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Seite:Die Gartenlaube (1861) 826.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


so richten Sie Ihre Gedanken fest und unverrückt auf denjenigen Ihrer verstorbenen Lieben, welchen Sie zu sehen wünschen!“

Es lag eine solche Zweifellosigkeit über den Erfolg in den ruhigen Worten, und daneben war Alles, was den Gedanken an eine Täuschung hervorrufen konnte, so sehr vermieden, daß unter den Zuhörern die erhöhte Spannung sich in jedem Gesichte ausdrückte und selbst der junge Advocat die bisherige Haltung seines Gesichts änderte. „Ich habe den vollen Muth, Sir, Ihrem Hokuspokus auf den Grund zu gehen und dabei völlig ehrlich zu verfahren,“ sagte er, „indessen möchte ich Sie bitten, vorher zu überlegen, daß ich mich nicht ohne Weiteres zum Opfer irgend einer Lächerlichkeit machen lassen werde!“

„Sammeln Sie Ihren Geist zu unserm Vorhaben, junger Mann,“ erwiderte der Andere, als habe er die letzte halbe Drohung nicht gehört; „fest jeden Theil Ihrer Gedanken auf den zu Rufenden gerichtet, und je näher er Ihnen im Leben gestanden, je schneller wird er jetzt hören.“ Er löschte die Gasflamme in dem hintern Zimmer und schritt, uns Uebrigen voran, hinaus, die Thür so weit schließend, daß nur ein schmaler, offener Spalt eine Verbindung mir dem Zurückgebliebenen herstellte; minderte dann auch die Helle der Gasflamme in dem vordern Zimmer und ließ sich neben einem Stuhle auf beide Kniee nieder. Wir harrten in einem Schweigen, welches fast jeden Athemzug hörbar machte.

Der Knieende schien inbrünstig zu beten, seine Lippen murmelten leise Worte, die sich schneller und schneller folgten; einzelnes Zucken schien sich bald seines Körpers zu bemächtigen, bis er plötzlich aufschrie: „Ihre Gedanken schweifen ab – ich fühle die Nähe des Geistes, aber Sie halten ihn nicht fest! – Was sehen Sie?“ setzte er wie plötzlich beruhigt hinzu.

„Ich sehe,“ antwortete die Stimme des Advocaten, in der es fast wie Verwunderung klang, aus dem hintern Zimmer, „ich sehe ein bleiches weißes Licht wie in weiter Entfernung vor mir aufsteigen, doch hat es keine Form und ist nichts als eine unbestimmte Wolke.“

Die Hand meines Nachbars ergriff wie unwillkürlich die meine, und ich selbst war fast betäubt.

„Sie fangen an sich zu fürchten!“ rief der Alte unwillig, „halten Sie Ihre Gedanken fest aufrecht!“ aber: „Ich fürchte mich nie, Sir!“ klang des jungen Mannes Stimme zurück, und von Neuem, anscheinend noch inbrünstiger, begann der Alte sein Gebet. Wir athmeten kaum. Lauter und lauter klangen die unverständlich gemurmelten Worte, ein convulsivisches Zittern machte sich in allen Gliedern des Knieenden bemerkbar – da schien ihn wie vorher eine plötzliche Erleichterung zu überkommen. „Was sehen Sie?“ rief er wieder – „halten Sie fest! jeder Ihrer abweichenden Gedanken thut mir weh!“ In fast peinlicher Spannung lauschte ich der Antwort. Der Advocat erwiderte mit dem ruhigen Tone eines Mannes, welcher die Einzelnheiten eines naturwissenschaftlichen Phänomens mit großer Neugierde betrachtet: „Ich sehe den Dunst sich verlängern und eine bestimmte Form annehmen. Noch kann ich aber nichts daran erkennen, es ist noch so weit von mir wie früher!“

„Aber da kommt Ihre Furcht wieder!“ rief der Alte, wie in erhöhtem Unwillen; doch stolz und wacker gab der junge Advocat zurück: „Ich fürchte mich nicht, Sir!“

Ich vermochte es, einen Blick auf die übrige Gesellschaft zu werfen, die, that es die schwache Beleuchtung oder meine Einbildung, völlig geisterbleich erschien; bald aber wurde meine Aufmerksamkeit durch die Geberden des Knieenden gefesselt, welcher, wie von einem Krampfe ergriffen, aufschnellte und wieder zusammensank, die Arme von sich stieß und dann mit den Händen wie in körperlichem Schmerz in seine Brust krallte. „O, halten Sie fest!“ stöhnte er endlich, „was sehen Sie?“

„Die Erscheinung kommt näher – das Gesicht wird klar –“ tönte des Advocaten Stimme aus dem Zimmer, aber der Ton war nur zur Hälfte der feste von früher, „es ist John Butler,“ setzte er wie in gewaltsam unterdrücktem Stocken hinzu, „er nähert sich dem Tische, er schreibt – es ist seine Unterschrift –!“

„O standhaft, standhaft!“ rief der Alte, wie von einem wüthenden innerlichen Schmerze ergriffen, „die Furcht, überwältigt Sie – o!“ aber von innen klang es, ohne die erneute Frage abzuwarten, daß sich uns Anderen die Haare hätten sträuben mögen: „Es kommt näher – näher! es verfolgt mich – o! es öffnet seine Arme – es umfaßt mich – Hülfe, Hülfe – o Hülfe!“ Ein durchdringender Schrei und ein ersticktes Aechzen folgte, ohne daß bis jetzt Einer von uns, die wir wie an den Boden gebannt waren, hinzuzuspringen vermocht hätte.

