verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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in Anspruch nahmen. Da sah man große Frescogemälde in
Lebensgröße, nicht schlecht gefertigt und Heiligenbilder darstellend; daneben
allerlei Verslein, wie z. B.
„Euch, St. Martin und St. Benedict,
Vertrauen wir dieses Hauses Glück.“
oder:
„Dir, o St. Gertraud,
Dieses Haus sei anvertraut.“
Eine Hochzeit, welche in diesem Dörflein gefeiert wurde und zu der man sich eben versammelte, brachte uns die hübsche Sonntagstracht der Passeyer Burschen recht zu Gesicht. Sie sahen uns aber gar ernst und feierlich aus, und wir machten uns mit ihnen nichts zu schaffen. Nach einer kleinen Stunde erreichten wir das Wirthshaus Am Sand, welches am östlichen Ufer liegt. Es ist bekanntlich der Geburtsort des Andreas Hofer und wird von allen Reisenden, die nicht die Pietät aus den Augen setzen, als eine heilige Stätte besucht. Es liegt einsam, von dem Dorfe St. Leonhardt durch einen bedeutenden Zwischenraum entfernt. Der Eigenthümer führt immer den Namen „der Sandwirth“; jetzt ist es Andreas Erb, Hofer’s Schwiegersohn. Die Frau und die Tochter jenes Helden sind bereits gestorben. Das Gastzimmer ist unten, und man findet darin durchaus nichts, wodurch es sich von der Einfachheit der ländlichen Wirthshäuser unterschiede. Aber eine Treppe hoch gelangen wir in das eigentliche Heiligthum, wo wir die zahlreichen Reliquien des braven Hofer betrachten können. Da finden wir eine große Schachtel mit seinem Gürtel, der da beweist, daß er einen ziemlichen Umfang gehabt hat. Außerdem befindet sich darin seine Jacke und seine rothe Weste. Auf dem Tische liegt unter Glas und Rahmen das Original seines letzten Briefes, den er vor seiner Hinrichtung in Mantua schrieb. Er ist unorthographisch, und nur mit großer Mühe gelingt es uns, ihn zu entziffern, wobei die stete Rücksicht auf den hiesigen Dialekt aushelfen muß. An den weißen Wänden hängen sechs kleine illuminirte Ansichten von Innsbrucker Gegenden, ein kleines farbiges Hautrelief von Hofer, eine Lithographie des Basreliefs zu Innsbruck und der Statue von Professor Schaller. Außerdem bemerken wir auf dem Tische noch die beglaubigte deutsche Uebersetzung von Hofer’s Todtenschein, abgefaßt von einem Geistlichen und datirt aus der Festung Mantua am 26. August 1814. Wir bestellen ein Mittagsessen und blättern inzwischen ein wenig im Fremdenbuch, eine Unterhaltung, welche so oft die unausbleiblichen Lücken auf unseren Fußreisen ausfüllen muß. Da finden wir unter Anderem die Bemerkung eines Franzosen, der da sagt: „Ich bewundere den Helden; aber kommt in unsere Vendee, und statt eines Hofer, werdet ihr deren dort zwanzig finden.“ Ein deutscher Patriot hat sich nun über diesen Franzosen hergemacht und ihm nachdrücklich den Text gelesen, und hinter diesem hat ein deutscher Kosmopolit drei Ausrufungszeichen gesetzt und geschrieben: „Was würde der Franzose sagen, wenn er dieses Gewäsch läse?“
Berichtigung. Als Ergänzung des in Nr. 42. gebrachten literarhistorischen
Portraits Varnhagen von Ense’s ist noch zu bemerken, daß
von ihm weiter im Jahre 1853 eine Biographie des Generals Bülow von
Dennewitz und ein Aufsatz über die Ermordung Kotzebue’s, sowie mehrere
kritische Artikel erschienen sind. – Auf verschiedene an uns ergangene Anfragen
diene zugleich die Mittheilung, daß ein großes schön lithographirten
Portrait Varnhagens in Berlin bei Mecklenburg zu dem billigen Preise
von 15 Sgr. erschienen ist.
Schleswig Holstein ist im Gedächtniß der Deutschen noch nicht gestorben,
wenigstens beweist dies die rege Theilnahme, welche die Geldsammlungen
zur Unterstützung der Vertriebenen überall finden. Namentlich zeichnet
sich Leipzig jetzt vortheilhaft aus. Seit wenigen Wochen hat der Buchhändler
Gustav Mayer weit über 1000 Thaler gesammelt.
