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Seite:Die Gartenlaube (1861) 748.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

kann der bedauernswerthe Gast allenfalls ausrufen, vorausgesetzt, daß er je in der Lage gewesen, wirklichen Wein zu trinken. Dazu kommt noch die unglaubliche Raffinirtheit des Küchenpersonals, welches in seinem verborgenen Schacht mit einer solchen Liebe zur Oekonomie zu wirthschaften versteht, daß z. B. gar nicht selten ein Beefsteak an einer Fischsauce statt an seinem jus naturel auf den Tisch gelangt, und umgekehrt. Alles dieses bezieht sich jedoch nur auf die Restaurants untergeordneten Ranges.

Damit gelangen wir an das Heer der sonstigen Gassenreclamen. Hier preist ein Freund der Philanthropie dem Publicum seinen „nordischen Gesundheitstrank“ an. Nektar ist Wasser dagegen! Das sehr angenehme Getränk, welches – cela va sans dire – das Blut reinigt und den Magen „stärkt“, bildet einen Uebergang vom Wein zu den Liqueuren und kann in übergroßen Quantitäten getrunken werden, ohne nur im Mindesten zu schaden. Deshalb schmeckt das billige Getränk auch Jedermann vortrefflich; ja, die Damen können sich gar nicht satt daran trinken!

„Herbei! herbei!“ schreit dort Herr Billardins. „Großer Wettkampf auf dem Billard zwischen mir und dem. Partie en 3000 points!“ Unten steht: „Dies Kaffeehaus ist das größte in ganz Frankreich. Für 2 Franken frühstückt man darin. Speisen und Getränke von bester Qualität!“ –

„Keine Copirpressen, keine Ballen für Stempel und Petschafte mehr!“ ruft ein glücklicher Erfinder aus. „Ein neues chemisches Verfahren ersetzt sie auf vortheilhafte Weise. Unentbehrlich zu Duplicaten und Correspondenz! Unschätzbar auf Reisen! Nur ein Brief wird geschrieben, und zehn Briefe entstehen. In der ganzen civilisirten Welt patentirt. Jede Contrefaçon wird auf’s Strengste geahndet.“ – „Kauft Pressen, Copirpressen, große, mittelgroße, kleine!“ protestirt ein Erfinder älteren Datums. „Die ganze intelligente Kaufmannswelt versieht sich damit. Noch nie hat eine Erfindung in so kurzer Zeit so große Anerkennung gefunden“ etc.

„Ich!!!“ ruft ein bescheidener Adept Hans Sachsens des Schusters in die Welt hinein. „Ich!!! bin einzig in meiner Art in der ganzen Capitale. Durch übermenschliche Anstrengungen bin ich in den Stand gesetzt, mich zum Absatz meiner tadellos gefertigten Waaren keines Zwischenhändlers mehr bedienen zu müssen. Deshalb grenzenlose Billigkeit bei außerordentlicher etc.“ – 140,000 Paar Schuhe für Männer, Weiber und Kinder bietet ein anderer ähnlicher Kunstjünger dem Publicum an. Rabatt 30 Procent, 40 Procent! Auf zwanzig, dreißig andern Prospekten ist accurat dasselbe zu lesen. Wir gehen daher weiter zur Negerreclame.

Nicht zufrieden damit, für seine Privatzwecke Kunst und Industrie auszubeuten, muß der Pariser Industrielle hie und da auch noch den physischen Racenunterschied benutzen, um an sein Ziel zu gelangen. Kostet ihm auch der Unterhalt eines solchen schwarzen Wüstenkindes einige tausend Francs pr. Jahr– was thut’s? das gute Publicum muß es ja bezahlen.

Erst vor einigen Tagen noch sah ich, wie weit die Reclamenwuth der Pariser sich versteigen kann. Indem ich eine der lebhaftesten Straßen der Hauptstadt betrat, wälzte sich mir ein Menschenstrom entgegen, der zum Mindesten eine Regimentsmusik zu begleiten schien. Was war’s? Ein kleiner Neger, der, ein ihm jocharlig übergehängtes buntbemaltes Doppelschild auf Brust und Rücken tragend, gemüthlich seine Sprünge machte und der neugierigen Menge kundthat, daß sein Herr die echtesten indischen Strohhüte in ganz Paris verkaufe. Nicht so ostensibel in Anspruch genommen wird der thürstehende Neger. Hier liegt auch ein eventuell vernünftiger Zweck vor. Dem thürstehenden Neger verdankt das aristokratische Publicum, daß es in einen der prachtvollen Läden der Rue Vivienne, Rue Richelieu u. a. hineinspazieren kann, ohne genöthigt zu sein, auf Augenblicke seinem persönlichen Gleichgewicht zu entsagen, was bei 20 Grad Kälte allerdings sein Angenehmes hat. Will ein Fremder einen solchen Laden betreten, so mag er sich wundern, daß ihm die Thüre vor der Nase aufgeht, als ob er sie aufgeblasen hätte; den dastehenden Neger als lebendige schwarze Reclame gelten zu lassen, wird ihm jedoch schwerlich einfallen. Und doch ist für den in Pacht genommenen Thürsteher kein Ausdruck bezeichnender und logischer.

