verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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Wenig später, nachdem ich nach Leipzig gegangen war, ging Sallet nach Breslau, von wo er mich im Jahre 1839 zu Beiträgen für ein Blatt aufforderte, das er dort herauszugeben beabsichtigte. In diesem Briefe schrieb er mir unter Anderm: „Ich trete jetzt vor Dich in einer nagelneuen Qualität, nämlich der eines angehenden Redacteurs:
Ach, wer sagt, ob’s mich erfreuen
Oder mich betrüben soll?
Du siehst ein, daß einem solchen nothwendig ein Mühlrad im Kopfe herum gehen muß, daß er folglich nur confuse Briefe schreiben kann. Ich habe nämlich im October des vorigen Jahres den Dienst quittirt, um mich ganz und getrost der Literatur in die Arme zu werfen, und meinen Aufenthalt vorläufig in Breslau genommen.“
Das Journal, welches er zu redigiren beabsichtigte, und für das er bereits einen Verleger gefunden zu haben glaubte, sollte den Titel „Silesia“ führen, sich von aller Cliquenkritik frei halten, und zugleich „heiter und doch ernst, unterhaltend und doch gediegen, für’s Publicum genießbar und doch auch den Eingeweihten befriedigend werden.“ Er bezweckte mit diesem Blatt seine Heimathsprovinz, das gemüthliche Schlesien, „von der literarischen Schmach zu retten, daß es bisher keine einzige honette, auch für’s übrige Deutschland lesenswerthe Zeitschrift hatte.“ Er bat mich, den vorzugsweise als Kritiker Bekannten, nicht um literarische Besprechungen, da er sich dieses Fach möglichst selbst vorzubehalten wünschte, sondern um Novellen, Balladen und „fröhliche“ Lieder, die aber frei von socialer Polemik sein müßten, weil er diese (ohne Zweifel wegen der damaligen Censurverhältnisse) ganz von seinem Blatte auszuschließen gedenke.
Das Blatt kam nicht zu Stande, aus Gründen, die ich nicht kenne. Wenige Jahre später, 1843, starb Sallet, der mir immer eine zarte Körperconstitution zu haben schien, in Folge eines Brustleidens, nachdem er kurze Zeit das Glück der Ehe genossen hatte. Seine sterblichen Reste wurden auf dem seiner Schwiegermutter zugehörigen Rittergute Reichau in der Familiengruft beigesetzt. Von prosaischen Aufsätzen Sallet’s ist mir nur einer bekannt, die Humoreske „die entdeckten Spitzbuben“, welcher im Jahrgang 1836 des „Berliner Conversationsblattes“ mitgetheilt ist.
Gaudy stand unserm Dichterkreise ferner, obschon er ein oder das andere Mal in unsern Zusammenkünften hospitirte. An Gelegenheit zu sarkastischen Bemerkungen, zu denen er aufgelegt war, wird es ihm dabei schwerlich gefehlt haben. An ihn erinnert mich ein kleines Billet, worin er sich unter Anderm darüber entschuldigt, daß er mich bei einem Besuche zwischen Thür und Angel quasi abgefertigt habe. „In meiner Stube,“ schreibt er, „war eben der Teufel, und zwar ein ganz hübscher, und ich beschwöre nur unter vier Augen.“ Das Billet war, wie alle seine Briefe, schwarz gesiegelt. Wie man erzählt, hatte er diese Gewohnheit seit einem verzweifelten Augenblick, als er nahe daran war, seinem Leben ein Ende zu machen. Später sah ich ihn öfter bei Wein und Bier, namentlich Maitrank oder „Hohenstaufen“, einem von ihm erfundenen und so getauften mörderischen Getränk aus heißem Wasser, Burgunder und Rum. Der Umgang mit ihm war interessant, aber nicht eben erheiternd. Es lag etwas Trübes und Düsteres auf seinem Gemüth, und seine kurzen Bemerkungen waren meist bitterer Art. Sein Antlitz war nicht blos durch seinen langen martialischen Schunrrbart beschattet. Zum letzten Mal sah ich Gaudy 1838 in Leipzig, auf seiner Durchreise nach Italien. Er hatte etwas von der Insel Buen Retiro gehört, die er sich wahrscheinlich ihres Namens wegen mit eigenthümlichen Naturreizen ausgestattet dachte, und so veranlaßte er mich, ihn dorthin zu führen. Der Unglückliche wußte nicht, daß derselbe Vergnügungsort auch „Schimmel’s Teich“ genannt wird. Seine Enttäuschung war daher auch nicht gering. Ueberhaupt hatte er eine entschiedene Abneigung gegen Leipzig und begriff nicht, wie ich daselbst existiren und mich behagen könne. Jetzt, wo der Charakter der Stadt noch viel mercantiler und materieller geworden, und der Schriftsteller wohl kaum noch dasselbe Ansehen genießt, wie damals, würde sein Urtheil wahrscheinlich noch bei weitem abfälliger lauten. Berlin zog er schon deshalb vor, weil der aus den verschiedensten Elementen gemischte Charakter und die Größe der Stadt dem Einzelnen mehr Spielraum gewähren, unbeachtet seinen Neigungen folgen zu können. Gaudy war übrigens bei aller Herbheit ein sehr offener und energischer Mensch, der namentlich alle gemachten, gezierten und blasirt überfirnißten Persönlichkeiten auf’s Gründlichste verachtete und floh. Mit Stolz nannte er sich einen „Freiherrn“, dieses Wort so verstehend, daß es seine Stellung als die eines an keine Rücksichten gebundenen „freien Herrn“ symbolisch ausdrücke.
