Verschiedene: Die Gartenlaube (1859) | |
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trotzdem sie überall in der Stadt wohnen könnten, doch aus alter Gewohnheit zusammenbleiben und zwar an demselben Flecke, wo sie ehemals zusammengepfercht leben mußten, und die, trotzdem ihnen heute alle Gewerbe offenstehen, aus alter Gewohnheit meist mit alten Kleidern handeln. Die Race sieht sehr alt und verkommen uns. Trotzdem beherbergte das Ghetto vor ungefähr fünfzehn Jahren die größte Schönheit Turins, eine der größten Schönheiten, die man sich, nach der Beschreibung, vorstellen kann. Es war ein junges Judenmädchen, das man damals als eine große Merkwürdigkeit, als ein Weltwunder betrachtete. Wenn sie ausging, entstanden Auflaufe und oft bildeten sich vor ihrem Fenster Zusammenrottungen, die sie mit Geschrei zu sehen verlangten. Zuletzt ging sie nie mehr aus und die Eltern hielten sie eingesperrt. Es waren ehrliche Leute, die, unter der damaligen absoluten Regierung, irgend einen Skandal fürchteten, für den sie keine Genugthuung gefunden, oder der der Ehre der Tochter hätte schaden können. So stand dieses Licht unter dem Scheffel. Einige ehrenhafte christliche Familien ließen sie manchmal in’s Haus kommen, um ihr in ihrer Gefangenschaft einige Abwechselung zu gewähren. Sie ist verschwunden und ich konnte nicht erfahren, wohin. Wahrscheinlich handelt sie in Piguerole oder irgend einem andern Nest mit alten Kleidern. Möge es ihr wohl ergehen, der Märtyrerin der Schönheit, und möge sie in irgend einem alten Fracke eine Tausendpfundnote oder besser ein Sonett auf ihre Schönheit finden!
Die Juden erinnern mich an eine andere ehemals in diesem Reiche verfolgte Religionsgesellschaft, an die Waldenser. Schön und glänzend steht heute ihr romanisch-gothischer Tempel mit breiter Facade auf der Promenade und empfängt gastlich alle Protestanten und Reformirte, die sich in Turin aufhalten. Am Tage der Eröffnung dieses Tempels prophezeiten alle Priester den bevorstehenden Untergang der Welt, aber sie steht noch und die Waldenser feiern unbehindert, unter dem Schutze der neuen Gesetze und vor Allem der neuen Zeit, ihren Gottesdienst, sie, die sich ehemals in Schluchten und Klüften haben verbergen müssen. Die Thäler, die sie heute bewohnen, sind die Sitze des blühendsten Wohlstandes, und ihre fanatischsten Nachbarn rühmen ihren Fleiß, ihre Einfachheit, ihre Bildung und Redlichkeit. Das hat man von jeher gethan, aber das war nicht Grund genug, den Ketzern ein Bethaus zu gestatten. Nun ist es endlich geschehen, aber wer hätte das unter Karl Albert vorausgesagt?
Es wird in Italien noch Manches geschehen, was heute kein Prophet voraussagen kann.
Blätter und Blüthen.
Eine noch lebende Genossin und Krankenpflegerin Friedrich Schiller’s. Wie herrlich auch die Feste zu Ehren unseres Schiller gefeiert worden sind, nirgends wurde der 10. November inniger und weihevoller begangen, als in einem freundlichen, kleinen Hause, seit wenigen Jahren erst in einem traulichen Walddörfchen erbaut.
Dies Berghäuschen auf der mäßigen Höhe eines Gartens, der sich in einigen Terrassen aus dem Thale erhebt, ist der stille Ruhesitz einer edlen Matrone, welche unserem Schiller nicht nur viele Jahre sehr nahe stand, sondern den Kranken auch mit sorglicher Liebe gepflegt hat. Wer möchte aus den festlichen Tagen mit ihrem offenen Glanze, ihrer lauten, allgemeinen Feier, in denen einmal das schwer belastete Nationalgefühl der Deutschen sich warm an einem gemeinsamen Schatze aufrichten durfte, wer möchte da nicht gern einen Blick in ein Haus hinein thun, wo die Letzte noch lebt, die dem großen, in seinem Leben so sehr versäumten Dichter wohl gethan hat! – sie, welcher mancher dankbare Blick des leidenden Dichters zugewendet war.
