verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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das Bezahlen dieser Summe handle, „denn diese Herren werden wohl mit sich markten lassen,“ setzte ich in deutscher Sprache hinzu. Genug, Wenner schrieb den verlangten Brief. Von mir verlangte Manzo 100,000 Ducati, obschon ich auf seine Frage, wieviel ich denn bezahlen wollte, nur tausend Francs anbot; „all’ mein Hab und Gut,“ fügte ich bei und versicherte ihm zugleich, daß ich nicht italienisch schreiben könnte. Dabei bemerkte ich noch, daß ich, als Angestellter der Fabrik, keineswegs über solche Summen zu verfügen im Stande sei. Die Briganten aber behaupteten, ich hätte eine reiche Fabrikantentochter geheirathet, sei Antheilhaber der Firma und dergl. Dazu kam noch ein Umstand, der mir beinahe hätte gefährlich werden können. Am Abend meiner Gefangennehmung trug ich zufällig das Paar Stiefeln, das ich mir zur Hochzeit hatte machen lassen. Der dienstfertige Schuhkünstler hatte in übergroßem Eifer zu Ehren des Tages auf den Sohlen eine Zeichnung, gebildet aus Messingstiften angebracht. Dieser unzeitigen Künstlerlaune meines Schusters verdankte ich es, daß die Banditen des festen Glaubens lebten, meine Stiefeln seien mit Gold beschlagen und deren Träger müsse nothwendig ein „Vollwichtiger“ sein.
Inzwischen hatte Wenner seinen Brief nach dem Dictat des Capitano fertig geschrieben. Manzo nahm ihn und gab denselben dem wohl zu diesem Zwecke mitgeschleppten Wasserwächter zur Ueberbringung an Herrn Wenner.
Nun wurde uns Essen gereicht. Ich bemerke hier, daß die Nahrung der Briganten durchweg aus geräuchertem Schweinefleisch, Speck, Käse und altbackenem Hausbrode bestand. Zuweilen gab’s auch frisches Fleisch und Macaroni. Mangel mußten wir selten leiden, daß aber von Leckerbissen für einen verwöhnten Gaumen keine Rede sein konnte, brauche ich kaum zu sagen. Bei unsern Mahlzeiten hatten wir weder Gabel noch Löffel, und bei der Zubereitung der Speisen ging es meist so urwüchsig zu, daß nur der allzeit beste Koch, der Hunger, zum Essen einzuladen vermochte. Mehrere Male brachten sie junge, lebende Ziegen in das Versteck und schlachteten sie hier. Wein wurde uns während der Gefangenschaft zwölf Mal gereicht. Einmal war ein solches Quantum vorhanden, daß beinahe alle Glieder der Bande benebelt waren.
Man kann sich kaum eine Vorstellung von der Stimmung der Unsrigen machen, als der verhängnißvolle, von Manzo abgeschickte Bote auf der Fremdencolonie in Salerno ankam. Diese Stimmung wurde noch gedrückter, als man auf jedem neapolitanischen Gesicht die ausgeprägteste Schadenfreude lesen konnte, obschon die Neapolitaner in den gesuchtesten und gewundensten Phrasen ihre Theilnahme heuchelten und sogar eine Art von Thränen vergossen, die wir an gewissen Reptilien des Nils bewundern.
Daß unsere Angehörigen nicht diejenigen Maßregeln getroffen, wie dies bei dem Engländer Moens geschehen ist, gereichte uns zu großem Vortheile. Es wurden uns eine Menge Strapazen erspart, die uns bei militärischer Verfolgung der Bande nothwendig hätten treffen müssen. Zudem wurden wir frischweg mit dem Tode bedroht, falls Truppen den Versuch machen sollten, uns zu befreien.
Der Brief Manzo’s hatte nicht blos die genannte Summe gefordert, sondern nebenbei auch eine Anzahl von Uhren, obgleich die Banditen uns unserer goldenen Uhren schon beraubt hatten. Ich konnte meine goldene Kette verstecken und sie blieb auch unentdeckt. Im Weitern waren Ohrringe verlangt worden, Revolver, eine genaue Karte von Neapel, selbst Hunde. Wir baten für uns um warme Kleider. Eine Abschlagszahlung nebst den übrigen Gegenständen, – mit Ausnahme der Hunde – wurden gesandt. Auch Kartenspiele wurden mitgegeben, um den Unglücklichen die tödtliche Langeweile erträglicher zu machen. Zum Sendboten an die Bande ward ein in der Fabrik angestellter Wächter gewählt, Namens Matteo, der früher ebenfalls Viehhirt gewesen war und deshalb die Gegend und die zur Uebergabe der Gelder bestimmten Orte ganz genau kannte. Wie und wo dieses geschah, haben wir nie in Erfahrung bringen können. Gewiß ist nur, daß Manzo meist das Ueberbrachte in Empfang nahm und ganz genaue Empfangsscheine über das Erhaltene ausstellte. Hieraus erkläre ich mir seine öftere Abwesenheit von der Bande. Im Uebrigen hielt die Familie Wenner Alles so geheim wie nur immer möglich, was gewiß äußerst klug war.
Die Bande war eines Tags gerade mit der Mahlzeit beschäftigt, als aus ganz geringer Entfernung plötzlich Trompetensignale an unser Ohr schlugen. Alles raffte sich auf, Manzo befahl einem Theil der Bande mit den Gefangenen so schnell als möglich zu fliehen, während er selbst mit dem Rest sich langsam zurückzog, Alles im Stiche lassend, was an Speisen, Kleidungsstücken etc. auf dem Boden herumlag. Manzo hatte die höchste Zeit gehabt. Nicht lange nachher konnte er durch sein Fernrohr ganz deutlich sehen, wie ein Truppendetachement sich eingefunden und wie eine Schildwache auf dem verlassenen Lagerplatze auf- und abging. Die von der Bande zurückgelassenen Gegenstände wurden nach Salerno geschickt, und unter diesen erkannte man die uns angehörenden Dinge. Doch für uns hatte die Stunde der Befreiung noch nicht geschlagen. –
Auf dem Marsche, den wir zur Aufsuchung eines neuen Versteckes nach dem erzählten Ueberfalle antreten mußten, hatten wir
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_313.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)