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Seite:Die Gartenlaube (1857) 680.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

für diejenigen bestimmt, welche obige Gegenstände in nicht so wohl erhaltenem Zustande oder von geringerer Qualität besaßen; die dritte Abtheilung endlich, der Saal der wahren Proletarier, faßte die Lumpensammler der niedrigsten Classe, d. h. diejenigen, welche weder Tragkorb, noch Laterne, noch Haken besitzen und folglich gezwungen sind, die Lumpen mit der Hand aus den Schmutzhaufen zu holen und in einen Sack zu stecken. In der Versammlung aber, welche wir beschrieben haben, wurde beschlossen, daß als Zeichen der Freundschaft und guter Brüderlichkeit alle Classenunterschiede aufgehoben werden und die drei erwähnten Classen an einem Tische Platz nehmen sollten. Der Präsident beantragte, daß dieser Beschluß auch in Zukunft als fest bestehende Regel gelten sollte, was auch durch Acclamation angenommen wurde. – Die Theilnehmer des Bankets begannen alsdann ihrem Mahle zuzusprechen. Die Ehrenschüssel war eine riesige olla potrida; ein hoher irdener Krug, das „Väterchen“ genannt, welchen ein Faß, der „Mohr“ benamset, beständig füllte, enthielt den Wein, und zwar ordinären; das Nachessen bestand aus gewaltig stark riechendem Käse, Radieschen und einem Glase Branntwein, genannt „Brustbrecher“ (casse-poitrine). – Beim Banket ging es sehr lustig her und beim Dessert wurden mehrere Toaste ausgebracht; der eine auf die Presse, welche, sagte der Präsident, die Welt erleuchtet, und durch ihre ungeheure Papierconsumtion den Lumpensammlern ihr tägliches Verdienst zuwendet. Schließlich wurde eine Sammlung zu Gunsten der Armen veranstaltet, welche 9 Frcs. 75 Cts. einbrachte. – Bei früheren Gesellschaften waren die Tischgeräthschaften mit Ketten an den Tisch befestigt; dieses Mal geschah dies nicht. Indessen verlangte man von den Gästen, daß sie eine gewisse Summe deponirten, welche ihnen später wiedergegeben wurde.




A. Traeger. Den vielen Lesern und Leserinnen der Gartenlaube glauben wir durch die Nachricht, daß Albert Traeger’s Gedichte nunmehr gesammelt erschienen sind, eine angenehme Mittheilung zu machen. Durch seine Beiträge, namentlich durch die eben so sinnigen wie tief gefühlten Lieder: „Wenn Du noch eine Heimath hast – Das Mutterherz – Wie stirbt es schön sich in der Kindheit Tagen – Wenn Dich die Welt an’s Kreuz geschlagen etc. etc.“ hat sich Traeger rasch die Gunst der vielen tausend Leser unserer Zeitschrift gewonnen und die meisten dieser Lieder sind bereits mehrere Mal in Musik gesetzt. Die in eleganter Ausstattung erschienene Sammlung enthält noch viele schöne Gaben, die sich durch Tiefe des Gemüths und eine edle vollendete Form auszeichnen. Wir führen unter den vielen nur eins an:

 Einst wirst Du schlummern.

Ist Nachts auch thränenfeucht Dein Pfühl,
Und heiß die ruhelosen Lider,
Einst wirst Du schlummern sanft und kühl,
Und keine Sorge weckt Dich wieder.

Vergehe nicht in Angst und Qual,
Es eilt die Stunde, Dich zu retten;
Vier Breter nur braucht’s dünn und schmal,
Ein müdes Menschenherz zu betten.

Und Du auch findest eine Hand,
Die Augen sanft Dir zuzudrücken,
Mit einer Blume, einem Band
Dir Deinen Sarg noch auszuschmücken.

Der Tod bringt Ruhe Deinem Harm,
Die Dir das Leben nie vergönnte;
Halt’ aus: es ist kein Mensch so arm,
Daß er nicht endlich sterben könnte.