Dort das friedliche Berghäuschen, vor dem drunten im grünen Thale der Bach hinter Erlen rasch niederrollt, droben stattliche Fichten den Berg krönen, blickt uns wie der Wittwensitz einer friedvollen Seele an, und das ist er auch. Treten wir ein, so zeigen die Wände der Zimmer die treuen Bilder uns wohlbekannter, großer Menschen, der Genossen und Freunde Schiller’s; die einfachen Tische und Schränke tragen manche kostbare Gabe, welche durch die Liebe und die Hand, die sie gab, für alle Zeit geweiht sind, als Reliquien aus der größten Zeit deutscher Dichtkunst und Wissenschaft, von den edelsten und größten Menschen derselben. Dort an dem Fenster, nach der Sonnenseite, sitzt in einem Lehnsessel die hohe, gerade Gestalt einer Greisin. Du könntest sie für eine Ahnenfrau halten, wenn du in das bleiche, ruhige, längliche Gesicht mit seinen edlen, festen Zügen und diesen schwarzen Augen siehst; aber höre der Greisin zu, wenn sie von der Zeit redet, wo sie mit Goethe und Herder, mit Alexander und Wilhelm von Humboldt, mit Körner zusammen war, wo Schiller sie „die treuste Seele“ nannte, wo sie den Dichter glücklich, wo sie ihn in tiefer Betrübniß gesehen; dann zieht es dich zu diesen Augen, die immer lebenvoller werden, zu diesen treuen, warmen Mittheilungen mächtig hin, und du glaubst neben einer Mutter aus gar alter Zeit zu stehen. Reiche ihr dankbar die Hand; denn bedenke, jene ihre bleiche Hand hat unsern Schiller liebend gepflegt, wo er einsam und sorgenvoll aus seinem letzten Lager lag.
Doch ich will Namen nennen. Möge die einfache, geräuschlose Verehrte, die nie aus der anspruchlosesten Zurückgezogenheit vortrat und das Große und Herrliche, was ihrem Leben angehört, nur wie ein Heiligthum der Seele still mit sich trug, – wenn sie dies lesen sollte, möge sie nicht verletzt werden! – Das Berghäuschen, in das ich geführt habe, steht in dem Dörfchen Langendembach in der Grafschaft Oppurg im Weimarischen, nahe dem freundlichen Städtchen Pösneck. Die Bewohnerin desselben ist Wilhelmine Schwenke In Langendembach als Tochter des damaligen Pfarrers 1780 geboren, kam sie 1798 in das Haus des Schwagers von Friedrich Schiller, des Geheimerathes von Wollzogen. Anfangs Dienerin, wurde sie bald die vertrauteste Lebensgefährtin der Frau von Wollzogen, der bekannten Schriftstellerin, – der Schwester der Gattin Schiller’s, in solchem Grade, daß die sterbende Frau von Wollzogen in die Hände unserer Wilhelmine Schwenke ihren kostbarsten, aber auch wohl zu wahrenden Schatz, ihren Nachlaß von Briefen und Schriften testamentarisch übergab.
Nur einige Monate des Jahres 1802 ausgenommen, in denen sie mit Frau von Wollzogen in Paris lebte, war Fr. Schwenke anno 1798 bis 1805 theils in Weimar, theils in Jena fast täglich mit Schiller zusammen, der bekanntlich so gern mit seiner geistreichen Schwägerin von Vollzogen verkehrte und bei seiner mittheilsamen Natur dieselbe zur Vertrauten seiner Leiden und Freuden, wie seiner Ideen und Schöpfungen machte. Gern pflegte sich Schiller mit der natürlichen, wahren und weiblich tactvollen Begleiterin seiner Schwägerin zu necken und bewies derselben vorzugsweise Vertrauen und Achtung. Als Schiller in Jena sehr ernstlich erkrankte und bei der gerade erfolgten Niederkunft der Gattin desselben Alle im Hause viel beschäftigt waren, wurde Fr. Schwenke wochenlang fast die einzige sorgliche Pflegerin des Kranken. Selbst als Schiller 1803 bis 1804 in Dresden und Loschwitz bei Körners sich aufhielt, wohnte Fr. Schwenk mit Fr. von Wollzogen in demselben Hause mit dem Dichter. In der schweren Zeit, als Schiller 1805, in Weimar das letzte Mal erkrankte, der Hof verreist, Goethe selbst krank war, auch da noch saß sie abwechselnd an Schiller’s oft gar einsamem Sterbebette, eine liebende Wärterin. – –
Gewiß richten sich gern unsere Blicke von den Festen der Dankbarkeit
gegen unsern großen Heimgegangenen nach dem kleinen friedlichen Häuschen
im Walddörfchen und zu der hin, welche die einzige noch Lebende ist, die
unserem theuern Schiller die größten Dienste weiblicher Sorgfalt und Pflege!