„Seien Sie ruhig!“ sagte jetzt der Alte, sich wie todesmatt erhebend und mit seinem Taschentuche Stirn nur Haare abreibend, „es ist nur gekommen, wie es nicht anders konnte; aber stehen Sie dem jungen Zweifler bei, damit nicht mein Gesicht ihn in neue Erregung versetze!“ Er schloß die nach dem Bierlocale führende Thür auf mit entfernte sich. Wir aber waren jetzt rasch, der wirklichen Betäubung, in welche uns die Scene versetzt, entrissen und öffneten weit die Thür nach dem hintern Zimmer. Einer aus der Gesellschaft hatte ein daliegendes Zeitungsblatt zusammengedreht, angezündet und leuchtete in den dunkeln Raum hinein. Dort war nur das Aechzen des jungen Advocaten hörbar, nur schnell brannte die Gasflamme. Der junge Mann lag, Schaum vor dem Munde, am Boden; auf dem Tische aber erblickte ich das daliegende Papier mit den noch nassen Schriftzügen „John Butler“ versehen.

Als wir den Daliegenden aufrichteten, schien er plötzlich seine Besinnung wieder zu erhalten, griff nach seinem am Boden liegenden Hute und blickte wild um sich. „Wo ist der Mensch, der das Heiligste zu seiner Speculation benutzt?“ brach er plötzlich los, „fort? o, er entrinnt meinen Händen nicht!“ und ehe noch Einer von uns zu einem Entschlusse gelangen konnte, war er davon gestürmt. Keiner von uns glaubte wohl anders, als Beide im vordern Locale im Handgemenge zu finden, und wir beeilten uns, dies zu erreichen. Der alte Herr aber hatte nach des Verkäufers Angabe sogleich das Haus verlassen, und ihm war wie toll der junge Mann, ohne nur erst sich von der Abwesenheit des Andern zu überzeugen, gefolgt.

Wir sahen uns etwas verdutzt an und machten uns bereit, die Rückkehr des Einen oder Andern zu erwarten, als der Verkäufer, die deponirte Hundertdollarsnote gegen das Licht haltend, in eigenthümlichem Tone sagte: „Ich glaube kaum, daß Einer der beiden Gentlemen sich wieder blicken lassen wird – es scheint mir sogar, als sei soeben ein ganz neues Spitzbubenstück durchgeführt worden!“ und auf unsere verwunderten Fragen reichte er uns lächelnd die Banknote und sagte nur: „Counterfeit[1]

Noch selten ist wohl einem betrogenen Menschen ein schnelleres Licht aufgegangen, als durch dies eine Wort Denjenigen von uns, welche die Gegeneinlage zusammengeschossen! –

Am nächsten Sonntag fand ich zu meiner Verwunderung das Thatsächliche des oben Erzählten als einen spanischen Gaunerstreich mit veränderten Einzelnheiten und aufgeputzten Persönlichkeiten, bombastischen Beschwörungsformeln und dergleichen, in einem der englischen New Yorker Sonntagsblätter. Ich wandte mich nach der Redaction und fand, was ich gesucht, einen der Zeugen des Vorgangs. Auf meine Frage nach den Gründen der seltsamen, völligen Umgestaltung desselben erhielt ich die mit einem Achselzucken begleitete Antwort, daß die vielen Tausende von Spiritualisten in New-York eine Art religiöser Gemeinschaft ausmachten und daß eine wahrheitsgemäße Erzählung leicht als eine Verhöhnung der ganzen Glaubensrichtung aufgenommen werden könnte – „und nur aus jeder Art von Glaubenssachen die Finger gelassen, wenn man bestehen will!“ schloß er.

O. R.
  1. Falsches, nachgemachtes Papiergeld



Das Begräbniß einer Armen in einem spanischen Dorfe.

Von Dr. A. E. Brehm.

An vielen Orten Spaniens herrschen sehr eigenthümliche Gebräuche beim Begräbniß der Verstorbenen. Ich meine damit nicht die Art und Weise des Leichengepränges – denn dieses geschieht nach den Gebräuchen der katholischen Kirche – sondern vielmehr die Art und Weise der Beerdigung selbst. Nur die Armen werden in wirklichen Gräbern bestattet, die Wohlhabenden setzt man


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_826.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2022)