verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 50. | 1857. |
Der verhängnißvolle Schatten.
Während Cesar die Weinende in seine Arme schloß und sie durch leisen Zuspruch zu beruhigen suchte, unterzog der Arzt die Leiche nochmals einer genauen Besichtigung. Seine Miene ward dabei immer bedenklicher und ernster. Endlich deckte er das Laken über das bleiche schöne Antlitz des Verstorbenen, erfaßte Cesar’s Hand und bat diesen, ihm eine Unterredung unter vier Augen zu schenken. Cesar erklärte sich sogleich dazu bereit.
„Verschließen Sie sorgfältig die Thür des Zimmers,“ sagte der Arzt zu dem Schloßherrn, „und verwahren Sie den Schlüssel gut, damit kein Dritter Zutritt zu demselben erhalten kann.“
„Weshalb?“ fragte Cesar, den Arzt mit offenen Augen ansehend.
„Sie sollen es erfahren, wenn wir allein sind.“
Cesar führte die ganz von ihrem Schmerz beherrschte Cornelie in die Zimmer, welche sie früher bewohnt hatte, und kehrte dann zu dem Arzte zurück, der in einem elegant meublirten Gemache des Schloßherrn wartete.
„Nun, Herr Doctor, was haben Sie mir mitzutheilen?“ redete er diesen unbefangen an. „Wir sind jetzt völlig ungestört. Niemand kann uns hören oder beobachten.“
„Wann glauben Sie, daß Ihr Bruder gestorben ist?“ fragte der Arzt.
„Ich habe darüber gar keine bestimmte Meinung,“ versetzte Cesar. „Als ich heute früh am Tage das Schloß in nöthigen Geschäften verließ, lag mein armer Bruder noch in ruhigem Schlafe –“
„Sie sahen ihn selbst?“ warf der Doctor ein.
„Ich nicht, meine Haushälterin.“
„Ist das dieselbe Person, die Sie gewöhnlich zu mir schickten, wenn Sie meiner bedurften?“
„Zuverlässig.“
„Und wer bereitete Ihrem Bruder den Trank?“
„Ebenfalls meine Haushälterin.“
„Sie hat also alle Vorräthe, welche zur Haushaltung gehören, unter ihrem Verschluß?“
„Sie ganz allein.“
„Wenn dem so ist, Herr Hornburg, so muß ich Sie bitten, ein Auge auf dies Mädchen wie auf alle diejenigen zu haben, mit denen sie verkehrt oder verkehrte.“
„Aber warum das, Herr Doctor?“
„Weil ich Grund habe zu vermuthen, daß Ihr Herr Bruder nicht eines natürlichen Todes gestorben ist.“
„Sie erschrecken mich! – Wie wäre dies möglich, bester Doctor! Bedenken Sie, daß Ottwald seit Wochen bei mir lebt, daß wir bis gestern Abend gegen zehn Uhr noch heiter zusammen gesprochen haben; daß alle meine Leute erprobte Diener sind, die sich weder über mich noch viel weniger aber über meinen Bruder beschweren konnten. Und nun sollte plötzlich eine frevelnde Hand sich finden, die ihm nach dem Leben trachtete? – Unmöglich, unmöglich!“
„Sie mißverstehen mich, Herr Hornburg,“ versetzte der vorsichtige, kalt beobachtende Arzt. „Ich habe nicht gesagt, daß irgend Jemand Ihrem verstorbenen Bruder nach dem Leben getrachtet habe, ich glaubte nur Spuren an dem Todten zu entdecken, wie an dem Glase, aus dem derselbe Ihrer Angabe nach den letzten Labetrunk schlürfte, daß er eine der Gesundheit und dem Leben gefährliche Substanz zugleich damit genoß. Diese lebensgefährliche Substanz kann ihm in Folge unverantwortlicher Fahrlässigkeit gereicht worden sein. Dies, Herr Hornburg, ist vorläufig meine unmaßgebliche Ansicht. Als gewissenhafter Arzt ist es meine Pflicht, Anzeige von diesem auffälligen Todesfälle zu machen, damit der Leichnam secirt und den Ursachen des Todes nachgespürt werde. Stellt sich dann etwas Verdächtiges heraus, so wird eine Durchforschung aller Räumlichkeiten des ganzen Schlosses und ein scharfes Verhör aller Bewohner desselben die nicht abzuwendende Folge davon sein.“
Diese Eröffnung des Arztes machte einen sehr niederschlagenden Eindruck auf Cesar. Er wollte und konnte es nicht fassen, daß Ottwald in Folge einer Vergiftung gestorben sei, und eben so wenig vermochte er, wie sehr er sich auch abmühte, die Möglichkeit einer so groben Fahrlässigkeit sich zu erklären.
So unangenehm ihm die Sache war, den Verdacht des Arztes mußte er respectiren. Noch vor Abend ward ein reitender Bote abgefertigt, der ein Schreiben des Arztes der Gerichtsbehörde überbrachte. Der Arzt selbst blieb im Schlosse, dessen Bewohner gewissermaßen die Gefangenen seines Argwohnes waren. Cornelie ward von Cesar unterrichtet, gegen alle übrigen Schloßbewohner beobachtete man vollkommenes Stillschweigen.
Zwei volle Tage verweilte die gerichtliche Untersuchungscommission auf dem Schlosse. Was sie daselbst trieb, erfuhren die
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_681.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)