verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 48. | 1857. |
Felicitas.
Der junge Bauer eilte fort. Felicitas mußte ihm nachstürzen; nicht, um ihn aufzuhalten, aber um laut, laut aufzuweinen und drinnen in der Stube die Schlafenden nicht zu wecken. Aber sie hatte nicht einmal Zeit, sich auszuweinen; die Gefahr war nahe und drohend.
Der junge Bauer hatte Recht. Noch immer herrschte, besonders auf dem Lande, jener unbegreifliche tödtliche und tödtende Ingrimm gegen den „Erzfeind.“ Freilich waren nur wenige Wochen verflossen, und der Druck und die Mißhandlung hatten so viele Jahre gedauert.
Sie ging in eine Kammer nebenan. Es war die Kammer, in der ihr Bruder geschlafen hatte, der den Franzosen nach Rußland hatte folgen müssen, der von da nicht zurückgekommen war. In einem Schranke in der Kammer waren noch die Kleider des Bruders. Sie nahm sie heraus, denn sie sollten dem Geliebten zur Rettung dienen. Die Kleider des von dem Franzosen geopferten Deutschen dem Franzosen! Das deutsche Mädchen gab sie ihm! Die Völker können sich hassen, die Menschen lieben sich.
Sie stieg auf den Boden.
„Bist Du da, Felicitas?“
„Ich bin es.“
„Wie lange habe ich auf Dich gewartet! Wie langweilig vergehen mir die Stunden, wenn Du nicht bei mir bist! Aber wie wird dieser dunkle Dachboden mir zum Paradiese, wenn ich Dich in meinen Armen halte!“
Er umschloß sie mit seinen Armen.
„Aber Du sagst mir nichts, mein Mädchen? Du hast kein süßes Liebeswort für mich?“
Sie hatte kein süßes Liebeswort für ihn, nur das Wort der bittern Trennung. Ihr Herz mußte nach der Kraft suchen, es auszusprechen.
„Aber, Felicitas, meine Liebe, meine Blicke finden Thränen in Deinen Augen? Was hast Du? Was ist Dir?“
Das bittere Wort mußte ausgesprochen werden.
„Wir müssen uns trennen, Alphons! Du mußt schon in dieser Stunde, o, schon in dieser Minute fort!“
Trennen! Scheiden! Auch den jungen Mann erfüllte das Wort mit Schrecken.
„Was gibt es, Felicitas?“ fragte er.
„Der Blödsinnige, der Deine Spur schon längst errathen hatte, ist in einem Anfalle von Wuth in das Dorf geeilt, um Leute zu holen, die Dich fangen sollen. Der Haß des Volkes gegen Deine Landsleute dauert noch fort; sie können jeden Augenblick kommen.“
„Ja, ich muß fort, Felicitas.“
„Du mußt, Du mußt!“ rief nun das laut aufweinende Mädchen, indem sie fest den Geliebten umklammerte.
„Hätte ich nicht schon längst gemußt? Schon vor fünf Tagen waren meine Kräfte wieder hergestellt, und nur mein Herz war zu schwach, von Dir zu scheiden.“
„Nein, nein, ich hielt Dich; ich meinte ja, ich müßte sterben, wenn Du fort gingest.“
„Und auch ich! Ich dachte nicht an die Heimath, nicht an meine Eltern, nicht an die Geschwister; ich konnte nur an Dich denken?“
Der Schmerz gab ihnen die süßen Liebesworte wieder.
„Und,“ fuhr er fort, „je früher ich scheide, desto eher komme ich wieder und hole Dich.“
„Wirst Du wiederkommen, Alphons?“
„Felicitas, wie oft habe ich es Dir geschworen! Wie oft haben wir davon geträumt! Kennt mein Herz einen anderen Gedanken?“
„Ja, Du wirst; ich fühle es hier in meinem Herzen, und was in meinem Herzen steht, das steht auch in Deinem.“
„Sie gehören einander für immer; nur der Tod kann uns trennen.“
„Nur der Tod. Aber, laß uns eilen; hier, ich habe Dir Kleider mitgebracht, denn Deine französische Uniform würde Dich verrathen; kleide Dich um, ich komme gleich zurück.“
Sie verließ ihn, um ihr Tuch zu holen, mit dem sie sich des Nachts gegen das Unwetter schützte, wenn sie im Herbst oder Winter über den Strom setzen mußte. Dann kehrte sie zu ihm zurück; er hatte sich umgekleidet und war bereit, ihr zu folgen.
„Noch eins,“ sagte das Mädchen; „sie dürfen hier auch keine Spur von Dir finden, sonst würden sie Dich verfolgen.“
Sie packte die Bettstücke zusammen, die ihm zur Ruhestätte gedient hatten, und warf sie durch die offene Bodenluke hinunter.
Dann schüttelte sie das Heu durcheinander, daß man nicht ahnen konnte, es habe Jemandem zum Lager gedient.
„Und nun Deine Uniform, wo hast Du sie?“
Auch der junge Franzose war vorsichtig gewesen. Seine Uniform, das Kleid des großen Kaisers, der großen Armee, war sein Stolz; er hatte an sie, an seine Sicherheit hatte er aber nicht gedacht.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_653.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)