verschiedene: Die Gartenlaube (1862) | |
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mit ihrem großen Fächer, und verborgen hinter den Planchen desselben flüsterte sie eilig der Frau von Nassau, welche an ihrer Seite ging, zu: „Sie ist nicht hier!“
Die Nassau lächelte bitter und ließ ihre Blicke mit einem bezeichnenden Ausdrucke auf einem Theile der Damengruppe haften.
Sophie Dorothea folgte der stummen Aufforderung, stieß plötzlich einen leisen Schrei aus und blieb wie angewurzelt stehen, als habe sie ein Gespenst erblickt.
Dieses Stehenbleiben konnte aber ebenso gut von der hastigen Bewegung einer langen, dürren Dame – der Obersthofmeisterin von Waiden – herrühren, die jetzt mit der Gräfin von Platen vortrat. In demselben Augenblicke wurde auch Prinz Georg sichtbar, welcher die Gräfin aus der Hand der dürren Dame empfing und mit derselben vor die Prinzessin trat.
Die Gräfin von Platen war ein schönes brünettes Weib, deren dunkle Schönheit durch das grelle Grün ihrer Robe noch gehoben wurde. Sie trug nach der damaligen Mode drei Schönpflästerchen im Gesicht, eine Neuerung, die an diesem Hofe noch Niemand gewagt hatte, und die erst in den Privatcirkeln acceptirt worden war. – Sie verbeugte sich vor der Prinzessin mit ungezwungener Anmuth und Leichtigkeit, aber die wogende Brust und die festgeschlossenen Lippen verriethen die Aufregung, welche diesen stolzen Körper durchzitterte.
„Hier stelle ich Ihnen die Wittwe des Grafen von Platen vor, Dorothea,“ sagte der Prinz mit harter, hastiger Stimme. „Ihr Gemahl ist in unserem Dienste umgekommen, und ich habe wohl nicht nöthig, Ihnen seine Wittwe zu empfehlen.“
Eine athemlose Pause trat ein. Man hörte das Knistern der Kerzen, das Rascheln der Seidenroben und das Knarren des Parquets. Eine tiefe Gluth hatte den Nacken und den Hals Dorothea’s übergossen, war wie ein rosiger Hauch in ihr Antlitz hinaufgestiegen und blieb auf ihrer Stirne haften wie ein Diadem ihrer verletzten Würde. Etwas wie eine Drohung blitzte in ihren Augen.
Dann wurde sie todtenbleich, und ein Zittern lief über ihre Gestalt, wie ein Windhauch über die Fläche eines Sees. Ohne ein Wort zu sprechen, wandte sie sich um und ergriff den Arm der Frau von Nassau, um sich mit ihr zu entfernen.
„Dorothea!“ wiederholte Georg mit einer dumpfen und concentrirten Stimme, „Dorothea, ich stelle Ihnen hier die Gräfin von Platen vor – sprechen Sie mit ihr –!“
Die zitternden Lippen der Prinzessin öffneten sich, und während sich ihre Augen mit Thränen füllten, murmelte sie mit halberstickter Stimme: „Ah! und welchen Namen wollen Sie, daß ich Ihrer Maitresse gebe, Georg?!“
Die Worte waren leise, sehr leise gesprochen worden – und nur wenige Ohren konnten sie vernommen haben, – aber dennoch brachten sie eine blitzartige Wirkung hervor. Georg trat mit einem wüthenden Ausrufe zurück und fing Frau von Platen auf, welche mit einem leisen Schrei in Ohnmacht sank. Der Kurfürst warf einen bösen Blick auf seine Schwiegertochter und wandte sich mit bebenden Lippen zu Lord Walpole, welcher mit seinem ewigen süßen Lächeln die Gruppe betrachtete.
Sophie Dorothea hatte den Arm ihrer Freundin ergriffen und schritt langsam und aufrecht durch den Saal, während die Damen und Herren des Hofes – welche nicht wußten, was eigentlich vorgefallen sei – theils mit einer tiefen Verneigung sich rangirten, um die Prinzessin vorbei zu lassen, theils mit einem Rufe des Bedauerns zu der ohnmächtigen Gräfin von Platen hineilten.
Als die schweren Portièren hinter der Prinzessin niedergefallen waren und dieselbe in ihre Gemächer trat, faltete Frau von Nassau entsetzt die Hände: „Was haben Sie gethan, Prinzessin! was haben Sie gethan!“
„Was ich gethan habe?“ rief Sophie Dorothea mit einem Seufzer der Befriedigung und des Triumphes, indem sie ihre Arme ausbreitete. „Ich habe mich endlich gerächt!“ Dann aber brach der ganze lang zurückgedrängte Jammer ihres Herzens aus, und sie sank bitterlich weinend auf einen Divan nieder, während sie die Arme rang, um welche sich die goldenen Armbänder krallten wie glänzende Schlangen.
Noch waren nicht zehn Minuten vergangen, als sich rasche Tritte auf dem Corridor hören ließen und die Thüre des Gemaches hastig aufgerissen wurde. Die beiden Frauen fuhren empor. Der Prinz stand auf der Thürschwelle und hielt die Falten der Portière in der Hand. Sein Auge blitzte, und die Zornader auf seiner Stirn war zum Zerspringen angeschwollen.
