verschiedene: Die Gartenlaube (1861) | |
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bedeutende Menschen urtheilt man gemeinhin am meisten nach dem Hörensagen. Man hat nicht Zeit und ist auch zu träge, sich über die Personen und Dinge, die uns so warm interessiren, gründlich zu unterrichten. Wenn nur eine äußerlich annehmbare Version gefunden wird, ist Alles zufrieden, und wer’s etwa besser weiß, der nimmt sich nicht die Mühe, das Publicum von den liebgewordenen Irrthümern zu befreien.
So beschäftigte George Sand die Pamphletisten und Lebensbeschreiber weidlich. Sie galt für ein phantastisches Wesen, schlimmer noch als Bettina, für ein Mannweib, welches die neugierigste Verfolgung herausforderte. Kein Mittel galt den Unbescheidenen für zu schlecht, in ihre Nähe zu kommen, und wäre es auch nur für einen Augenblick. Man nahm zu Verkleidungen jeder Art Zuflucht, ja Einer, der’s nicht lassen konnte, schlich sich einmal sogar als Kaminfeger bei George Sand ein. Da die Schloßherrin von Nohant kein Verlangen danach zeigte, sich wie eine Miß Pastrana allerhand verdrehten Engländern, schriftstellernden Touristen und Naseweisen zu präsentiren, so zog sie sich in den Kreis vertrauter Freunde zurück, und es war nicht leicht, ohne gute Empfehlung als Fremder vor sie gelassen zu werden. Die Zudringlichkeit der Neugierigen, wurde sie gar zu arg, wurde denn auch zuweilen durch Mystification gestraft. So stellte man einem Advocaten, der um jeden Preis die Bekanntschaft von George Sand machen wollte, deren Kammerfrau vor, während Mutter und Tochter in einem Alkoven verborgen das komische Quiproquo mit ansahen. Der Advocat erzählte einige Tage später entzückt von der geistreichen Unterhaltung mit der berühmten Dichterin und hätte sich beinahe ein Duell zugezogen, weil er die bedauernde Bemerkung ausgesprochen, daß George Sand keine Zähne mehr habe. Ein ander Mal zog ihr Sohn Maurice die Kleider seiner Mutter an und ging an einer reisenden Familie von Engländern vorüber, welche auf der Terrasse eines benachbarten Gasthauses der Eigenthümerin des Schlosses von Nohant auflauerten. – So ging es denn oft sehr natürlich zu, daß man die sonderbarsten Geschichten vom Leben George Sand’s hörte und las.
Und wie ganz anders, ja wie viel weniger interessant ist das Original im Vergleich zu den Portraits, die man von ihr entworfen! Ich erinnere mich noch sehr genau, daß ich mit einem fix und fertigen Bilde von ihr sie besuchte und daß dieses Amazonenbild, dieses Portrait eines überspannten Wesens durchaus nicht und in Nichts Ähnlichkeit mit dem Original hatte. George Sand erschien wie eine schlichte bürgerliche Hausfrau. Alles an ihr und um sie war einfach, von gutem Geschmack und ohne jede Manierirtheit. Sie nähte emsig, auch während der Unterhaltung, die doch von sechs, sieben Personen lebhaft geführt wurde, und erzählte mit freundlichster Unbefangenheit, daß sie und ihre Tochter, die auch einmal sichtbar wurde, – die Costüme für ihr kleines Haustheater im Schlosse selber nähten, „das gehöre mit zum Genuß“. George Sand hat nämlich die Liebhaberei, ihre eigenen Stücke, die wenig Glück auf der Bühne gemacht, in Gemeinschaft mit den Bauern des Dörfchens, dessen Besitzerin sie ist, aufzuführen. Das ist ihr Privatvergnügen und dient zugleich zur Prüfung des Stücks; denn ehe es nicht in Nohant gespielt worden, kam es auf keiner Bühne zur Aufführung.
So war der erste und nachfolgende Eindruck durchaus fraulich. Ein Anderer fand sie ebenfalls emsig ein Kleid zuschneidend, und als er darüber verwundert dreinschaute, rief sie mit komischer Ernsthaftigkeit aus: „Oui, c’est moi, cela vous étonne?“ Ich glaube in der That, diese Schriftstellerin George Sand ist eine bessere Hauswirthin, als so viele andere, die zu gar nichts Anderem berufen sind. Sie näht nicht allein und stickt und strickt; sie kocht auch zuweilen selbst, bereitet Confitüren und einen vorzüglichen Kaffee, wenn nicht einer ihrer Freunde ihr dies Amt abnimmt. Gewöhnlich weist sie ihren Freunden das Kaffeebrauen auf der Maschine zu – vom Abbé Lamennais, Alfred de Musset ist’s bestimmt, und Franz Lißt wird ihn wohl ebensogut haben kochen müssen wie Chopin[WS 1], die Alle nach der Reihe ihre Freunde waren, ihre Begleiter. Daß sie als Schloßherrin nicht minder ihre Verdienste hat, konnte man schon in dem Dorfe hören, das zu ihrem Besitz gehört. Sie wird von Allen verehrt wie eine Mutter, und ihre Wohlthätigkeit ist fast übertrieben. Sie hat auf ihrer Herrschaft Ackerbau und Gartenbau zu einem so hohen Flor gebracht, wie sie in ihren socialistischen Romanen darüber als von der Wirkung der neuen Lehren spricht. Bettler und Armuth kennt man hier nicht, und Niemand, keine Magd, deren Namen sie nicht wüßte und die sich nicht wie ein Glied ihrer Familie betrachtete. Da wird keine Hochzeit gefeiert, ehe sie nicht auf dem Schlosse lebt, und wenn sie in Nohant ist, findet keine Taufe und kein Begräbniß statt, dem sie nicht beiwohnte.
