verschiedene: Die Gartenlaube (1860) | |
|
Armee, die berühmte Retirade Blücher’s nach Lübeck, wo dies letzte und tapferste Corps endlich capituliren mußte. Scharnhorst wie Blücher wurden gegen französische Officiere ausgewechselt und gingen nach Ostpreußen, wo sich damals die Russen und der letzte Rest der preußischen Armee befanden. Scharnhorst kam zum Lestocqschen Corps, welches in der Schlacht bei Eylau die preußische Waffenehre wieder herstellte. Nach dem unglückseligen Frieden von Tilsit wurde er Mitglied der Militairorganisations-Commission, welcher auch Gneisenau, Grolmann, Beyer und Clausewitz angehörten, und bald nachher interimistischer Kriegsminister.
In dieser Stellung legte Scharnhorst, im Verein mit seinen militairischen Freunden und dann mit dem Minister von Stein, den Grund zu der Neugestaltung Preußens. Das Werben wurde abgeschafft, ebenso die Stockschläge und die Bevorzugung durch die Geburt. Schon im Juli 1807 schlug Scharnhorst die Errichtung einer Landwehr vor, sowie die Organisation einer großartigen Vertheidigung. Mehr und mehr, und fast allein, sorgte von nun der sinnende General auf diese Organisation des Volkskriegs, auf die militairische Revolutionirung des ganzen Landes, wenn man so sagen darf. Die Art und Weise des spanischen Krieges bestärkte ihn in der Ueberzeugung, daß man neben einem stehenden Heere auch hier im Norden Guerillabanden organisiren müsse, die vornehmlich im Stande seien, eine überlegene Armee zu schwächen und aufzureiben. Als der Krieg mit Oesterreich 1809 ausbrach, war diese militairische Umgestaltung schon so weit gediehen, daß Scharnhorst in Verbindung mit Stein und Gneisenau den König beschwor, sich aus der Furcht und Vorsicht aufzuraffen, die Ketten des Eroberers abzustreifen, mit Oesterreich vereint und mit der über ganz Deutschland verzweigten Insurrection zusammen den Kampf auf Leben und Tod zu bestehen. Der König scheute diese Energie – vielleicht zu seinem Glücke. Oesterreich ward von Neuem besiegt, die große, von Stein hauptsächlich geleitete Insurrection Deutschlands verpuffte in den Schilderhebungen Dörnbergs und des Herzogs von Braunschweig: das Volk war noch nicht reif zur Befreiung, der Druck noch nicht schwer genug, die Noth noch nicht in’s Herz gedrungen, die Vaterlandsliebe war im Haß und in der Ehre noch nicht stark geworden. Vier Jahre noch, vier lange, schwere Jahre – und das Unglück hatte die Deutschen einig gemacht, einig, leider nur auf wenige Jahre!
Den Feuereifer eines Scharnhorst freilich erbitterte, wie alle Patrioten, diese Zaghaftigkeit des Königs damals; aber er blieb auf seinem Posten. Und als Alle gingen, als ein Stein geächtet war, ein Gneisenau nach England ging, ein Blücher sich fluchend in Pommern verbarg; als das schwache, franzosenfürchtende Ministerium Altenstein zur Herrschaft kam und mit ihm die Patrioten aus dem Cabinet des Königs gehen mußten, – da wankte Scharnhorst nicht; er blieb an der Spitze der Militairangelegenheiten, ob angefeindet und ob scheel angesehen, ob von des Königs Thatenscheu und Mißtrauen gekränkt: er blieb, eine, eine einzige Hoffnung des aus dem Schlafe erwachten Volks, ein Atlas, der auf seinen Schultern allein damals das neue Preußen trug! Still, fast unbemerkt war er da, um fortzuarbeiten, was so energisch angefangen worden: Keiner unterstützte ihn, selbst Hardenberg, der höfische Minister nicht, der seit dem Juni 1810 zum preußischen Staatskanzler ernannt worden war.
Aber gerade in dieser Zeit des politischen Lavirens und der vollständigen Demüthigung Preußens vor der brutalen Gewalt Napoleons, von 1810 bis 1812, da schuf Scharnhorst unbemerkt und in der Stille jene furchtbaren Streitmittel, die 1813 die Welt in Erstaunen setzten. Ganz Preußen wurde von ihm insurgirt; die „tausend Vendeen“, welche Napoleon gefürchtet, wurden von ihm in Verbindung mit den Getreuen jetzt wirklich geschaffen. Er theilte das Land in kleine Bezirke, in dem alle waffenfähigen Mannschaften in den Waffen geübt und dann wieder entlassen wurden; Agenten gingen umher und kauften Waffen auf; die Berliner Gewehrfabrik mußte 1000 Stück Gewehre im Monat liefern; in die verschiedenen Cantons wurden junge, fähige Officiere als Civilbeamte geschickt, um die militairische Organisation zu vollenden; drei große verschanzte Lager bei Pillau, Kolberg und Glatz wurden errichtet, um als Hauptpunkte der Vertheidigung zu dienen. Die Kanonen wurden umgegossen, um aus dem schlechteren Metall deren mehrere zu gewinnen. Die stehende Armee selbst hatte durch die neuen Kriegsgesetze einen neuen Geist erhalten; der Soldat achtete sich selbst und hatte Ehre und Vaterlandsliebe. Jedes Gesetz, welches zu dieser neuen Organisation nothwendig war, hatte Scharnhorst dem Könige, oft fast gegen dessen Willen, entwunden; Mißmuth und Laune des Monarchen hatten ihn nicht ermattet, er blieb immer ruhig und fest, und der König, der ihn hochachtete, gab zuletzt den unaufhörlichen und bestimmten Vorstellungen des Generals nach. So war nach und nach eine Reihe von Verordnungen unterzeichnet worden, die Scharnhorst noch sorgfältig in seinem Schreibpult verborgen hielt, um zu gelegener Zeit von ihnen Gebrauch zu machen.
