verschiedene: Die Gartenlaube (1862) | |
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wenn mir das Glück meinen frühern Platz in der Familie wieder schenken sollte, ich diesen niemals einnehmen könnte, wenn Dir nicht zugleich volle Gerechtigkeit würde. – Laß die Redensarten!“ unterbrach er sich bei einer lebhaften Bewegung Römer’s, „ich sage nur, was um Deinet- und Helene’s willen unverrückbar fest in mir steht. Du siehst also, daß es noch zu früh für eine Einführung meiner Frau ist. Sie lebt bis zur nächsten Ordnung meiner Angelegenheiten bei ihrer Schulfreundin, der Tochter des amerikanischen Gesandten in Berlin.“
Römer trank rasch sein Glas aus und wühlte dann mit der Hand in seinen Haaren. „Und wenn nun Alles glücklich gehen sollte,“ begann er endlich, wie von einem Gedanken gequält, „willst Du dann nur den reichen Mann spielen und allenfalls Naturwissenschaften oder dergleichen daneben treiben?“
Der Andere schüttelte lächelnd den Kopf. „Wenn Alles glücklich gehen sollte, Fritz,“ erwiderte er, „so soll mein Vater einen Sohn haben, der ihm zur Zufriedenheit lebt. Ich habe drei Wochen lang den Anfang zum Kaufmann gemacht und erst da recht empfunden, wie das Fach, dem sich der Mensch von Jugend auf gewidmet, in Fleisch und Blut übergeht. Nachdem ich mich schon von Hamburg aus durch den amerikanischen Gesandten versichert, daß niemals in Berlin eine Untersuchung gegen mich anhängig gemacht worden sei, war dort mein erster Gang zu meinen früheren Chefs, und ich habe durch sie die Hoffnung erhalten, daß mein Wiedereintrit in meine frühere Stellung sich arrangiren lassen wird. Geschieht dies, Fritz, so werde ich meinen Ehrgeiz in den Erfolgen, welche mein ursprünglicher Beruf zu bieten vermag, suchen, und Jessy wird schon sorgen, daß ich meine Nebenstudien, in denen ich doch nie über den Dilettantismus gelangt wäre, nicht mehr zu meiner Erholung bedarf. Ihr aber habe ich zu gleicher Zeit zu zeigen, daß ich mehr zu sein vermag, als nur „der Mann meiner Frau“. Gott helfe mir, Fritz, daß sich Alles zum guten Ende gestaltet!“
„Gott helfe es!“ wiederholte Römer unter einem liefen Athemzuge und faßte mit kräftigem Drucke beide Hände des Freundes. – –
Am nächsten Morgen um 10 Uhr trat Mangold mit einem wunderlichen Zucken der buschigen Augenbrauen in das Zimmer des Geheimraths; zweimal schien er vergebens zum Sprechen anzusetzen, bis er endlich, jeden Zug seines Gesichts steif anspannend, meldete: „Der Bevollmächtigte aus Frankfurt wünscht sich vorstellen zu dürfen!“
Zedwitz sah ruhig von seinem Arbeitspulte auf und neigte dann langsam den Kopf. „Lassen Sie ihn eintreten!“ sagte er und öffnete zugleich einen kleinen Schrank vor sich, eine Anzahl Packete Cassen-Anweisungen daraus entnehmend. Aber er konnte den halben Seufzer, welcher dabei unwillkürlich seine Brust hob, nicht ganz unterdrücken, und auf seiner Stirn schien sich sein früherer Gedanke: die eine Sünde mit der andern bezahlen! wie eine trübe Wolke zu lagern.
Als sich die Thür von Neuem öffnete, erhob er sich und schritt nach dem Mitteltische; im nächsten Momente aber wich die Farbe aus seinem Gesichte, und seine Züge nahmen einen Ausdruck völliger Starrheit an – er hatte den Sohn erkannt, der wie in Ungewißheit mit sich selbst am Eingänge stehen geblieben war.
„Ich bin hier als Dein eigener Bevollmächtigter, Vater,“ begann dieser nach einer kurzen Pause, und seine Stimme bebte trotz des sichtlichen Bemühens seine Erregung nieder zu halten; „ich bringe Dir Deinen Wechsel und habe dagegen nur die entwertheten Papiere in Empfang zu nehmen. Da es mir schon kurz nach dem Abgange von Heinrich’s Briefe möglich wurde die Angelegenheit zu ordnen, so beschleunigte ich meine Reise nach Europa, um Dich möglichst rasch Deiner Ungewißheit zu entreißen.“ Er faßte nach seinem Portefeuille, zog daraus das verpflichtende Papier des Geheimraths hervor und legte es, einige Schritte vortretend, auf den Mitteltisch.
