verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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gehören, wie aller Grund und Boden, den „obersten Zehntausend“, so daß die andern beinahe 30 Millionen Einwohner nie die eigentliche Wonne und gründliche, feste Sittlichkeit des Bodenbesitzes und Grundeigenthumbewußtseins kennen lernen. Der zum Theil fürstenthumgroße Grundbesitz der Aristokratie wird aber von ihr nicht selbst bewirthschaftet, sondern dem Meistbietenden zur Miethe ausgehökert, um so viel Tausende und Millionen von Pfunden als möglich auszupressen, und so suchte man auch aus den Flüssen durch Verschacherung möglichst vieler „Fischgerechtigkeiten“ möglichst viel Geld zu schlagen und vermehrte dadurch die Feinde der Lachse und entwerthete die Flüsse. Lord Gray, dem der splendide Fluß Tay gehört, schlug daraus jährlich bis 28,000 Pfund Sterling: jetzt muß er manche Station, die früher mit 4000 Pfund Pacht jährlich bezahlt ward, just für die Hälfte losschlagen. Die Pachte von der Tweed, früher 20,000 Pfund jährlich, sind durch Ueberpachten und Parcelliren, durch die Gier, möglichst viel herauszuschlagen, auf 5000 gefallen. Die Tweed lieferte früher in einzelnen Stationen, wo jetzt 500 gefangen wurden, 17 bis 20,000 Lachse.
Die Lachsfischerei, früher eine bedeutende Quelle des Reichthums und der Tafelfreuden, ist immerwährend gesunken und verfällt zusehends unter dem Einflusse blinder Industrie, Geldgier und Gesetzgebung.
„Nulla casa senza tegola rotta,“ sagt ein italienisches Sprüchwort. Kein Dach ohne zerbrochenen Ziegel – kein Haus ohne Risse, keine Stadt ohne Bettler, kein Land ohne Wüsteneien, kein Staat ohne schlechte Gesetze, kein Zeitalter ohne schimpfliche Perioden. Man könnte viel Rühmliches von unsern Vorfahren, den alten Germanen, von ihrer Tapferkeit, Treue und Wahrheitsliebe, ihrer Gastfreiheit, Sittenstrenge und Einfachheit erzählen, man kann viel Löbliches in ihren Gebräuchen, Einrichtungen und Gesetzen finden, allein mancher zerbrochene Ziegel läuft mit unter und die schadhafteste Stelle ihres Volkslebens war ihre alte Gerichtsverfassung, wenn man von einer solchen überhaupt reden kann. Wenn irgendwo, so zeigten sich unsere Vorfahren hier als unmündige Kinder, deren aufdämmernder Verstand noch von den Banden des düstersten Aberglaubens umfangen war.
Will man den Criminalproceß der alten Deutschen in wenig Worten zusammenfassen, so muß man an die Spitze stellen, daß von einem Beweis im Sinne des heutigen Rechts und von einer Bemühung des Richters, die Wahrheit zu erforschen, keine Rede war. Klagte ein Germane den andern eines Verbrechens an, so war damit nicht nur die Klage beendigt, sondern dieselbe galt auch vorläufig als bewiesen. Es blieb dem Angeklagten nichts übrig, als sich der Strafe, welche die Schöffen aussprachen, zu unterwerfen, oder sich von der Anklage zu reinigen. Es mußte also nicht der Kläger seine Klage, sondern der Angeklagte seine Unschuld beweisen, und konnte er dies nicht, so unterlag er. Wie geschah aber diese Reinigung? Wenn zehn Zeugen mit eigenen Augen seine Nichtbetheiligung an der verbrecherischen That mit angesehen hatten, so konnte ihm das an sich ebenso wenig helfen, als es ihm schadete, wenn er auch am hellen Tage auf der That ertappt und festgehalten worden war. An eine Befragung solcher Zeugen wurde gar nicht gedacht. Vielmehr kam es lediglich darauf an, ob der Angeklagte unter seinen Freunden und Bekannten so viele, als das Gesetz in jedem einzelnen Falle verlangte, fand, welche bereit waren, für seine Unschuld einzustehen, ganz gleichgültig, ob sie irgend welche Wissenschaft von der Sache hatten oder nicht, und die oben erwähnten Zeugen konnten ihm höchstens insofern Vortheil oder Schaden bringen, als sie sich mit dazu erboten, für seine Unschuld zu bürgen, oder aber durch ihre Aussagen Andere von einer solchen Bürgschaft abhielten. Vermochte nun der Angeklagte die erforderliche Zahl solcher sogenannten Eideshelfer, die bereit waren, für ihn zu schwören, aufzubringen, so war seine Unschuld vollständig dargethan, entgegengesetzten Falls mußte er sich der Strafe unterwerfen. Zu einiger Rechtfertigung dieses dem Laien unerhörten Verfahrens sei jedoch gesagt, daß dieser