Der Seehund. Der Seehund besitzt eine bedeutende Gehirnentwickelung und einen Scharfsinn, der ihm selbst unter den Hausthieren einen hohen Rang gibt. Er ist leicht gezähmt und offenbart einen Grad von Anhänglichkeit für häusliches Leben, welcher nur dem Hunde, diesem treuesten Freunde des Menschen, den Vorrang läßt. Diesen Zug bemerkte schon Plinius und Cuvier beschreibt einen, der viel Intelligenz verrieth und manche Schelmereien ausführte. Wollte man z. B., daß er sich auf sein Hintertheil erhebe und, eine Schildwache nachahmend, einen Stock zwischen seine Pfoten nehme, so gehorchte er dem Commandowort; auch legte er sich, je nachdem man es wünschte, auf die rechte oder linke Seite, oder schoß einen Purzelbaum. Er reichte seine Pfote wie ein Hund. und spitzte seine Lippen zum Kuß. Diese Anhänglichkeit zu seinem Herrn, insbesondere zu denen, die ihn füttern, nahm man auch bei dem Seehunde wahr, welcher sich im zoologischen Garten des Regents Parks befand. Dieser bewies einen merkwürdigen Grad von Lebhaftigkeit und Verstand, wenn er seinen Pfleger von fern erblickte. Folgende Geschichte aber ist wohl, wenn nicht die überzeugendste, so doch die ergreifendste, von der häuslichen Natur und Anhänglichkeit der Phoca vitulina, oder des gemeinen Seehundes, deren Authenticität unbezweifelbar ist. – In dem Hause eines Landmannes, nahe der Seeküste in Irland, wurde ein junger Seehund aufgezogen. Er wuchs zusehends. Seine Gewohnheiten waren unschuldiger und freundlicher Natur; er spielte mit den Kindern, war familiär mit der Dienerschaft, und anhänglich an Haus und Familie. Im Sommer machte es ihm Vergnügen, sich in der Sonne zu sonnen; im Winter, vor dem Feuer zu liegen oder, gestattete man es ihm, in den großen Ofen zu kriechen, dieses Anhängsel einer irischen Küche. Da traf es sich, daß das Schwarzvieh in eine absonderliche Krankheit verfiel, woran mehrere starben. Kein Mittel wollte helfen. In seiner Verzweiflung befragte der leichtgläubige Eigenthümer eine alte Hexe. Diese behauptete, die Sterblichkeit unter seinem Vieh käme davon her, daß er um sein Haus ein unreines Thier dulde – den harmlosen und belustigenden Seehund, und daß er sich desselben entledigen müsse, sollte das Sterben unter seinem Vieh aufhören. Der abergläubische Landmann ließ das Thier in ein Boot schaffen und oberhalb der Insel Clare in die See werfen. Am nächsten Morgen fand man den Seehund ruhig im Ofen schlafen. Er war durch ein offenes Fenster gekrochen, und hatte sich nach seinem Lieblingsplatz begeben. Der sonst gutmüthige Landmann ließ ihn eine Zeitlang im Hause. Da aber das Vieh nicht aufhörte zu sterben, so wurde der Seehund von Neuem verurtheilt, in noch weiterer Entfernung, als das erste Mal, in die See geworfen zu werden. Als am zweiten Abende eben die Dienerin das Küchenfeuer schürte, hörte sie ein Kratzen an der Thüre, sie öffnete und herein kam – der Seehund, einen eigenthümlichen Freudenschrei ausstoßend, weil er sich wieder zu Hause befand. Hierauf streckte er sich beim Heerde nieder, und fiel in einen gesunden Schlaf. Die alte Hexe wurde von Neuem befragt. Diese sagte, es wäre nicht rathsam, das Thier zu tödten, man sollte ihm die Augen ausstechen und es dann in die See werfen. Der einfältige Mensch gehorchte dem barbarischen Rathe, und das unschuldige Geschöpf wurde seines Augenlichtes beraubt und zum dritten Male, während es sich noch im Todesschmerze wand, tief in die See hineingebracht und hineingeworfen. In der achten Nacht, nachdem das harmlose Thier dem Ocean Übergeben worden, blies ein starker Wind. In den Pausen des Sturmes hörte die Dienerin klagende Töne, welche sie für das Banshee, d. h. für die Stimme hielt, welche nach dem Aberglauben in jener Gegend den Tod irgend eines Familiengliedes verkündiget. Am nächsten Morgen fand man den Seehund todt auf der Thürschwelle liegen.




