verschiedene: Die Gartenlaube (1866) | |
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mit geläufiger Zunge die merkwürdige Begebenheit auf Gnadeck mittheilte, den Damen die Zeitung vorgelesen. Hätten Helenens Blicke nicht überrascht an den Lippen der Erzählenden gehangen, so wäre ihr sicher die plötzliche Veränderung in den Zügen ihres Vetters nicht entgangen. Athemlos, mit dem Ausdruck höchster Befriedigung hörte er zu. Die gefundenen Kleinodien hatten sich auf dem Weg über die verschiedenen Lippen zu einem „unermeßlichen Werth“ gesteigert und der einfache Sarg der schönen Lila war zu purem Silber geworden.
Auch die Baronin hatte die auffallende Umwandlung in dem bisher so mürrischen Wesen ihres Sohnes nicht bemerkt und schleuderte ihm, infolge jener bitteren Zurechtweisung Helenens, logischer Weise einen von dem jungen Mädchen ungesehenen Zornblick zu. Sie war jedoch sehr erstaunt, ihn plötzlich Helenen näher rücken zu sehen. Er legte das gestickte Rouleau im Nacken der jungen Dame zurecht und schob das Bouquet in der Blumenvase näher zu ihr hin, damit sie den Blumenduft bequemer einathmen könne.
„Helene hat ganz Recht, Mama,“ sagte er, einen sehr freundlichen Blick auf das junge Mädchen werfend, der mit einem glückseligen Lächeln erwidert wurde. „Es kommt Dir am wenigsten zu, den guten Adel der Familie anzufechten.“
Obgleich es ihr ein entsetzlicher Gedanke war, daß die bisher so tief unter ihr Stehende jetzt neben ihr stehen und an Reichthum sie sogar bedeutend überragen sollte, war die Baronin doch klug genug, die bittere Entgegnung, die ihr auf den Lippen schwebte, zu unterdrücken und sich mit der Aeußerung zu begnügen, daß die Sache denn doch zu unglaublich und fabelhaft klinge, als daß man ihr so unbedingt Glauben schenken dürfe. Sie müsse erst einen competenteren Augenzeugen hören, als die beiden Maurer seien, bevor sie sich entschließen könne, zu glauben.
Dieser competente Augenzeuge schritt eben wie gerufen unter den Fenstern vorüber. Es war Reinhard, der von dem Berge zurückkehrte. Er lächelte, als er schleunigst zu Fräulein von Walde befohlen wurde, denn aus den neugierigen Fragen des Bedienten ersah er, daß der Fund auf Gnadeck im Schlosse bereits bekannt war und daß er nur zu den Damen gerufen werde, um berichten zu sollen.
Bei seinem Eintritt wurde er auch sofort von Helene mit Fragen bestürmt. Er erzählte in seiner ruhigen Weise und es belustigte ihn über die Maßen, hinter den scheinbar nachlässig und gleichgültig hingeworfenen Fragen und Bemerkungen der Baronin die gespannte Neugier und den tiefsten Verdruß zu bemerken.
„Und werden die Ferber auf jenen Zettel hin in der That Anspruch auf den alten Namen erheben dürfen?“ fragte sie, eine große Dahlia aus der Blumenvase ziehend und daran riechend.
„Ich möchte wissen, wer ihnen das Recht streitig machen wollte,“ erwiderte Reinhard. „Es bleibt einfach zu beweisen, daß sie die Abkömmlinge jenes ausgesetzten Hans von Gnadewitz sind, und das können sie zu jeder Stunde.“
Die Dame legte den Kopf an die hohe Rücklehne ihres Stuhles und ließ die Lider wie ermüdet oder gelangweilt halb über ihre Augen sinken.
„Nun, und jene entdeckten Schätze von Golkonda, sind sie wirklich so unermeßlich, wie Frau Fama wissen will?“ fragte sie. Ihr Ton sollte spöttisch klingen, allein Reinhard’s feines Ohr hörte mit großer Genugthuung eine unsägliche Spannung und etwas wie eine geheime Angst heraus.
Er lächelte.
„Unermeßlich?“ wiederholte er. „Nun ja, es kommt bei dergleichen Dingen sehr viel auf den Begriff dessen an, den sie berühren… Ich kann hier nicht urtheilen.“
Er hätte es sehr gut gekonnt, wie wir wissen, aber er meinte ungalanter Weise, die kleine Aufregung der Ungewißheit sei der Dame ganz gesund.
Das Examen würde höchst wahrscheinlich noch nicht so schnell sein Ende erreicht haben, wenn nicht plötzlich Bella in ihrer lebhaften, aufgeregten Weise in das Zimmer gestürzt wäre.
„Mama, die neue Gouvernante ist angekommen!“ rief sie athemlos und warf mit einer schüttelnden Bewegung ihres Kopfes ihre rothen Locken zurück, die vornüber gefallen waren. „Pfui, die ist noch häßlicher, als Miß Mertens!“ fuhr sie fort, ohne die mindeste Rücksicht auf den danebenstehenden Reinhard zu nehmen. „Auf ihrem Hut hat sie knallrothes Band und ihre Mantille ist noch altmodischer, als die von Frau von Lehr … Mit der gehe ich ganz gewiß nicht aus, darauf kannst Du Dich verlassen, Mama!“
Die Baronin fuhr mit beiden Händen nach den Ohren.