Und diese Gelegenheit schien endlich da zu sein. Als der Krieg mit Rußland bevorstand und Napoleon Preußen zum Bündniß zwang, da traten die alten, hochherzigen Eisenmänner wieder vor den Thron und beschworen den Neffen Friedrichs des Großen, um die Ehre des Staats das Letzte zu wagen. Jacta est alea – entweder, oder! Mit den Russen ein Bündniß schließen, das Volk, das Volk, welches Scharnhorst in Waffen geübt und mit Rachelust erfüllt, aufrufen gegen den Tyrannen – wer konnte zweifeln, daß man siege? Und besser, ganz zu Grunde gehen, als so ehrlos weiterleben, geschleift von dem Hermelin eines unersättlichen Cäsar, ruhmlos und als Vasall! „Es ist Alles kampfbereit, Majestät, schlagen Sie zu!“ Scharnhorst rief es, und der König, von allen Seiten gedrängt, blieb schwankend. Napoleon machte endlich kurzen Proceß; er ließ ein Armeecorps auf Berlin rücken. Da unterzeichnete der König das Bündniß mit Frankreich und ließ seine zornigen Soldaten nach Rußland ziehen.
Man hatte so fest das Gegentheil erwartet und mit so außerordentlichem Eifer dazu gerüstet, daß diese Wendung der Dinge überall den schmerzlichsten Eindruck erregte. Scharnhorst war betäubt von Schmerz, und Thränen rollten aus den Augen dieses ehernen Mannes, der die Mühen von fünf Jahren nun mit einem einzigen Federstrich vernichtet sah. „Wer jetzt noch hoffen kann,“ meinte er zu Gneisenau, „ist unendlich glücklich. Gebe Gott, daß ich es nicht verlerne!“ Die besten der preußischen Officiere nahmen ihren Abschied und gingen in russische Dienste. Gneisenau ging, Graf Chasot ging, Golz, Gruner, Lützow, Graf Dohna, Clausewitz – Alle und hundert Andere gingen! Auch Scharnhorst bat um seinen Abschied. Der König weinte und ernannte ihn zum Inspector der schlesischen Festungen, eine Stellung, welche den General selbstständig ließ, zugleich aber auch, wie er meinte, ihm den Fuß im Bügel erhielt, um noch in dieser verzweiflungsvollen Zeit der Mittler zwischen dem unglücklichen Könige und dessen Volk zu sein.
Und er that viel für die kommenden Ereignisse. Nicht allein, daß er es jetzt noch beim Könige durchsetzte, daß General York, der murrköpfige, eigensinnige, aber kerndeutsche, brave und tollkühne Soldat, dem General Grawert als zweiter Befehlshaber des preußischen Hülfscorps gegen die Russen beigegeben wurde; er blieb auch mit den preußischen Officieren in russischen Diensten in Verbindung und erleichterte deren so folgenschwere Anknüpfungen mit den Preußen unter York. Es lebte eine Ahnung in ihm, daß Napoleon an den großen Dimensionen des russischen Reichs zu Grunde gehen müsse, und diese Ahnung betrog ihn nicht.
Hoch oben im Norden, an den ostpreußischen Grenzen bereitete sich zu derselben Zeit, wo die halbe Million Streiter Napoleons von der Kälte, den Russen und den Elementen vernichtet ward, die lange angestrebte Befreiung Preußens, Deutschlands – ganz Europa’s vor, ohne daß der König es ahnte. York war in Folge der Krankheit Grawerts alleiniger Commandant des preußischen Hülfscorps geworden und hatte jeden ernstlichen Kampf mit den Russen zu vermeiden gewußt. Im December 1812 waren die Russen unter Wittgenstein auf ihn losgerückt, und die deutschen Officiere dieses Corps, worunter Clausewitz, suchten York zu bestimmen, von den Franzosen abzufallen, um so mehr, als sie ihm bestimmt die schreckliche Niederlage Napoleons melden konnten. Ein guter Genius verleitete den General York, seine Pflicht zu vergessen, um das Vaterland zu retten. Er schloß ohne Vollmacht des Königs den Vertrag von Tauroggen, just in der Weihnacht, und sagte sich von den Franzosen los. Die Revolution begann damit. Die letzten, decimirten Corps der Franzosen zogen sich vor den in Ostpreußen einrückenden Russen zurück; Stein kam nach Memel und übernahm im Namen des russischen Kaisers die Regierung der Provinz; Schön und Dohna organisirten die Volksbewaffnung im Sinne und mit den Mitteln Scharnhorst’s; die ostpreußischen Stände wurden berufen, und die Schriften des braven Arndt über
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_253.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)