verschiedene: Die Gartenlaube (1860) | |
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Ich kann übrigens nicht umhin, einen Tadel über diejenigen Aerzte auszusprechen, die Kranke, ohne sie genau untersucht zu haben, blos auf einige auffallende Krankheitserscheinungen hin in ein Bad schicken. Ebenso trifft der Tadel aber auch die Kranken, welche sich, ohne gehörig untersucht worden zu sein, sogleich auf die Badereise machen, und noch weit mehr sind die Badeärzte tadelnswerth, wenn sie ihrer Cur nicht eine recht ordentliche Exploration ihrer Patienten vorhergehen und dieser Cur nach den Umständen nicht die passenden Modificationen zukommen lassen. Ich nehme natürlich die Fälle aus, wo ein Mann zu jubeln Ursache hat: „Hurrah! meine Frau ist im Bade!“ oder wo ein Mann zur Erheiterung und Erholung seiner Frau vom Hausarzte in’s Bad spedirt wird. – Wie oberflächlich nicht selten von Heilkünstlern untersucht wird und auf welch unrechte, weil unnütze Weise dieselben oft ihren Patienten ein Bad octroyiren, das mögen Fälle aus der heurigen Saison bezeugen, deren aber nur im Allgemeinen Erwähnung geschehen soll, ob schon jeder einzelne Fall „gegartenlaubt“ zu werden verdiente.
Am wenigsten gebessert kehrte das bleich- und nörgelsüchtige, hysterische weibliche Geschlecht aus den Bädern heimwärts (NB. ich meine nicht etwa „moralisch gebessert“), denn die örtlichen Frauenleiden, welche nur durch eine vernünftige örtliche Behandlung, und zwar gewöhnlich ziemlich schnell, gehoben werden können, wie auch die durch Ruhe, Waldluft und Milch leicht heilbaren Nerven- und sonstigen Schwächen aller Art, trotzten trotz der interessanten männlichen Bekanntschaften doch den Stahlwässern und Seebädern. Es sollen schon viele Ehemänner deshalb das Badereisen ihrer Frauen Liebsten satt bekommen haben, obschon manche heimgekehrte Frau noch lange in der Hoffnung lebte, daß die Nachwirkung der Emser Quelle den Herrn Gemahl doch noch überraschen werde.
Ganz erbärmlich ging’s auch dieses Jahr wieder den sogenannten Hämorrhoidal-Blutern, die gar keine Hämorrhoiden, wohl aber vom Arzte über- und ungesehene blutende Mastdarm-Entartungen (die stets nur einer örtlichen Behandlung weichen) besaßen. Sie verloren in Laxirbädern durch die erzwungenen, durchfälligen Stühle bei fortdauernden Blutungen dergestalt Saft und Kraft, daß sie sich zu Hause lange Zeit tüchtig werden nähren müssen, um nächstes Jahr wieder, und zwar ebenso vergeblich, ein Bad besuchen zu können.
Die mit Geschwülsten irgendwo, die schimpften am meisten auf die Bäder, mochten diese nun purgirende oder jodhaltige sein. Und warum? Weil sie, zuvörderst schon im Ganzen heruntergekommen, auch noch ihre Geschwulst, nicht aber ihren guten Appetit und ihre Groschens wieder mit nach Hause brachten. – Was für Geschwülste aber auch die Bäder wegschaffen sollen! Durch Unterrocksbänder abgeschnürte, sonst aber ganz gesunde Leberstücken (in der rechten Bauchseite), bewegliche und verschiebbare gesunde Nieren und Milz (die zeitweilig drückend an Stellen im Bauche lagerten, wo sie nicht hin gehören), Hülsenwurm- und Eierstocksblasen, alte Krebse und verknöcherte Fasergeschwülste, alle sind den Brunnengeistern verfallen, aber alle weichen und wanken vor denselben nicht.
Hustende Brustkranke sah man weit blässer und magerer, manche auch noch mit neuhinzugetretenem Bluthusten und erschöpfendem Durchfalle heimkehren, sobald sie in Bädern Heilung suchten, wo die Brustkranken, denen nur Ruhe in jeder Beziehung, Wärme und Milch gut thut, früh aus dem Bette heraus, in der kühlen Morgenluft kaltes Salzwasser oder Molken trinken und anstrengende Promenaden machen mußten.
Doch genug von den mißrathenen Badecuren, es gibt auch sehr viele geglückte, wie ich z. B. an meinem dicken, gern gut und viel essenden Freunde sehe, dessen Unaussprechliche für ihn um wenigstens 1 Elle zu weit geworden sind, und der in seinem Leibrocke wie im Schlafrocke herumschlottert. Und das hat Karlsbad gethan. – Auch finde ich die Gesichter und das Benehmen mancher Angestellten viel freundlicher und liebenswürdiger, nachdem sie Sessel und Acten auf einige Wochen verlassen und sich recht ordentlich ausrakoczyt haben. – Ebenso sehe ich verschiedene alte Ausschläge und Rheuma’s, die zur Freude ihrer Inhaber nicht mehr da sind. – Kurz, die Bäder sind in vielen Fällen recht gut und wären noch viel besser, wenn Aerzte und Laien bei weniger fanatischem Enthusiasmus für das Mineralwasser derselben dem richtigen diätetischen Verhalten in und nach dem Bade mehr huldigten.