Wie von ihrem Wesen ganz falsche Vorstellungen bestehen, so auch von ihrer persönlichen Erscheinung. Es ist nichts Phantastisches, nichts Literarisches an ihr; im Gegentheil, ihre Physiognomie macht einen so simplen Eindruck, daß man über dieselbe, die gar keinen bedeutenden Geist verräth, erstaunt. Eine geniale Schriftstellerin, ein Weib herrlichster Phantasie, das sieht man ihr von dem Gesicht nicht ab, welches so gutmüthig bürgerlich, so sehr nüchtern ist, daß man ihr oft gesagt hat, sie sehe aus wie ein Schaf, worüber sie selbst die meisten Scherze zu machen pflegte. Sie imponirt gar nicht, man gesteht sich dies nach dem ersten Anblick unverhohlen. Ihre Figur ist mittelgroß, dabei – ganz gegen alle poetische Art – wohlbeleibt. Das schwarze, einfach und glatt gescheitelte Haar giebt dem Kopfe ebensowenig genialen Ausdruck. Die Nase ist groß und stark, fast störend für das Gesicht, dessen feine, weiche Linien von der unendlichsten Sanftmuth und Gutmüthigkeit zeugen. Auch der Mund hat denselben männlichen Ausdruck wie die Nase, und die Lippe wie das Kinn mahnen an eine etwas sinnliche Natur. Aber die schöne, glatte, hohe Stirn, welche dieses runde Gesicht überwölbt, läßt den Kenner ahnen, daß hinter ihr das Spiel der Gedanken ein gewaltiges sein kann, trotzdem das Antlitz wenig davon verräth. Ebenso der Blick, der aus den feingeschnittenen Augen sanft und ernst hervorleuchtet: es zittert eine Melancholie in ihm, die aus tiefem Grunde entstiegen sein muß, und ein melancholisches Gemüth – welche Fülle von Poesie bettet es nicht, wie oft ist es nicht den höchstbegabten Naturen als Born ihres Geistes zu eigen!
Und in der That, je länger man in dieses tiefgründige Auge blickt, je mehr fühlt man, daß man einem Genius gegenüber sich befindet, über dessen schlichte äußere Erscheinung man sich nicht täuschen darf. Und nun erst, wenn diese Lippen sich öffnen, die vollen frischen Töne hervorquellen, und Alles Form in Worten erhält, was diese Figur belebt: dann sieht man durch die Augenfenster die Lichter in ihrem Kopf anstecken; das Feuer der Gedanken blitzt und funkelt im Blick; die Hausfrau verschwindet uns vor den Augen, unmerkbar wandelt sie sich in eine Gestalt der Poesie, in George Sand. Was sonst Mattes, Weiches, zu Weiches in ihren Zügen lag, erstarkt während der Unterhaltung; das Antlitz verliert seinen Charakter, und Grazie thront dort anstatt schlichter Gutmüthigkeit, Geist, heller, zündender Geist anstatt der Nüchternheit – die Züge, die Linien laufen in einander und alle passen jetzt zusammen, die feinen zu den starken, die weichen zu den harten – ein mild-ernstes, geisteshohes Wesen strahlt dann von dem Gesicht.
Nichts, durchaus nichts zeigt aber auch jetzt einen excentrischen Geist, der sich im Kampf mit den Gesetzen der Gesellschaft befinde, Grimm oder Groll austöne, nur im Geringsten gegen echteste hochgebildete Weiblichkeit verstoße. George Sand spricht nicht gern von sich, nicht einmal von der Literatur. Zu ihrem Wesen ist keine Spur jener unausstehlichen Geistreichigkeit, die uns so oft in den Schriftstellerinnen entgegentritt, die nicht genug durch äußere Sonderlichkeiten und verletzendes Benehmen darthun können, daß sie unter die „Literaten“ gegangen sind und einen Verleger für ihre Romane haben. George Sand, in ihren Romanen das feinfühlendste und zugleich das aufreizendste, revolutionssüchtigste Weib, ist im Leben ohne jegliche Ungebundenheit, im Wesen glättend, versöhnend, von Leidenschaftlichkeit, die in der Schriftstellerei oft die Zügel verliert, frei. Ihre Unterhaltung ist nicht prätentiös, sondern fast bescheiden; sie läßt Alles an sich ankommen und nimmt nur hin und wieder eine Partie der Unterhaltung auf, um sie in ruhiger, wohlwollender, aber sehr bestimmter Sprache zu erledigen. So gut wie sie zu schreiben und zu sprechen weiß, ebenso gut auch zu hören und zu schweigen. Sie debattirt nicht gern, nur um eine Frage zu forciren, sondern sie erklärt sich in wenig Worten für eine ausgesprochene Ansicht, oder macht eine von allen andern abweichende geltend. Drängt man ihr eine andere Meinung auf oder bekämpft das, was sie für richtig hält, so hört sie ernsthaft und schweigend hin, unterbricht selten mit einem Worte und erklärt zumeist am Ende der Entgegnung, daß sie diese Ansicht nicht theilen könne. Klar und bestimmt motivirt sie die ihrige dagegen, ohne
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Chapin
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_266.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)