Goethe’s Servilismus. Man wirft Goethe stets vor, er sei nur Fürstendiener gewesen und es habe ihm der Muth einer selbstständigen Stellung gefehlt. Das ist durchaus falsch. Goethe blieb selbst seinem fürstlichen Freunde Karl August gegenüber stets der stolze Frankfurter Patriciersohn, der sich dem Fürsten ganz gleich stellte und sich nicht scheute, die Wahrheit rund herauszusagen, wenn es galt.
Es handelte sich im Jahre 18.. darum, einen Orientalisten nach Jena zu rufen. Neue Besetzungen pflegte Goethe vorsichtig zu bedenken, auch nie ohne abwägenden Bericht an den Großherzog und aufmerksames Vernehmen seiner Absichten bestimmte Schritte zu thun. Hatte er sich aber einmal, auf solche Befugniß gestützt, entschieden, dann gab er nachträglichen Einmischungen von anderer Seite her keinen Zoll breit nach. So hatte er denn, nach Rücksprache mit dem Fürsten, bereits von Jena aus, wo er sich gerade befand, die Berufung eines Orientalisten eingeleitet, als Karl August auch nach Jena kam und in einem Gespräch mit dem Geh. Hofrath Stark Eindrücke schöpfte, die ihm die Berufung einen Andern mehr zu empfehlen schienen. Der Großherzog speiste hierauf im Schlosse mit Goethe und einem Dritten. Nach Tische nahm er Goethen in ein Fenster und brachte die Unterhaltung leise auf die Berufungsfrage. Anfangs ging Goethe sehr diensam auf alles ein, indem er aber die Vorstellungen, die dem Großherzog mitgetheilt waren, hindurch merkte, wurden seine Entgegnungen immer bestimmter und schärfer. Endlich sagte der Großherzog: „Du bist ein närrischer Kerl, Du kannst keinen Widerspruch vertragen.“ „O ja, mein Fürst,“ antwortete Goethe, „aber er muß verständig sein.“ Karl August ging einmal das Zimmer entlang, dann trat er wieder an’s Fenster zu Goethe und führte das Gespräch ruhig zu Ende.
Wie ehrend für Fürst und Diener.
Wir Übergeben dein Publicum mit diesem Werke ein Unternehmen, das vermöge seines literarischen und philanthropischen Werthes ein großes und allgemeines Interesse erregen wird. Aus der Feder eines Fach Mannes (früheren Criminaldirectors in Berlin), der wie kein anderer deutscher Schriftsteller es versteht, den schwierigen Stoff der Criniinalistik zu beherrschen und in eben so klaren wie ansprechenden Bildern zur Anschauung des Laien zu bringen, verbindet dieses Werk in ausgezeichneter Weife mit dem Zwecke der Unterhaltung zugleich den der Belehrung. Temme’s großes Talent, Erzählungen zu schaffen, die, ohne forcirt zu erscheinen, von Anfang bis zu Ende die Spannung des Publieumö in hohem Grade aufrecht erhalten, hat sich niemals größer gezeigt, als in dieser Sammlung „deutscher Criminalgeschichten“, die für Leser aller Stände eine eben so belehrende wie unterhaltende Winterlectnre abgeben.
Die Tendenz des Werkes gibt der Verfasser selbst in der Vorrede mit kurzen Worten an: „Die nachfolgenden Erzählungen beruhen auf wahren Thatsachen. Sie sind nur in eine novellistische Form gebracht. Dieses Letztere aus einem einfachen Grunde. Hätte ich sie nur actenmäßig erzählen wollen, ich hätte, namentlich in der ersten Erzählung des ersten Bändchens, fast nur Grausen und Abscheu erregen können. Dadurch unterhält man weder, noch belehrt man. Ich aber wollte Beides, vorzüglich belehren durch Unterhaltung.“
Die Sammlung wird in höchstens 8 bis 10 Bändchen ü 12 bis 15 Bogen zu dem sehr billigen Preise von 12 Ngr. pro Bändchen erscheinen. Einzelne Bände kosten den dreifachen Preis.
Magazin für Literatur in Leipzig.
(Ernst Keil.)
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_624.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)