs Uhr, so daß wir, die wenigen Ruhepunkte abgerechnet, zweiundzwanzig volle Stunden zu marschiren hatten. Die Natur hat mich nicht mit einem starken Körper ausgestattet und meine Constitution ist der Art, daß ich mich vor jedem noch so unschuldigen Luftzuge ängstlich in Acht nehmen muß. Und nun denke man sich meine Lage auf diesem zweiundzwanzigstündigen Marsche! Ich glaube, daß ich den Dolch des Banditen einer nochmaligen Wiederholung der Leiden dieser zwei Tage vorziehen würde. Mit dankbarer Anerkennung gedenke ich hier der vielen Freundschaftsdienste Gubler’s, der seinen Humor während der ganzen Schreckenszeit nie verlor; immer und überall war er mit Rath und That zur Hand, er war auch der Liebling der Briganten geworden und zwar in dem Grade, daß sie ihn ausforderten, bei ihnen zu bleiben und sich geschäftlich mit ihnen zu verbinden. Dieses Schelmen-Vertrauen mochte darin wurzeln, daß sie seine Kraft, seinen Muth und seine rasche Entschlossenheit aus eigener Anschauung kennen gelernt hatten.
Daß der Mensch ein Kind der Gewohnheit ist, das bewiesen auch wir. Wer hätte geglaubt, daß es einem Menschen, der bei Nacht und Nebel auf offener Straße, ohne Wissen der lieben Angehörigen von Briganten geraubt und ein Vierteljahr lang von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel geschleppt wurde, daß es einem solchen Unglücklichen noch einfallen könnte, mitten unter Briganten zu singen! Und doch war es so. Wir sangen, wäre es auch nur gewesen – um „des Todes Bitterkeit zu vertreiben“. Wir sangen die einfachen Volkslieder unserer Heimath, die nicht nur unser Gemüth weicher stimmten, sondern selbst des Wohlgefallens der Briganten sich zu erfreuen hatten, so daß diese uns öfters zum Singen aufforderten, ja den Versuch machten mit einzustimmen, was freilich ein verzweifeltes Beginnen war. Es war besonders die einfache Weise des: „Ich hatt’ einen Cameraden“, welche die Briganten elektrisirte, und bald waren einige unter dem Volke, welche die Melodie auswendig konnten und häufig prakticirten.
Der Gesang sollte aber bei Gubler auch zum Disciplinarmittel gegenüber der Bande werden. Einige Briganten hatten ihn einmal erzürnt und er beschloß Rache zu nehmen. Des Nachts, als Alle im tiefsten Schlage lagen, fing er so laut und anhaltend an zu singen, daß selbst Kaiser Rothbart an seinem Marmeltische im Kyffhäuser aufgewacht wäre. Die Bitten und Drohungen der edlen Bruderschaft halfen nichts, und erst unsern Vorstellungen folgte der Sänger und beendete sein Concert aus Fra Diavolo.
Die Disciplin in der Bande Manzo’s war nicht weit her und es gelang dem Capitano nie, die Zügel straff zu halten, obgleich er ein Bursche von großer Intelligenz und Entschlossenheit ist. Ein gewisser Zug natürlicher Gutmüthigkeit war es, dem die laxe Zucht der Bande ihr Dasein verdankte. Der einzige mit der größten Leidenschaft gehegte Zeitvertreib der Leute war das Spiel und zwar das Spiel um hohe Summen. Manzo selbst spielte nicht mehr, obgleich er anfänglich einer der leidenschaftlichsten Spieler gewesen sein soll.
Sobald wieder eine Geldsendung angekommen und Jeder im Besitze seines Antheils war, so begann das Spiel nach dem Satze:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_314.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)