verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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dauernden Wohnsitz. Bald entwickelte sich nun ein reges Leben auf dem Schlosse; Besuch zog von allen Seiten herbei, zunächst die adelige Nachbarschaft, dann auch die Fürsten der nahen thüringischen Höfe selbst und zwischen diesen vornehmen Gästen manche bescheidenere Lichter, namentlich Professoren von den nächsten Gymnasien, gleichsam Vorläufer der später zu den regelmäßigen Gästen zählenden dichterischen und gelehrten Notabilitäten.
Woher weiß ich denn aber das Alles so genau? Das ist schwer zu errathen. Aus jener ersten Bettenburger Zeit lebt Niemand mehr, die gedruckten Nachrichten über sie liefern nur Spärliches und meist zerstreut in den Schriften der Gäste, und selbst der gegenwärtige Herr der Burg steht im Alter jenen Tagen seines Großonkels zu fern für Beobachtungen dieser Art, und doch verdanke ich sie ihm allein und spreche ihm, dem Freiherrn Ernst von Truchseß auf Bettenburg, hiermit meinen Dank dafür aus, denn zu den vielen beschreibenden und bildlichen Mittheilungen, mit welchen er meine Arbeit unterstützte, legte er auch das Buch,
welches aus dem eigentlichen Ursprung der Bettenburger Tafelrunde, der großartigen Gastfreundschaft des Freiherrn Christian von selbst hervorgegangen und großentheils von seiner Hand geschrieben ist: die „Bettenburger Trinkgelder-Berechnungen von 1788 bis 1826“.
Ist dieses starke Heft in Quart von dauerhaftem Conceptpapier mit seinem einfachen Inhalt von Datum, Namen und Trinkgeldsumme auf den ersten Einblick nur ein Zeugniß für die väterliche Fürsorge des Freiherrn für Ordnung und Eintracht in seiner Dienerschaft, so werden doch, je weiter wir darin blättern, Namen und Zahlen immer bedeutungsvoller und schließlich spricht aus ihnen ein großes, gestaltenreiches Lebensbild. Dieses Trinkgelderbuch ist nun unser nächster Führer. Sollten namhafte Personen ohne Trinkgeld davongegangen sein, so trifft sie nur die gerechte Strafe für ihr Vergehen an der Bettenburger Dienerschaft, denn ihre Namen verschweigt, wie das Buch, so unser Artikel.
Als der erste fürstliche Gast betrat die Burg am 10. October 1791 der Herzog Georg von Meiningen. Ein Dreißigjähriger kam zum Sechsunddreißigjährigen, Beides rührige Geister vom besten Willen und auf gleicher Bildungsstufe. „Fürstenglück und Volksfreude gehören bei mir immer zusammen!“ äußerte der junge Fürst oft, und trieb es doch der Freiherr ganz so im Kleinen, wie es der Herzog eben auch nicht im Großen treiben konnte. Ebenso einig waren Beide in der Pflege des Schönen, der Kunst und Natur und in der Verachtung gegen Jeden, mochte er noch so hoch und vornehm im Leben dastehen, der die heiligen Forderungen der Humanität unerfüllt ließ, und ebenso einig im Widerwillen gegen thörichten Adelstolz; seine offen ausgesprochene Achtung vor dem bürgerlich ehrbaren Stand hatte dem Freiherrn als Officier sogar einen höchst lebensgefährlichen Zweikampf zugezogen, den einzigen, zu welchem er sich genöthigt gefunden. Kurz, die Freundschaft Beider war geschlossen; Georg kam nun jedes Jahr, bisweilen mehrmals, auf die Bettenburg, und wohl eben so oft Truchseß nach Meiningen und ward später sogar Gevatter seines fürstlichen Freundes.
In Meiningen machte Truchseß die erste persönliche Bekanntschaft mit damals hervorragenderen Dichtern und Schriftstellern; dort schloß er den Freundschaftsbund mit Ernst Wagner und Friedrich Mosengeil, mit dem ausgezeichneten Numismatiker von Donop und mit dem Verfasser des ausführlichsten Werks über das Thüringer Waldgebirge, dem Erzieher des Herzogs Georg, Präsidenten Heim, dessen berühmter Bruder, der „alte Heim“ in Berlin, ebenfalls im Trinkgeldbuch der Bettenburg als Gast steht. Vor Allem aber setzte der Mann, der jenen Meininger Heim „einen Kopf“ nannte, „aus dem man prächtige Funken herausschlagen kann – einen wahren Vesuv voll glühender Geisteslavaströme“ – Jean Paul nicht blos den Herzog Georg, sondern auch den Freiherrn von Truchseß in Feuer und Flammen. Das gab ein inniges Zusammenleben und herrliches Funkensprühen verwandter Geister voll jugendlicher Kraft. Georg war des großen Dichters Hausfreund. Wie oft setzte er sich bei ihm mit zu Tisch, den Jean Paul’s schöne, junge Gattin Caroline schmückte, und wie oft hörte die untere Marktstraße der kleinen Residenzstadt des Herzogs Ruf: „Jean Paul, kommen Sie doch schnell herunter!“ wenn er ihn zur Spazierfahrt abholte. Auch der „Bettenburger“ war bald von Jean Paul als „der letzte Ritter“ erkannt und er gewann sein ganzes Herz, als er einst bei froher Tafel die Stimmung Aller in den Trinkspruch faßte: „Jung waren wir, jung sind wir, jung bleiben wir, zur ewigen Jugend erwachen wir!“
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_293.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)