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Seite:Die Gartenlaube (1862) 561.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 36.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Sophie Dorothea.

Eine Hofgeschichte.


1. Exposition.

In den Empfangssälen des kurfürstlichen Schlosses in Hannover war reges Leben und Treiben. Die Wohlgerüche der Atmosphäre vermischten sich mit dem leisen Gesumme der Plaudernden, und der Glanz der Lüstres verschmolz mit dem Strahlenreflex der hohen Wandspiegel zu einem Ocean von Licht, welcher den transparenten Blättern der exotischen Pflanzen das Aussehen von zitternden Smaragden gab. Seidenstarrende Damen, deren Costüme in allen Farben des Regenbogens glänzten, flatterten vor den Spiegeln umher wie lebendige Blumen, umgaukelt von den glänzenden Cavalieren des Hofes, wie von leichtfertigen Schmetterlingen. Alles war Gelächter, Geschwätz, Wohlgeruch und Aufregung.

In der Mitte des Thronsaales standen vier Männer in eifriger Unterhaltung. Der Größte derselben war ein robuster, junger Mann von etwa vierunddreißig Jahren, mit einem unangenehmen breiten Gesichte und kleinen grauen Augen. Das war der Erbprinz Georg Ludwig von Hannover, der Gemahl der schönen Prinzessin von Celle. Er plauderte eben mit einem hochgewachsenen, schlanken Cavalier, dessen männliche Schönheit noch von seiner schönen Männlichkeit übertroffen wurde. Sein Antlitz vereinigte den feinen Typus des Franzosen mit den kräftigen Umrissen des Schweden. Er hatte ein schönes, sprechendes Auge, eine entschlossene geistvolle Miene und einen feingeschlitzten Mund. Seine Kleidung von mattgelber Seide, mit granatrothem Moire eingefaßt, war ebenso weit von der Ueberladung des damaligen Hofcostüms, wie von der geschmacklosen Einfachheit der Bürgerkleidung entfernt. Es war dies der Graf Philipp Christoph von Königsmark, der Sohn Konrad’s von Königsmark und der Bruder der schönen Aurora. Er war erst heute auf eine Einladung des Kurprinzen in Hannover angekommen, um einige Monate hindurch in der Atmosphäre dieses zahmen Hofes von seinen pikanten Abenteuern in Holland und Flandern auszuruhen.

Nicht weit von diesen Beiden stand der alte Kurfürst von Hannover, ein gelber, dürrer, unangenehmer Greis. Er war im tiefsten Gespräche mit Lord Walpole, dem Gesandten Englands, begriffen, der ebenfalls erst an diesem Tage angekommen war, um den an Verdauungsbeschwerden gestorbenen Mäßigkeitsapostel Lord Rivers zeitweilig zu ersetzen. Weiter gegen die Orangerie hin befand sich eine Schaar kichernder und schwatzender Hofdamen, welche einen alten Höfling umringten, der sie augenscheinlich mit irgend einer pikanten Chronique scandaleuse unterhielt.

„Du bist zur guten Stunde gekommen, Philipp!“ rief Georg, indem er die Hände seines Jugendfreundes ergriff. „Nie bedurfte ich eines gewandten Intriganten so sehr, wie eben jetzt. Du, der Meister aller Geniestreiche, welcher seine ersten Sporen an dem prachtliebenden Hofe des sächsischen Kurfürsten gethan hat, Du mußt mir helfen den Eigensinn einer Frau zu bekämpfen, welche sich’s zur Aufgabe gemacht hat, mir das Leben zu verbittern.“

Philipp lachte. „Eine Frau? Aber Prinz! Sie bedürfen einer Alliance gegen eine Frau? – Gewiß eine hartherzige Geliebte? Nehmen Sie sich in Acht, Monseigneur, ich bin in derlei Dingen ein gefährlicher Helfershelfer – vorausgesetzt, daß die Dame hübsch ist.“

Georg zuckte ungeduldig mit den Achseln. „Bah! hartherzige Geliebte! – Die verwünschte Dörthe ist’s, die sich’s seit einiger Zeit in den Kopf gesetzt hat, die verfolgte Märtyrin zu spielen, und die mich mit ihren larmoyanten Phrasen verfolgt. Denke Dir einen Hof, Philipp, dessen Fürstin eine personificirte Thränenweide ist, und dessen Fürst seine Geliebten mit petites maisons beschenken muß, wie ein kleiner Bürger, nur um seine allenfallsigen Liaisons vor der Spionage seiner Gemahlin zu verbergen.“

„Welch ein Unglück!“ lachte Philipp mit komischem Entsetzen, „Ihre Gemahlin ist also naiv genug, zu glauben, sie habe mit der Fürstenkrone zugleich einen Mann geheirathet?“

Georg warf einen raschen Blick auf seinen Vater und Lord Walpole. „Still!“ flüsterte er, „sprich leise – der rothhaarige Lord schnappt jedes Wort auf, um es seiner allergnädigsten Souverainin zu rapportiren und mich dadurch in Mißcredit zu bringen.“

„Ah, richtig!“ meinte Philipp, indem er sich zum Ohre des Prinzen neigte. „Man muß die alte, bigotte god-save menagiren – der Succession wegen? Getroffen!“

Georg nickte. „Um aber wieder auf unser Gespräch zu kommen,“ fuhr er fort, „ich habe heute Abend einen Gewaltstreich vor.“

„Einen Gewaltstreich?“ lächelte Philipp mit maliciöser Miene. „Eine Entführung?“

Georg machte eine Bewegung der Ungeduld. „Du, der Ränkeschmieder par excellence, der Intrigant sans pareil, Du weißt doch, daß man diese heroischen Mittel nur noch in den Romanen des Herrn von Ayren und der Frau von Scudéry findet. Und übrigens, wen sollte ich entführen?“

Philipp verbeugte sich. „Ah, ich hatte ganz vergessen, daß ich zu dem „Unwiderstehlichen“ sprach, wie Sie auf der Universität hießen, Prinz.“

Georg lächelte fad. „Ohne Schmeichelei, Graf. Höre mich. Stelle Dir vor, daß ich jetzt die schönste Frau Hannovers anbete. Ein Weib, schön wie Venus, majestätisch wie Diana, wild wie … wie …“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_561.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)