Ganz unbedeutend ist ein Billet von Chamisso, das mich jedoch mit ihm in persönliche Berührung brachte. So poetisch und originell auch die Erscheinung dieses Dichters war, wenn er ernst und gemessen, in langem, herabfallendem, grauem Haar die Friedrichsstraße nach seiner Wohnung hinunterschritt, so kann ich doch nicht sagen, daß der Inhalt seines Gesprächs diesen Eindruck fortgesetzt oder gar gesteigert hätte. Vielleicht sah ich ihn zu selten; und warum sollte auch ein Dichter, Naturforscher und Weltumsegler von seinen Jahren und seinem Rufe sich einem jungen, angehenden Redacteur von der liebenswürdigen poetischen Seite zeigen?
Es handelte sich darum, ihn zu Beiträgen für das Berliner Conversationsblatt zu bewegen, aber er verweigerte selbst die Erlaubniß, daß sein Name unter den Mitarbeitern genannt würde. An Offenheit ließ er es dabei nicht fehlen. Er drückte seine Abneigung gegen alle Journalistik und Belletristik auf’s Unverblümteste aus. Er haßte überhaupt alle Schriftstellerei. Jeder Schriftsteller und Dichter sollte, nach seiner Ansicht, noch etwas nebenbei sein, falls das Glück ihn nicht in Stand gesetzt hätte, von seinen Renten zu leben. Hierzu kam vielleicht, daß man mich in dem verdienten oder unverdienten Verdacht hatte, dem literarischen jungen Deutschland anzugehören, und diese ziemlich willkürlich zusammengewürfelte Genossenschaft war in Chamisso’s und seiner Freunde Augen ein abscheuliches Monstrum, dem es recht geschehen, wenn ihm die Regierungen selbst die Bedingungen seiner Existenz genommen und zu schreiben verboten hätten. Strich doch zu der Zeit die Censur selbst den Namen irgend eines Genossen dieses jungen Deutschlands, wenn er auch nur gelegentlich angeführt wurde. Was mich betrifft, so war von mir bekannt, daß ich an dem gefürchteten, inzwischen unterdrückten „Zodiacus“ mitgearbeitet hatte und mit dessen wackerm Redacteur, Theodor Mundt, persönlich verkehrte. Dies reichte hin, auch mich in den Augen gewisser Personen als einen, wenn nicht gefährlichen, doch jedenfalls verdächtigen Menschen erscheinen zu lassen. Es nahm mich nur Wunder, daß auch Chamisso, ein geborner Franzose, der in manchen Gedichten eine freie Gesinnung bekundet hatte, so gut wie Steffens, welcher selbst in seinen Collegien gegen die Schriftstellerei eiferte, sich in diesem Punkte so beschränkt, engherzig und übertrieben ängstlich zeigte. Namentlich war bei einem Naturforscher, der doch für das organisch nothwendige Werden der Dinge einen Blick haben sollte, die Beschränktheit auffallend, womit er nicht einsehen mochte, daß seit der mächtigen, unaufhaltbar fortschreitenden Entwickelung der Journalistik und des Zeitungswesens, des Buchhandels und der gesammten nach Verallgemeinerung strebenden Bildung die Schriftstellerei ein mit vollster Nothwendigkeit aus den Verhältnissen sich ergebender Zeitfactor ist, der nur um so mehr an Macht und Einfluß gewinnt, je mehr man ihm Widerstand leistet. Ich war mir bewußt, bei der Uebernahme des genannten Blattes die besten Absichten zu haben, ich war ein großer Verehrer Chamisso’s und seiner Muse, und so kann man sich wohl vorstellen, wie tief mich diese Unterredung mit dem berühmten Dichter verstimmte, Ich glaubte, mit einem freigesinnten französischen Edelmanne und einem großsinnigen Poeten zu thun zu haben, und ich fand, daß Chamisso in diesem Punkte ziemlich eingephilistert war.
Indem ich unter meinen Briefschaften weiter krame, fällt mein Blick auf ein Convolut von Briefen des Dichters Heinrich Stieglitz aus Berlin, Breslau, München und Venedig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_715.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)