„Georg!“ rief Dorothea, indem sie aufsprang, „Georg!“
„Ich komme Ihnen zu sagen, Dörthe,“ rief er mit heiserer Stimme, „daß von heute an zwischen uns Beiden Alles aus ist. Bisher waren Sie mir nur gleichgültig, jetzt hasse ich Sie, wie mein Vater Sie haßt. Sie haben mich in dem beleidigt, was meinem Herzen und meiner Seele das Liebste ist – und ich werde mich rächen, das schwöre ich Ihnen. Hören Sie, Dörthe, von heute ab haben Sie einen Feind mehr am Hofe, der sich freuen wird, Sie leiden zu sehen. Und ich werde sorgen, daß Sie leiden und jene Scene nie vergessen! Leben Sie wohl!“ Und damit ließ er die Portière wieder herabfallen, und seine dröhnenden Schritte hallten im Corridor wieder.
„Georg!“ schrie Dorothea, „Georg!“
Aber er schritt weiter, ohne sich umzuwenden, und sah nicht ihre gebrochene Gestalt, wie sie mit gerungenen Händen und zurückgeworfenem Kopfe auf dem Boden lag und mit demselben jammernden und verzweifelnden Tone schrie: „Georg! Georg!“
In dem kleinen Palaste, welchen die schöne Gräfin von Platen unweit des kurfürstlichen Schlosses bewohnte, war es heute stiller als gewöhnlich. Keine Soirée zu sechs Couverts, kein kleines Spiel, kein petit comité. Denn die Gräfin war unwohl – und selbst dem Prinzen Georg, welcher jederzeit Zutritt bei ihr hatte, wurde der Eintritt in ihr Boudoir verwehrt – auf welchem er aber in Wahrheit nicht allzusehr bestand. Denn der Prinz, dieser verkörperte Egoismus, liebte seine Bekannten und Geliebten nur, um sich von ihnen erheitern und schmeicheln zu lassen – eine Indisposition scheuchte ihn von seinen besten Freunden zurück. Er haßte nicht nur alle Krankheiten, sondern auch alle Kranken.
Frau von Platen war also unwohl. Man hätte es kaum glauben sollen, wenn man einen Blick in ihr Boudoir warf – in dieses heimliche, lauschige Nestchen von Seide und Sammt, wo das Feuer so lustig knisterte und die Lampe so matt brannte. Auf einem Tische, welcher sich in der Nähe des Kamins befand, standen zwei langhalsige Weinflaschen und einige Assietten mit kalter Küche, Confect und Früchten. Frau von Platen, welche nachlässig in ihrem Fauteuil lehnte und an einer Apfelsine schälte, blickte mit ihren halbgeschlossenen Augen in’s Feuer und ließ nur von Zeit zu Zeit einen Blick auf ihr vis-à-vis fallen, welches Niemand anders als der schöne Graf von Königsmark war. Der Graf hielt sein schlankes Kelchglas zum Lichte empor und betrachtete das Farbenspiel der tanzenden Perlen des Burgunders.
„Sagen Sie, Gräfin, es war doch eine schöne Zeit, nicht? – Wie haben wir uns damals geliebt!“
Die Gräfin betrachtete lächelnd den pausbäckigen Amor, welcher die Lampe auf seinen Schultern trug, und seufzte. „Wir waren Beide sehr jung. Sie waren meine erste Liebe, Philipp.“
Königsmark schloß die Augen und schlürfte die obersten Perlen des Burgunders. „In Wahrheit?“
„Wirklich!“ sagte die Gräfin. „Ich habe damals geglaubt, ich müsse sterben, wenn ich Sie einen Tag nicht gesehen hatte.“
„Und ich wollte mir eine Kugel durch den Kopf jagen, als Ihr Vater Sie zwang, den Grafen von Platen zu heirathen.“
Die Gräfin seufzte abermals. „ Es ist so schön, wenn man jung ist!“
„Und verliebt!“ ergänzte der Graf. „Schade, daß die schöne Zeit schon vorbei ist.“
„Wer weiß, wozu das gut ist!“ sagte die Gräfin philosophisch, indem sie dem pausbäckigen Amor einen Nasenstüber gab. „Wir sind wenigstens ein wenig gescheidter geworden.“
„Glauben Sie?“ lächelte Königsmark. „Ich sage Ihnen, Gräfin, ich gäbe gern alle Weisheit der Welt für einen Moment jener närrischen Liebe! Ach! ich möchte’ wohl ein Stückchen von ihr wiederfinden – es müßte eine Curiosität sein, die ich in Gold fassen und als Agraffe tragen könnte. Uebrigens steht es nur bei Ihnen, diese Zeit wieder herbeizuzaubern,“ fügte er mit einer galanten Verbeugung hinzu.
Die Gräfin sah ihn durchdringend an. „Keine Heuchelei, Graf! Wir Beide wissen, was wir von einander zu halten haben. Ihr Herz ist schon längst todt – und ich habe nie eins gehabt. Sie sehen, ich bin aufrichtig.“
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_563.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)