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Seite:Die Gartenlaube (1857) 678.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Schalen weggeschlagenen Schnee die wenigen nahrhaften Reiser zu suchen oder die Sprößlinge der jungen Pflanzen[1] abzubeißen, die ihm als kärgliche Nahrung dienen. Weiter schreitet der freie Edle inmitten des Gehaues hin nach einem Windbruch zu, wo noch die mächtigen Aeste einer Eiche liegen, deren Knospen ihn anlocken. Hier und da im Forste findet er wohl auch Aspen, von denen er die Rinde als leckeres Wintermahl schält, in Ermangelung dieser aber begnügt er sich auch mit der Schale der durch die Schneelast heruntergebrochenen Kiefernäste. Sind freilich Felder in der Nähe, dann sind ihm die Wintersaaten und der Raps willkommen, – dem Landmanne zu nicht unerheblichem Schaden, und zwar weniger durch das, was der ungebetene Gast äßt, als vielmehr durch das, was er zertritt, namentlich wenn er in Gemeinschaft seines Gleichen und der Boden noch nicht gefroren ist. So verlebt der edle Hirsch während der Winterzeit entweder einsam oder auch mit mehreren seines Geschlechtes zusammengehend, Nachts auf Gehaue oder Felder tretend, den Tag über in der Dickung steckend, sein freies Waldesdasein, bis das Frühjahr ihm üppige Nahrung bringt, ihn aber auch seines schönsten Schmuckes, des Geweihes, beraubt. Dann zieht er sich wie verschämt zurück, so daß man ihn selten zu Gesicht bekommt, bis er im Hochsommer in seinem rothen Sommerkleide, mit neuem prächtigem Geweih geziert, einhertritt und kraftvoll das Gefege[2] an den jungen Bäumen schlägt. Der Herbst vollends, des Hirsches schönste Zeit, wo Liebesbrunst ihn zum Heroen macht, läßt auch sein Aeußeres am schönsten erscheinen. Im Gefühl seiner Pracht und Kraft läßt er den gewaltigen Brunstschrei erdröhnen und mit mächtigem, schwungvollem Halse und kampfentschlossenem Gebahren tritt er, inmitten seines Trupps, einem jeden seines Gleichen muthvoll entgegen. In solcher Weise ihn zu schildern, ist uns vielleicht ein anderes Mal vergönnt; für diesmal lasse man den „Hirsch im Winter,“ nach guter Jägersitte, ohne ihn zu scheuchen, an seinem kargen Knospenmahl sich ruhig äßen.




Streifereien in Nord- und Südamerika.
Aus den Tagebüchern eines früheren schleswig-holsteinischen Hauptmanns.
Mitgetheilt von Julius v. Wickede.
(Fortsetzung.)
Der Verfasser verheirathet sich. – Die Reise über die Cordilleren. – Eine Nacht im Gebirge. – Ein Condor. – Der Raub eines Knaben.

Meine Seereise, von San Francisco bis nach Chili, war auch diesmal wieder von heftigen Stürmen begleitet und ich freute mich daher nicht wenig, als ich endlich in Valparaiso anlangte. Wer, wie ich, Jahre lang, mit dem geladenen Revolver zur Seite, unter Gottes freiem Himmel geschlafen hat, kann sich an der behaglichen Ruhe in einer so lebenslustigen und dabei wirklich großartigen Stadt, wie es Valparaiso unstreitig ist, schon immerhin einige Wochen erfreuen. Ueberhaupt muß Jedem, der aus Californien zurückkommt, fast jeglicher andere Aufenthalt erquicklich erscheinen, und ein Heimweh nach den Ufern des Sacramento wird wohl so leicht noch Niemand – er müßte denn ein mexicanischer Spieler sein – empfunden haben. Einige Wochen waren mein Hansen und ich denn auch ausgemachte Straßenbummler in Valparaiso, dann sehnten wir Beide uns wieder nach einem thätigen Leben. Der amerikanische Grundsatz, daß „Zeit Geld sei“, hatte sich uns Beiden schon fest eingeprägt und so beschlossen wir denn auch, unsere Zeit, Energie und Jugendkraft wieder möglichst gut zu verwerthen.

Bevor ich aber noch irgendwie einen festen Plan für die nächste Zukunft gefaßt hatte, wollte der Zufall, daß ich die Familie eines alten Gutsbesitzers aus der Nähe von Mendoza, der wegen politischer Grundsätze auf einige Zeit geflüchtet war, kennen lernte. Seine einzige Tochter, Donna Manuela, gefiel mir außerordentlich und ich hatte das Glück, auch ihr zu gefallen. Da hier im Süden Alles rascher, wie bei Euch daheim im kalten Deutschland, (doch dabei ein gar wackeres Land), vor sich geht, so waren wir in wenigen Tagen fest verlobt miteinander und eine Woche später legte ein ehrwürdiger Priester in der großen, prächtigen Pfarrkirche von Valparaiso unsere Hände zum Bund für dieses Leben ineinander. So hatte ich denn plötzlich an den Ufern des „stillen Oceans“ eine Frau gefunden, was ich einige Jahre früher, da ich noch deutscher Officier war, mir wahrlich nicht hätte träumen lassen. Der zufällige Umstand, daß ich ein geborner Katholik bin, erleichterte meine Bewerbung sehr, denn einem Protestanten hätte mein jetziger Schwiegervater die Hand seiner einzigen Tochter wohl nimmermehr gegeben.