Zedwitz hatte sich nicht gerührt, und erst Hugo’s Herantreten schien ihm wieder die Fähigkeit zur Bewegung zu geben. Wie mechanisch wandte er sich nach demselben Schränkchen, welches das Geld geborgen, entnahm ihm die gekauften Obligationen und legte sie, wieder in seine starre Haltung zurückfallend, neben seinen eigenen Wechsel. Hugo schob den Letzteren von sich und brach die Geldpapiere, ohne sie nur zu betrachten, mit einer krampfhaften Handbewegung zusammen; dann hob er langsam den zitternden Blick, ihn einige Secunden in dem unbeweglichen Auge des vor ihm Stehenden haltend. „Soll ich wieder gehen, Vater?“ fragte er, und in seinem gedrückten Tone klang die ganze Macht seiner herausdrängenden Bewegung. Zedwitz stand noch immer regungslos, und nur in seinen Mundwinkeln begann sich ein kaum merkbares nervöses Beben geltend zu machen. „Was ich auch gesündigt haben mag, Vater,“ fuhr der Erstere fort, während eine aufsteigende Thräne in seinem Auge zitterte, „es ist gegen das Wissen meines Herzens geschehen, und was meine unüberlegte Flucht äußerlich angerichtet, bin ich im Stande wieder gut zu machen – ich komme von meinen frühern Chefs in Berlin, Vater –“ Seine Stimme schien ihm zu versagen; jetzt aber schien auch in dem Gesichte des Geheimraths ein zurückgehaltenes Etwas zum Durchbruch kommen zu wollen, die bebende Bewegung um seinen Mund ward stärker, in seine Augen begann ein feuchtes Leben zu treten – „Vater!“ rief Hugo, nach der Hand des alten Mannes fassend und den hervorstürzenden Thränen nicht mehr gebietend; Zedwitz aber schien mit einer einzigen Anstrengung seine volle äußerliche Ruhe wieder erlangt zu haben, wenn auch sein Gesicht wie von einem Sonnenstrahle belebt erschien. „Komm!“ sagte er, und faßte den Arm des jungen Mannes, ihn mit sich aus dem Cabinet führend.
Sie schlugen schweigend den Weg nach dem Zimmer der Großmutter ein; der erste Blick durch die geöffnete Thür in die gespannten Gesichter der dort Versammelten aber zeigte, daß Hugo’s Ankunft bereits verrathen worden war.
„Hier ist er!“ sagte der Geheimrath eintretend, „er hat Wort gehalten und ist selbst gekommen, um wieder gut zu machen!“ und wie unter einem erlösenden Worte fuhren die beiden Mädchen in die Höhe. Als aber Hugo in ihren Armen auf die alte Dame, die ihm die Hände entgegenstreckte, zueilte, wandte sich Zedwitz nach dem bei Seite getretenen Meßner. „Holen Sie Ihr Geld von mir, Freund, er hat es mit dem meinigen gerettet!“ sagte er und trat, als wolle er den Ausdruck seines Gesichts nicht zeigen, an’s Fenster, der Stube den Rücken kehrend.
Bald indessen halte sich Hugo den Umschlingungen und Fragen der Frauen entzogen und wandte sich wieder nach dem Geheimrathe.
„Wenn ich volle Absolution erhalten soll, Vater, so drängt mich mein Gewissen erst noch zu einer Beichte!“ sagte er, und langsam drehte sich der Angeredete mit wieder leicht umwölkter Stirn nach ihm. Der glückliche Ausdruck von Hugo’s Gesicht indessen schien ihn von einer aufgestiegenen unbestimmten Sorge sichtlich zu befreien. „Ich muß in dieser ersten Stunde sogleich die Ursache bekennen, welche mich nach Amerika getrieben hat, da sie für mein ganzes Leben verhängnißvoll geworden ist!“ fuhr der junge Mann fort. „Es war nicht die Furcht vor der Untersuchung, Vater, denn ich war zur Rückkehr nach Berlin entschlossen – es war eine tiefe Leidenschaft für eine junge, hochgestellte Dame, die ich bereits in der Schweiz mit ihren Angehörigen getroffen und um deren willen auch allein mein unglückliches Rencontre mit dem Russen sich ereignete. Als ich Berlin verlassen, sandte sie mir durch dritte Hand die Bezeichnung ihrer Heimath als Wink für ein Asyl nach, sie war eine Amerikanerin aus reicher Familie und – alle näheren Erklärungen später, Vater – sie ist jetzt meine Frau!“
Trotzdem das letzte unerwartete Wort fast wie ein elektrischer Schlag auf die Frauen zu wirken schien, so äußerte sich die Ueberraschung doch nur durch ein rasches, fast ängstliches Aufsehen nach dem Gesichte des Hausherrn; dieser aber öffnete nur die Augen etwas größer und schien einen plötzlich entstandenen Gedanken zu verfolgen.
„Und hatte das Vermögen dieser jungen Dame etwas mit der Zurückgabe meines Wechsels zu thun?“ fragte er nach einer kurzen Pause, während seine Stirn sich wieder leicht faltete.
„Nichts, nichts, Vater, nur die Verbindungen, zu denen ich durch sie gelangte!“ rief Hugo eifrig; „der Schuldige hat allein Deine Schadloshaltung bewirkt, und ich werde es Dir beweisen!“
„So!“ ließ der Geheimrath nach einer neuen Pause hören. „Und trotz dieser veränderten Lage, die ich als gesichert für Dich voraussetze, willst Du in Deine frühere Carriere wieder eintreten?“
„Ich habe es gestern meinem Freunde Römer zugeschworen,“ rief Hugo in voller Herzlichkeit, seines Vaters Hand fassend, „daß ich für Alles, was in der Vergangenheit mir auch zur Last fallen mag, Dir volle Genugthuung durch meine Zukunft schaffen
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_575.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)