Vorzugsweise bei Restaurateuren und Friseuren, Parfumeuren und Rotisseuren wird die Fensterreclame ausgehängt, die jedoch im weitem Sinne in jedem Erdreich wuchert. Wo nur ein freies Plätzchen für ihren Autor nutzenbringend werden kann, ist es gewiß bald von ihr in Beschlag genommen. Daß Herr N. N. Unterricht in der englischen Sprache giebt, kann man z. B. in der Boutique einer Weißwäscherin lesen. In einem Tabaksladen lesen wir, daß Don Rodrigo Fechtstunden ertheilt, und daß Mousieur Pas als Tanzlehrer seinen Lebensunterhalt verdient, erfahren wir in der rußigen Höhle eines Kohlenhändlers und Wasserträgers. Das Sprüchwort sagt ja: Practica est multiplex; wir haben ehemalige Universitäts-Professoren mit ihren Fensterreclamen sich gemüthlich bei Victualienhändlerinnen und Milch- und Kaffeewirthinnen einnisten sehen!

Mit Einem Schlage viele Fliegen zu fangen, dazu ist die Reclame durch den Unfall aus Absicht da. Das Geheimniß derselben besteht factisch in Folgendem.

Man geht zu einem Buchdrucker, läßt sich einige hundert Adressen mit fetter Schrift drucken, klebt solche je auf ein Päckchen Waare oder in Ermangelung solcher auf beschwerte Papierröllchen, schüttet den ganzen Vorrath in eine lose zusammengenagelte Kiste, belastet mit dieser seinen Hausknecht oder ein zweirädriges Handkärrchen und instruirt Erstern genau, wie er sich zu verhalten habe. Der trabt dann als Last- oder Zugthier fort, sieht sich eine Straße aus, wo recht viel Lärmen, also Neugierde zu Hause ist, – in Paris gar nichts Seltenes! – und stößt nun mit seiner Last wie von ungefähr gegen eine Mauer oder rennt damit gegen ein Fuhrwerk, bis plötzlich die Geschichte losgeht, die losen Breter nach rechts und links auseinanderfliegen und der ganze Inhalt auf’s Pflaster rollt. Macht dann der Hausknecht noch eine recht verlegene Miene dazu und läßt die Päckchen ja recht lange liegen, damit alle Umstehenden sich die Adresse merken können, so ist die List gelungen, und es kann wieder von vorn angefangen werden.

Haben gewisse Charlatane vor, zu „arbeiten“, wie sie sich selbst ausdrücken, so bedienen sie sich der oratorischen und mimischen Reclame. Für diese Sorte haben wir bereits (Gartenlaube Nr. 23 dieses Jahrg.) das glänzendste Beispiel in dem Bleististhändler Mengin unsern Lesern vorgeführt. Was ließen sich sonst nicht noch für Reclamen anführen! – die der Wasserträger, Kesselflicker, Kleidertrödler z. B. – Aber zu weit gehen hieße am Ende den in den meisten Fällen die Reclame hassenden Pariser selbst für eine Reclame erklären. Und davor bewahre uns der Himmel!




Unter Fremden.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius.
(Schluß.)

Der nächste Morgen schien so hell und sonnig in Lucy’s Zimmer, als sei er nur gekommen, um den Rest der gedrückten Stimmung in des Mädchens Seele zu zerstreuen; Flora trat wieder mit einem so gewöhnlichen Gesichte ein, daß jene unwillkürlich eine Betrachtung über die Leichtigkeit, mit welcher die Farbigen ihre schmerzlichen Eindrücke zu überkommen scheinen, anstellte, und nach beendigtem Frühstücke ließ Lucy die Kinder unter der Obhut der Mulattin, um in einem kurzen Gange durch die frische Morgenluft sich den Geist wieder völlig klar und frei zu schaffen. Sie hatte den Weg nach der großen Straße, auf welcher sie früher angekommen war, genommen, hatte diese ein Stück verfolgt und sich eben wieder umgewandt, um den Rückweg anzutreten, als sie unweit von sich, auf einer einmündenden Seitenstraße, einen mit Gemüse beladenen Wagen heranrollen sah, auf dessen Vordersitze sie ihren Landsmann und kürzlichen Besucher erkannte. Lächelnd blieb sie stehen, um sein Herankommen zu erwarten; der Gemüsehändler aber schien sie kaum bemerkt zu haben, als er plötzlich sein Pferd zu langsamerem Schritte anhielt, sich mit der Hand unter die Kopfbedeckung fuhr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_748.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2022)