verschiedene: Die Gartenlaube (1862) | |
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sind starke Bollwerke desselben gegen den alten Erbfeind jenseits des Canals. …
„Am weißen Hügel hier im Thale,
Da schlug der Normann sein Gezelt;
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Und über jenen Hügel wallte
Sein Banner Morgens zu der Schlacht.“
Seitdem die kühnen Normannen sich England erobert, sind auch diese Inseln, ursprünglich von Celten bewohnt, Theile des großen britischen Reichs. Sie haben ihre alte eigene Verfassung, ihr eigen Parlament; die Königin von England herrscht über sie, aber sie sind dennoch Republiken für sich. Viele alte normannische Geschlechter haben hier ihre Wohnstätten gegründet; einige sind die vornehmen Besitzer von Seigneurien geblieben, und über den Portalen ihrer burgartigen Schlösser ist noch das bemooste Wappen des Ahnen, der mit Wilhelm dem Eroberer über’s Meer nach Hastings zog; andere dagegen sind Kaufleute geworden. Die überwiegende Zahl der Bevölkerung ist französisch; die eingeborenen Celten haben sich mit ihr vermischt; die eingewanderten englischen Familien leben isolirt auf den Eilanden. Englisch und Französisch in friedlichem Gegensatz zeigt sich hier in Sitten, Sprache, Leben und Gesetz. Aber daneben hat sich in alter Unabhängigkeit der Charakter der Insulaner erhalten, der etwas für sich sein will und weder mit Frankreich, noch auch mit England sympathisirt.
Wie die alten Normannen, sind auch die Einwohner dieser Inseln kühne Schiffer. Aus vielen Familien gingen die Männer von Geschlecht zu Geschlecht zur See, und Unzählige fanden ihr Grab in den Fluthen des Meeres. Oft, wenn der Sohn dieser Eilande nach langen Fahrten die Felsenküsten seiner Heimath sieht, reißt der Sturm das Fahrzeug in den Strudel oder auf eine Klippe, und er stirbt im Angesicht seines langentbehrten Vaterlandes. Denn die alten celtischen Gottheiten wohnen noch um die Gestade dieser Eilande und bringen tückisch dem Segler in den zahllosen Riffen und Brandungen den Untergang. Fast immer braust hohl und gierig nach Opfern die dunkle Fluth um diese Inseln, getrennt von einander durch stundenbreite Meeresarme. Aber so wild das Meer, und so unheimlich das Geklipp der Ufer, so paradiesisch lieblich ist die Natur auf den Inseln selbst. Da blüht eine italienische Vegetation in nordischer Frische; saftige Wiesen ziehen sich hinter blumenreichen Gärten hin; dichtlaubige Wälder rauschen um die zierlichen Häuser der Dörfer, um die Besitzungen dieser meist wohlhabenden Bevölkerung. Epheu in reichen Guirlanden windet sich von Ast zu Ast, von Fels zu Fels; Weingelände umspinnen jedes Haus bis zum Dach – Alles wuchert, Alles blüht, Alles duftet, der Athem der See, der herüberkommt, der Athem der Blumen, der fort über die Wellen des Meeres zieht.
Guernsey ist nächst Jersey die größte dieser normännischen Inseln. Dicht am Meere erhebt sich die Hauptstadt St. Peter’s Port amphitheatralisch empor mit ihren alterthümlichen Bauten, vielfach noch aus der Normannenzeit. St. Peter’s Port hat etwa 18,000 Einwohner; die Straßen sind eng, die Häuser mit Giebeldächern, Erkerfenstern und seltsamen Schnitzereien daran, zwischen ihnen stehen vorväterliche Thurmreste mit runden Fenstern und Spitzbogenpförtlein. Winkel und Treppen in allen Straßen, die alle bergauf, bergab gehen. Kein Haus dabei ohne Garten, kein Fenster ohne Blumen, kein Tisch im Zimmer ohne Bouquet. Und die Leute so derb und kräftig, die Frauen und Mädchen so anmuthig, als stammten sie in Wahrheit von den Feen ab, welche nach
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_485.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)