verschiedene: Die Gartenlaube (1860) | |
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Nehmen wir doch hier, wie in allen Fällen von wunderbaren, unerklärlichen Geschichten, vor Allem das als gewiß an: die Sache ging natürlich zu, d. h. sie wurde durch die in ihren Wirkungen und Eigenschaften uns bereits bekannten, wenn auch keineswegs ganz erforschten Naturkräfte bewirkt. Ich höre da schon von vielen Seiten den leider auch bei sonst gebildeten Leuten beliebten Einwurf: „Man kann ja nicht wissen, ob es nicht Naturkräfte gibt, die uns noch gänzlich unbekannt sind, und deren Wirkung uns nur in seltenen Fällen, wie eben in dem und dem, wahrnehmbar wird.“ Dieses „man kann nicht wissen“ u. s. w. ist ein böser, falscher Wegweiser, der uns nicht auf die Hochstraße des menschenwürdigen Erkennens hinweist, sondern gradesweges in den alten Sumpf, in welchem Geistererscheinungen, Psychographie, Homöopathie, Mesmerismus und die zahlreichen anderen Gewächse des Aberglaubens in beklagenswerther Fülle gedeihen. Jene Leute mit ihrem „man kann nicht wissen“ glauben, die noch unentdeckten Naturgesetze wüchsen wie Trüffeln unter der Erde. Es ist weit wahrscheinlicher, daß die jetzt bekannten Naturgesetze oder Naturkräfte bei fortgesetzter Forschung sich auf wenigere reduciren, als daß neue hinzu erfunden werden.
Man mache mir keinen Vorwurf daraus, daß ich den poetischen Reiz von meiner kleinen Geschichte abgestreift habe. Die wahre Poesie wohnt nicht im Dunkel des Mysticismus! Ihr Reich ist das des Lichtes, des Lebens. Schlage die Werke des größten Meisters aller Poesie, Shakespeare’s, auf und lies, wie er die Schmerzen und Wonnen, die Leidenschaften und Gefühle des Menschenherzens, die Freudigkeit des unbefleckten Gewissens, das drückende Bewußtsein der Schuld – kurz, das Leben der Menschen in seinen tausendfachen Beziehungen schildert, das ist die wahre, gesunde Poesie! Und mit Liebe und Verehrung kehre ich am Schlusse dieses Aufsatzes wieder zurück zu dem Altmeister unserer deutschen Poesie, der in seinen herrlichen Schöpfungen es genugsam dargethan hat, daß er das Licht und die Wahrheit zu den höchsten Gütern des Menschenlebens zählte, zu unserem Goethe, der sterbend rief: „Licht, mehr Licht!“
Ja, „Licht, mehr Licht!“ sei auch unsere Parole!
Wenn man im gesegneten Thüringer Lande bei Naumburg aus dem Dampfwagen steigt, und das schöne rebenumkränzte Thal, in welchem die Saale und Unstrut sich zu einem schiffbaren Flusse vereinigen, nordwestlich hinaufschaut, so erblickt man rechts auf der Bergeshöhe den wie eine Seltersflasche geformten Thurm des Freiburger Schlosses, links die hübschen Gebäude der Champagnerfabrik und im Thale die Häuser der Stadt Freiburg mit dem Doppelthurm ihrer Kirche zu St. Anna. Am Fuße des Schloßberges, etwas erhöht gegen den übrigen Theil des Ortes, liegt das vom Turnvater Jahn im Jahre 1840 erbaute Haus, auf welches sich neuerdings die Aufmerksamkeit gelenkt hat, da es vom Vorstande der deutschen Schiller-Lotterie angekauft worden ist, um als einer der Hauptgewinne mit zur Ausspielung zu kommen.