erwies, die gethan hat, was wir so gern thun möchten, während wir doch
nur, wenn auch mit dem warmen Herzen dankbarer Verehrung, zu dem Verklärten
aufzublicken vermögen, ohne eine einzige Wunde heilen zu können,
deren so viele dem großen Herzen des unendlich zartfühlenden Dichters geschlagen
wurden. Im Geiste fassen wir dankbar die bleiche Hand der edlen
Greisin, die unserem Schiller wohlgethan.*** S.
Zur Schillerfeier! Zu den erfreulichsten Resultaten der Schillerfeier
gehört unbedingt das erhöhte Ansehen der deutschen Nationalität, die sich
zum ersten Male, und wie mit einem Schlage, dem Auslande gegenüber als ein
geschlossenes, fertiges und begeistertes Ganze hingestellt. Ein nicht unwesentliches
Verdienst für Erreichung dieses glänzenden Resultates dürfen wir mit Recht
unsern Flüchtlingen im Auslande zusprechen, die mit wenig Ausnahmen sich
wieder des deutschen Namens würdig gezeigt. Demokraten vom reinsten Wasser
sprachen in England, Frankreich, der Schweiz und Amerika mit hinreißender Begeisterung
von ihrem schönen Vaterlande und bewiesen den hochaufhorchenden
Ausländern in Poesie und Prosa, daß sie trotz des harten Exils und trotz
mancher tiefen Demüthigung und Enttäuschung im Herzen gut deutsch geblieben
sind und deutsch bleiben wollen. Durch sie und die Würde ihrer Feier,
durch die Wahrheit ihrer Begeisterung und die Herzinnigkeit ihrer Vaterlandsliebe
hat Deutschland in wenig Tagen und ohne Schwertstreich Eroberungen
gemacht, die segenbringender für das Ansehen der Nation wirken
werden, als alle bluttriefenden der Vorzeit.
Ein klarer Kopf ist viel Werth in der Welt, und es gibt deren weit
weniger in der Welt, als man glaubt; man findet eher tausend geistreiche
Menschen, als einen Mann von klarem Hellem Verstande. Einer der wenigen
Männer, deren Gedanken krystallklar sind, die jeden noch so verwickelten
Gegenstand so einfach und klar darlegen, daß er Jedem übersichtlich erscheint
und man gar nicht begreift, wie da je von Verwirrung die Rede
sein konnte, und die für ihre Darstellungen immer die einfachsten ungeschmückten
Worte wählen – ein solcher Mann ist Johann Jacoby in
Königsberg. Hunderte von Reden sind erschienen bei der Jahrhundert-Feier
Schiller’s, keine hat tiefer und dabei klarer, keine umfassender und dabei
verständlicher das Wesen Schiller’s und seine Bedeutung für das deutsche
Volk ausgelegt, als Johann Jacoby in seiner kaum 16 Seiten füllenden
Schrift: „Schiller der Dichter und Mann des Volkes. Schillerfestrede im Königsberger Handwerkerverein gehalten.“
(Königsberg, Verlag von Theile.) – Nach dieser ist unbedingt die Gützkow’sche
Rede (als Festgruß bei der Dresdner Feier am 9. November gesprochen)
die glänzendste, die eine wahrhaft hinreißende Wirkung ausübt.
Das ganze Resultat des orientalischen Krieges besteht in Schiffsladungen
Knochen. Englische Zeitungen erzählen, daß neuerdings schon
das zweite Schiff mit Knochen aus Sebastopol angekommen sei, das letzte
mit einer Ladung von 237 Tonnen. Sie verlangen zu wissen, ob dies
Gebeine russischer oder anglo-französischer Soldaten, ob es überhaupt Menschen-
oder Pferdeknochen seien und ob sie zur Düngung oder zur Stiefelwichsfabrikation
verwendet werden sollen. Sehr schmeichelhafte Auszeichnungen
für die um Nichts Gemordeten und für die Hinterbliebenen, die vielleicht
mit den Knochen ihrer Söhne oder Brüder täglich den Glanz ihrer
Stiefeln erneuen. Das sogenannte „Feld der Ehre“ reducirt sich demnach auf
einen Düngerhaufen oder – eine Schachtel Stiefelwichse!
Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_724.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2023)