Gerichtsbrauch in dem alten Fehderecht der Deutschen seinen Ursprung und seine Erklärung hat. Bei unsern in einem fast gesetzlosen Zustande lebenden Urahnen galt, wie bei allen auf der untersten Stufe der Entwicklung stehenden Völkern, das Recht des Stärkern. War Jemand durch einen Andern in seinem Rechte gekränkt worden, so verschaffte er sich selbst Genugthuung. War jedoch der Gegner ein Mann, der mit Hülfe seiner wehrhaften Blutsfreunde hinreichenden Widerstand zu leisten im Stande war, so mußte jener von der verlangten Genugthuung absehen, und damit war die Sache zu Ende. Als die Ausübung des Fehderechts in seinem vollen Umfange nicht mehr gestattet war, blieb es wie im Schachspiel bei einem unblutigen Kampfe. War die Zahl der Eideshelfer, d. h. der Blutsverwandten und Freunde, welche für den Fall, daß es zur Fehde gekommen wäre, bereit waren, Partei für den Angeklagten zu ergreifen, so groß, daß der Ankläger Respect bekam, so blieb ihm nichts übrig, als von der Verfolgung seines Anspruchs abzustehen, und es hatte dies, nur in anderer Weise, ganz dieselbe Wirkung, als wenn heutzutage im Laufe der Untersuchung sich die Unschuld des Angeklagten herausgestellt hat. Die Schöffen oder Richter spielten dabei freilich eine erbärmliche Rolle, und die Gerechtigkeit mußte Spießruthen laufen.
Zu diesem sehr einfachen Proceßverfahren gab es jedoch einige Abweichungen. Es konnte nämlich der Streit noch weit schneller dadurch beendigt werden, daß der Ankläger den Gegner zum gerichtlichen Zweikampf forderte, oder, und dies galt namentlich, wenn Unfreie, für die ihr Herr nicht schwören wollte, oder Rechtlose verklagt worden waren, es wurde die Entscheidung von den Richtern einem sogenannten Gottesurtheil anheimgestellt. Man legte also die Hände gänzlich in den Schooß, und holte sich die Entscheidung unmittelbar an dem Urquelle aller Gerechtigkeit.
Von diesen Gottesurtheilen, einer der außerordentlichsten und räthselhaftesten Erscheinungen in der Geschichte der Menschen, verstatten mir die Leser, Einiges zu erzählen.
Die Ordalien oder Gottesurtheile (ordale, urtellum. Urthel) gründeten sich auf die kindlich-gläubige Ueberzeugung unserer Altvordern, daß die Gottheit den Unschuldigen nicht untergehen lassen werde, und sollte es auch zu diesem Behufe eines Wunders bedürfen. Kein Mittel war sonach einfacher, die Schuldlosigkeit eines Verdächtigten zu erproben, als daß man ihm Dinge anthat, die ihn nach allen Lehren der Erfahrung an Leib oder Leben schädigen mußten. Trat dieser üble Erfolg gleichwohl nicht ein, so hatte sich die Gottheit selbst dazwischen gelegt, und seine Unschuld offenbart. Die bekanntesten und üblichsten dieser Proben waren nun die sog. Feuerurtheile, die Wasserurtheile, das Kreuzurtheil, die Probe mit dem geweihten Bissen und das Bahrgericht.
Die Feuerprobe wurde in verschiedener Weise executirt. Die einfachste Form bestand darin, daß der Angeklagte angehalten wurde, die bloße Hand in das Feuer zu halten. Feierlicher war es, wenn derselbe im Hemd durch einen brennenden Holzstoß gehen mußte, und um den Sieg der Unschuld um so glänzender zu machen, wurde ihm bisweilen sogar ein Wachshemd angezogen. Nach dem Zeugniß des Jacob von Königshöfen soll Richardis, die Gemahlin Carl’s des Dicken, welche des verbotenen Umgangs mit Luitward, Bischof von Vercelli, angeklagt war, ihre Unschuld durch glückliches Ueberstehen dieser Feuersgefahr dargethan haben, wogegen dem Leser aus der Geschichte der Kreuzzüge bekannt sein wird, daß Peter Bartholomäus, welcher vorgab, die heilige Lanze gefunden zu haben, im Jahre 1099 mit derselben im Hemd durch das Feuer ging, um sich von der Anschuldigung des Betrugs zu reinigen, aber nach Einigen tödtlich verbrannt herauskam.
Nach einer dritten Art, welche noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts im Rheingau üblich gewesen sein soll, mußte ein glühendes Eisen eine Strecke weit in der Hand getragen werden, anderwärts mußte der Angeklagte dasselbe mit bloßen Füßen betreten, oder über neun Pflugscharen schreiten, eine Probe, aus welcher nach der Sage Heinrichs II. Gemahlin, Kunigunde, und
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_661.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)