„Kind, ich bitte Dich um Gotteswillen, sei nicht so laut!“ stöhnte sie. „Deine Stimme geht mir durch Mark und Bein.“ Doch erhob sie sich und ging in Begleitung ihrer grollenden Tochter hinüber in ihre Gemächer, um die Angekommenen in Augenschein zu nehmen. Zugleich wurde Reinhard von Fräulein von Walde entlassen.
„Befiehlst Du, daß ich weiter lese, Helene?“ fragte Hollfeld, nachdem die Drei das Zimmer verlassen hatten, in sehr verbindlicher Weise, während er die Zeitung wieder aufnahm.
„Später,“ entgegnete sie zögernd und richtete forschend, aber doch mit einer Art schüchterner Beklommenheit ihre Augen auf ihn. „Ich wollte Dich eigentlich bitten, da wir für einen Augenblick allein sind, mir endlich zu sagen, was Dich in den letzten Tagen so sehr verstimmt hat … Du weißt, Emil, daß es mich unsäglich schmerzt, wenn Du mir verweigerst, an dem, was Dich freut oder bedrückt, Theil zu nehmen. Du weißt auch, daß es nicht müßige Neugier ist, die in Deine Angelegenheiten eindringen will, sondern wahres, warmes Interesse für Dein Wohl und Wehe … Du siehst, daß ich schmerzlich unter Deiner kalten Verschlossenheit leide; sage mir offen, habe ich unwissentlich etwas gethan, um deswillen Du mich Deines Vertrauens nicht mehr für würdig hältst?“
Sie streckte wie flehend die Hände nach ihm aus; ein Stein hätte sich erbarmen mögen bei dem unsäglich weichen, trauervollen Klang ihrer Stimme.
Hollfeld bog das knisternde Zeitungsblatt zwischen seinen Fingern hin und her. Er hielt den Kopf gesenkt und vermied es consequent, dem reinen, offenen Blick des jungen Mädchens zu begegnen. Ein feiner Menschenkenner würde in dieser Haltung und den unter den gesenkten Lidern rastlos hin und her irrenden Augäpfeln wohl keinen Moment den Duckmäuser verkannt haben, der zögernd überlegt, wie er wohl am schlauesten handelt. Für ein arglos liebendes Mädchenherz dagegen mochte diese hohe, ein wenig nach vorn gebeugte Gestalt mit dem schönen Gesicht unter den prächtigen, blonden Haarwellen weit eher ein sinnender Apoll sein.
„Mein Vertrauen hast Du noch, Helene,“ unterbrach endlich der Angeredete das minutenlange Schweigen, „Du bist ja die Einzige in der Welt, der ich vertraue,“ – Helenens Augen leuchteten auf bei diesen Worten, die Arme war ja so stolz auf diese Auszeichnung – „aber es giebt herbe Nothwendigkeiten, die wir uns selbst zuerst nicht einmal eingestehen mögen, geschweige denn, daß wir den Muth haben, sie auszusprechen.“
Die junge Dame richtete sich betroffen und in unaussprechlicher Spannung in die Höhe.
„Ich bin gezwungen,“ fuhr Hollfeld stockend fort, „einen Entschluß zu fassen, der mir sehr, sehr schwer wird, und das lastet seit einigen Tagen auf mir.“
Er erhob jetzt den Blick, um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte hervorgebracht hatten.
Helene schien offenbar keine Ahnung von dem zu haben, was er sagen wollte, denn sie veränderte ihre Haltung nicht im Geringsten und schien die Worte von seinen Lippen lesen zu wollen. Er sah sich also genöthigt, weiter zu operiren, ohne daß sie ihm zu Hülfe kam.
„Du weißt, Helene,“ sprach er langsam weiter, „daß ich seit einem Jahr unsäglichen Verdruß mit meinen Wirthschafterinnen gehabt habe. Sie laufen mir auf und davon, ehe ich mich dessen versehe, und ich vermag nichts, diesem Unwesen zu steuern. … Vorgestern hat mir die letzte, die kaum vor zwei Wochen den Dienst angetreten hat, wieder gekündigt … Ich bin außer mir, denn der bitterste Schaden erwächst mir aus dem ewigen Wechsel; meine Besitzung ist mir dadurch vollständig verleidet.“
„Ah, Du willst Odenberg verkaufen?“ unterbrach ihn Helene lebhaft.
„Nein, das würde Thorheit sein, denn es ist eines der schönsten Guter in Thüringen, aber ich bin gezwungen, einen andern Ausweg zu suchen; es wird mir nichts Anderes übrig bleiben als – mich zu verheirathen.“
Wenn eine plötzliche Gewalt die junge Dame gepackt hätte, um sie in einen fürchterlichen Abgrund zu schleudern, ihr Gesicht
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_228.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)