Hatte ich nun eine liebe, schöne Frau, so mußte ich auch einen Beruf haben, das sah ich wohl ein, und so entschloß ich mich denn, meinem Schwiegervater, der jetzt nach dem Sturze Rosas’ auf seine Besitzungen unweit Mendoza zurückkehrte, dahin zu begleiten. Landstrecken besaß derselbe von einem Umfange, daß man bequem ein Dutzend der größten holsteinischen Rittergüter daraus hätte schneiden können, und Rinder und Pferde, wenn auch freilich ganz verwildert, zu Hunderten, baares Geld aber desto weniger, und so kamen mir denn jetzt die in Californien schwer genug erworbenen Dublonen trefflich zu statten. Es wurden noch in aller Eile mehrere Sachen für den Haushalt in Valparaiso eingekauft, auch, Pulver, Blei, diverse Colonialwaaren und für mich eine Kiste mit deutschen Büchern, die Gott weiß durch welchen Zufall hierher verschlagen war, darunter zu meiner Freude auch Körners Werke. Mit 26 schwer bepackten Mauleseln brachen wir zur Reise über die Cordilleren, die in ihrer vollen Höhe zwischen Valparaiso und Mendoza sich erstrecken, auf. Eine ganze Karavane bildeten wir, meine Frau und eine Freundin derselben, mein Schwiegervater, ich und acht bis neun Diener und Maulthiertreiber, alle in den Satteln der sichersten und besten Maulthiere, und hinter uns dann die lange Reihe der Packthiere. Eine Reise über die Pässe der Cordilleren ist stets eine gefährliche Sache, zumal im Winter, wenn tiefer Schnee alle Pfade bedeckt: Pferde sind lange nicht sicher und ausdauernd genug, um sich derselben auf solchen Wegen bedienen zu können, daher man nothgedrungen schon sehr tüchtige Maulthiere dazu benutzen muß.

Ich habe Vieles und Großartiges in meinem sehr bewegten Leben gesehen, aber den Eindruck, den es auf mich machte, als ich zwei kleine Tagereisen von Valparaiso, auf der Kuppe eines niederen Hügels angelangt, plötzlich diese ganze Gebirgskette in weiter Ausdehnung mit einem einzigen Blicke übersehen konnte, werde ich niemals wieder vergessen. „Ja, Gott ist groß und groß sind auch die Werke seiner Schöpfung;“ dies Gefühl drang sich mir am lebhaftesten auf, als ich zuerst den wildaufgeregten Ocean bei einem Sturme, und jetzt, da ich die ganze Kette des Hochgebirges der Cordilleren so plötzlich vor mir liegen sah.

So großartig auch der Anblick dieser mächtigen Gletscherreihe war, schauderte ich doch bei dem Gedanken, daß ich mit meiner Frau und der langen Reihe der schwerbepackten Maulesel über die Eisfelder derselben klettern sollte. Es mußte indeß sein und so half denn auch weiter kein Bedenken. Was aber ein gutes Maulthier an Kraft, Sicherheit des Ganges und unermüdlicher Ausdauer leisten kann, habe ich bei diesem Uebergange erst recht bewundern gelernt und meine Werthschätzung gegen diese häßlichen, aber unendlich nützlichen Thiere hat sich seitdem noch mehr gesteigert. Der eigentliche Ritt durch das Hochgebirge dauerte an sechs Tage und bot der Beschwerden und Gefahren aller Art so viele dar, daß es zu ermüdend sein würde, sie alle hier aufzuzuzählen. Ein Ereigniß aber wird mir stets unvergeßlich bleiben.

Es war am dritten Tage unseres Marsches; wir befanden uns gerade an der steilsten und wildesten Stelle des ganzen Gebirges, als wir unweit einer mächtigen Felskuppe unser Lager aufschlugen. Eine kleine, roh aus Felsblöcken erbaute Hütte, wie sie an mehreren Stellen des Weges zum Schutz der Reisenden hier errichtet

  1. Pflanzen heißen hier junge Waldbäumchen.
  2. Gefege ist die haarige Haut, die das frische Geweih überzieht und die der Hirsch, sobald dieses ausgewachsen und reif ist, an jungen Bäumen abreibt oder abschlägt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_678.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)