Was nun schließlich die Nachcur oder „Nachwirkung“ des Bades betrifft, so muß man nicht etwa glauben, daß der genossene Brunnen noch eine bestimmte Zahl von Tagen oder Wochen im Körper des heimgekehrten Badegastes herumwirthschaftet, wenn dieser nämlich die vorgeschriebene Brunnendiät noch forthält, sondern es handelt sich hierbei darum, daß die Schädlichkeiten, welche die Veranlassung zur Entstehung oder Verschlimmerung der Krankheit gaben, fort und fort, soweit es nur immer die Verhältnisse gestatten, vermieden werden. Leider sind die meisten Badereisenden der irrigen Meinung, daß ihr Körper durch das Bad von allen alten Sünden, die sie gegen die Natur begangen, so vollständig gereinigt werde, daß nun das Sündigen von Neuem angehen könne. Nicht selten ist übrigens die Nachwirkung insofern scheinbar eine recht gute, als die Badecur den Patienten so erbärmlich zurichtete (was wohl auch für eine heilsame Verschlimmerung erklärt wird), daß er nach Aufgeben derselben sich natürlich wohler als im Bade fühlt, wenn er zu Hause in seine alte Verfassung zurückkehrt.
Kommt z. B. der Hustekranke mit weniger Brustschmerz, Athembeschwerde und Husten, kräftiger und besser aussehend, aus Salzbrunn, Soden oder Ems nach Hause, so setzt er sich wieder stundenlang zu politisirenden Freunden in den Tabaksrauch und erhitzt sich bei Bairischem über Oesterreichisches. Oder er besucht wieder in brustbeengender Toilette Gesellschaften, Bälle, Concerte etc., ohne die erhitzte Haut und Lunge gehörig vor (zumal plötzlichem) Kaltwerden zu schützen. – Haben sich nervöse Dämchen bei Stahlwässern und Milch etwas gekräftigt, so fangen sie nach ihrer Heimkehr auch schleunigst ihre früheren Gefühls-, Männer- und Dienstbotenquälereien bei erregender und erschlaffender Kost wieder an, und leiden nächstens an frischen Vapeurs. – Wer sich in Laxirbädern die Unterleibsstockungen, die Hämorrhoidalbeschwerden und das überflüssige Fett glücklich wegpurgirte, der verfolgt zu Hause inner- und außerhalb seines Hauses nach allen Richtungen hin seine früheren obstructiven Tendenzen und ist in Bälde wiederum ein verfetteter Unterleibsverstockter. – Der durch trockene warme Luft und heiße Bäder Entrheumatisirte kehrt in sein altes feucht-kaltes Local zurück und wundert sich, wenn das Rheuma wiederkehrt. – Kurz, die badesüchtige Mensch- und Arztheit aberglaubt, daß ein Bad auf die Länge und bei den ärgsten Verstößen gegen die Gesundheitsgesetze schlagfluß-, Wasser- und schwindsucht-, überhaupt krankheitfeste machen könne, während doch nur das richtige diätetische Verhalten nach der Badecur, – die, wenn sie eine zweckmäßige war, allerdings in vielen Fällen einen bessern Ernährungsproceß (Stoffwechsel) im kranken Körper eingeleitet hatte, – eine dauerndere Gesundheit schaffen kann. Und vor Allem:
Denkt man sein Alter hoch zu bringen,
So halt’ man Maß in allen Dingen.
Das große Gewitter von 1848 ging zu Ende, nachdem es zwei Jahre lang getobt. In Frankreich sann der Präsident der Republik, Louis Napoleon, bereits auf den „gesellschaftsrettenden“ Staatsstreich, in Italien war Friedhofsfrieden – Sardinien geschlagen, Neapel niedergeworfen, Sicilien bourbonisirt, Rom von Franzosen besetzt. Ungarn fühlte seine Besieger: Haynau, ohne Ahnung seines nahen Sturzes, hielt seine Blutgerichte. Auch in Deutschland ging’s zu Ende – die preußische Union war das letzte Nebelbild, das bald zerrinnen sollte; denn schon sprach Oesterreich wieder sein Wort, der Bundestag spukte wieder herum – und ein Manteuffel regierte in Preußen, in Kurhessen der Hassenpflug. Ueberall Gräber einst so stolzer Hoffnungen! Ueberall statt des Jubelgesangs der Freiheit dumpfes Hinbrüten, Thränen trauernder Familien, Seufzer in den vollgepfropften Kerkern!
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_616.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)