Die Erwerbung dieses reizend gelegenen Etablissements für den erwähnten Zweck war ohne Zweifel ein passender und guter Gedanke. Das Haus ist weit bekannt und viel aufgesucht, und wenn Stadt und Schloß Freiburg durch die Thüringer Landgrafen, Ludwig den Springer und Ludwig den Eisernen, durch die Deutschen Ritter, welche eine Comthurei darin hatten, und durch Luthers Aufenthalt auf eine frühere Zeit hinweisen, so ist auch Jahn’s Haus nicht ohne seine kleine Geschichte. Der Erbauer, welcher darin nach einer bewegten Zeit und vielen Schicksalen seinen Lebensabend zubrachte, wirkte in mancher Beziehung, und auf die Bewohner von Freiburg ist seine Regsamkeit nicht ohne geistigen Einfluß geblieben, wenn es auch hier, wie allenthalben, aufgeblasene Wichte gibt, die ein gemeinnütziges Schaffen nicht zu begreifen verstehen. Von den Jahnschen Erben kaufte das Grundstück ein Edelmann, welcher das Wappen des alten Turnvaters vom Giebel entfernte und die bisher offene Thür den Fremden schloß. Dann siedelte sich Rawald darin an, der, von der Festung kommend, in einer freundlichen Natur bei materiellem Wirken die langen Kerkerjahre vergessen wollte. Von Letzterem datiren die industriellen Bewegungen des Ortes; es entstanden die Dampfschornsteine der Cement- und Wasserglasbereitung und die Champagnerfabriken.
Das kleine Unstrutthal von Freiburg bis Scheiplitz ist eine liebliche Vereinigung von sonnigen Rebenhügeln mit lustigen Weinbergshäuschen, grünen Wiesen mit dem Wasserbande, bewaldeten Abhängen und lohnenden Aussichten auf die thüringische Eisenbahn, umliegende Dörfer, Großjena und Naumburg. Der Wein aus Freiburgs Schweigenbergen ist mild und feurig, die Luft ist rein und gesund, und aus den Eisen- und Cementsteinflötzen springen Quellen, die manche heilsame Wirkung üben.
Das auf stark massiven Mauern erbaute Haus Jahns, mit seinem Turnerspruche: „Frisch, frei, fröhlich, fromm!“ ist sehr geräumig, im Innern wohnlich und elegant, und aus dem hübsch angelegten Garten überblickt man die ganze anmuthige Gegend mehrere Stunden weit. So mag sich freuen, wem das Glücksloos zufällt, zu welchem er bei Schillers Gedächtnißfeier gekommen ist!
Scharnhorst und die preußische Landwehr.
Von S.-W.
In einem Zimmer des Schlosses zu Breslau saß König Friedrich Wilhelm III. und hielt nachdenklich ein Actenstück in seiner Hand. Neben ihm stand ein großer, ziemlich schlanker Mann von etwa sechsundfünfzig Jahren in preußischer Generalsuniform. Es war Scharnhorst, der den noch immer zagenden und zögernden, bangenden und unschlüssigen Monarchen auf’s Neue zum thatkräftigen Handeln zu bestimmen suchte, ihm von Neuem alle die Hülfsmittel vorhielt, welche die Patrioten, welche er und seine Freunde, ein Stein, ein Gneisenau, ein Bogen, Grolmann, Clausewitz, York und Dohna seit Jahren und in der Stille zum Kampf gegen den Unterdrücker mit Mühe und unsäglicher Ausdauer vorbereitet hatten. Friedrich Wilhelm schüttelte mit dem Kopfe; er bezweifelte des Generals Angaben und die allgemeine Erhebung des Volks für den Thron. Nicht allein, daß er mißtrauischer als je auf diese von Scharnhorst fast mit Gewalt durchgeführte Volksbewaffnung blickte und allen Ernstes glaubte, er bewaffne selber die Revolution gegen sich und seine Dynastie: er konnte auch den Gedanken nicht fassen, daß so schnell bewaffnete, undisciplinirte Volkshaufen irgend etwas gegen die kriegsgeübten Truppen eines Napoleon ausrichten würden. Das Actenstück, das er jetzt in den Händen hielt und mit zweifelnder Miene durchblätterte, enthielt die Aufzeichnung der preußischen Streitmittel, wie sie Scharnhorst vorbereitet hatte: 120,000 Mann Truppen, eine Landwehr, die auf 100,000 Mann veranschlagt war; freiwillige Jäger, die der General zu 10,000 Mann berechnet hatte. Der König glaubte nicht daran. Sein Land hatte kaum noch fünf Millionen Seelen; Napoleon hatte ihn gezwungen, nur 42,000 Mann zu halten; französische Truppen und Behörden hatten seinen Staat überwacht – und Scharnhorst versicherte trotzdem, es sei eine Armee von über 200,000 Mann bereit, auf den ersten Ruf des Königs sich zu erheben und über die Franzosen, herzufallen. Fast war dies so unmöglich, daß der Zweifel wohl berechtigt war.
Und dennoch war Wahrheit, was in dem Actenstücke stand. Ein glühender Haß gegen die Unterdrücker, eine feurige, alle Hindernisse
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_251.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2021)