Leitmuscheln. Was das für Dinge sind, wird wohl vielen Lesern und Leserinnen der Gartenlaube noch unbekannt sein. Wenn ein Brunnengräber irgendwo in der Erde eine alte Waffe oder Aschenurne oder Münzen oder einen alten Mosaikfußboden findet, so hat er – Leitmuscheln gefunden. Das ist nun freilich nicht buchstäblich zu nehmen, denn es sind ja keine Muscheln, was er gefunden hat. Aber buchstäblich darf die erste Sylbe genommen werden, denn der Brunnengräber oder vielmehr der Alterthumsforscher, dem er die Dinge bringt, wird dadurch geleitet. Worauf denn? Auf welt- und kulturgeschichtliche Vermuthungen und Schlüsse. Solche Funde beleben oft mit einem hellen Lichte einen weiten Umkreis. Durch dieselben kann die Oertlichkeit eines ehemaligen Kampfes, die Lage einer untergegangenen Stadt, die Grenzen des Vordringens eines Eroberungsvolkes festgestellt werden. Was hier dem Geschichtsforscher dergleichen Alterthümer leisten, das leisten dem Erdgeschichtsforscher Muscheln, nämlich versteinerte; aber nicht blos Muscheln, sondern auch andere thierische und pflanzliche Ueberreste. Am meisten thun es allerdings versteinerte Muscheln und Schneckengehäuse. Weil nun aber auch andere Versteinerungen solche Leiter siud, so sagt man in neuerer Zeit lieber Leitfossilien (zu deutsch Leitversteinerungen). Aber nicht jede alte Münze, nicht jede Versteinerung leitet gleich bestimmt und sicher.

Ein Topf mit alten römischen Münzen sagt zunächst blos, daß auf dem Platze oder in der Nähe einstmals eine römische Niederlassung gewesen sein mag. Aber zu welcher Zeit? Dies sagen nur alle Münzen übereinstimmend, wenn sie alle von gleichem Gepräge sind. Sind sie von ungleichem Gepräge und tragen sie die Brustbilder verschiedener Kaiser, so geben blos die Münzen mit dem neuesten Gepräge einen Aufschluß über die Zeit der muthmaßlichen Niederlassung. Fänden wir nun in den verschiedensten von einander entfernten Ländern Münzen von gleichem Gepräge, so dürften wir mit Fug und Recht schließen, daß an allen diesen Orten gleichzeitig römische Niederlassungen bestanden hätten. – So können uns solche alte Münzen zu geschichtlichem Verständniß einer Gegend leiten.

Genau denselben Dienst leisten nun die Versteinerungen. Wenn wir z. B. überall auf der Erde in den Schieferthonschichten der Steinkohlenformation Abdrücke theils von denselben, theils wenigstens von sehr nahe verwandten Pflanzenarten finden, so dürfen wir daraus den Schluß ziehen, daß damals – nach Humboldt’s Schätzung vor etwa 7 Millionen Jahren – überall auf der Erde ziemlich die gleichen klimatischen Verhältnisse geherrscht haben. Wenn wir ferner z. B. in den ältesten versteinerungführenden Schichten der Grauwacke, wo dieselben auch immer untersucht worden sein mögen, stets Versteinerungen von einer sonderbaren – den Krebsen zunächst stehenden – Thierfamilie finden, welche sich schon in der nächst jüngeren Steinkohlenformation nicht mehr, und noch weit weniger in noch jüngeren Formationen wiederfinden, und wir treffen dann diese Versteinerungen in einer bisher noch nie untersuchten, vielleicht in einem neuentdeckten Lande liegenden Gebirgsschicht an, so werden wir dadurch zu dem Schlusse geleitet, daß diese Gebirgsschicht zu der Grauwackenformation gehöre, d. h. in derselben Erdepoche, wie diese, gebildet sei.

Dieses Auftreten gewisser Versteinerungen leitet viel sicherer auf die Erkennung der gleichalterigen, wenn auch weit von einander entlegenen, vielleicht durch Meere getrennten Schichten, als die übrige Beschaffenheit der Gesteine derselben; weil die letzteren bei den Schichten derselben Bildungsepoche oft sehr verschieden ist, da die Bildung unter sehr mannichfaltigen Umständen stattfinden konnte. Wo immer wir in einer Felsschicht die Arten der Muschelgattung Cardinia finden, da können wir sicher sein, eine Schicht der untersten Abtheilung der Juraformation vor uns zu haben.

Wir begreifen nun vollkommen, wie wichtig für das Studium der Erdgeschichte die Kenntniß der Leitfossilien ist, und wie treffend man die Versteinerungen die „Denkmünzen“ der Schöpfung genannt hat. Da die Zahl der Freunde dieses Studiums täglich wächst und mit ihr die Zahl der Lehrbücher der populären Geologie, so fühlte ich mich zu obigen kurzen Erläuterungen veranlaßt, welchen ich noch die vielleicht manchem Leser erwünschte Bemerkung anknüpfe, daß das streng unter wissenschaftlicher Leitung stehende „Mineralien-Comptoir in Heidelberg“ in neuester Zeit verkäufliche Sammlungen der wichtigsten Leitfossilien aller Formationen und derjenigen lebenden Arten, welche mit jenen zum Studium der Altersfolge der Gebirgsschichten dienen, vorräthig hält.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Hierbei eine literarische Beilage von Otto Spamer in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_680.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)