verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 44. | 1857. |
Kam jüngst vorbei ’nem Häuschen klein,
Das lockte mich so eigen,
Zum Fenster schaut’ ich drum hinein,
Versteckt von grünen Zweigen.
Ein junges Weib darinnen war,
Frisch wie ’ne Maienrose,
Ein feines Bübchen, kraus von Haar,
Hielt sie auf ihrem Schoose.
Sie blickt’ ihm selig in’s Gesicht,
Bog sich zu ihm hinunter
Und küßte so dem kleinen Wicht
Die müden Augen munter.
Sie strich die Lock’ ihm hinter’s Ohr –
Still ließ er sich’s gefallen –
Sagt’ ihm ein frommes Sprüchlein vor,
Das mußte nach er lallen.
Da wandt’ ich leise mich zum Geh’n,
Versenkt in tiefes Sinnen,
Das Auge konnte nichts mehr seh’n –
War eine Thräne d’rinnen.
Und feierlich war mir’s zu Muth,
Als sei nach langem Bangen
Ein Kind ich wieder, fromm und gut,
Zur Kirche hingegangen.
(Schluß.)
„Madame,“ sagte Alexander ironisch, „es scheint, Sie sind von dem nicht überzeugt, was Sie für mich thun wollen.“
„O, Verzeihung, mein Herr, ich bin fest davon überzeugt! Wünschen Sie, daß ich noch etwas hinzufüge?“
Der junge Mann verneigte sich mit kalter Artigkeit.
„Nein, Madame; aber fügen Sie alles das hinzu, was Ihnen Ihre gute Meinung von mir eingibt.“
Dieser Hohn brachte Louisen außer sich.
„Wohlan denn, mein Herr,“ rief sie aus, „so werde ich hinzufügen, daß Sie der leichtsinnigste, der unbeständigste, der ungerechteste Mann von der Welt sind; daß Sie sich nicht scheuen, ein treues Herz zu zerreißen und mit feierlichen Eiden ein freches Spiel zu treiben!“
„Diesen Vorwurf, Madame, hatte ich wahrlich nicht erwartet!“ rief Alexander. „Wer, wenn nicht Sie, hat seinen Eid gebrochen?“
„Ich, mein Herr?“
„Ein Irrthum, so glaube ich, kann nicht möglich sein. Die Sache liegt ja klar am Tage!“
„Sie liegt nicht klar am Tage!“ rief Louise, sich vergessend.
„O, Madame, diese Behauptung ist sehr kühn! Als ich von meiner Reise zurückkehre, finde ich Sie verheirathet – und nun wagen Sie mir zu sagen, daß Sie nicht untreu sind?“
Diese Worte hatte Alexander stammelnd und mit Thränen in den Augen gesprochen. Louise war ihrer Bewegung nicht mehr Herrin.
„Ja, ja,“ rief sie ungeduldig, „ich wage diese Behauptung!“
„Madame, Sie vergessen, daß Sie die Gattin des Herrn Dewald sind.“
„Und wenn ich es nun nicht wäre?“
Bei diesem Gedanken schwanden dem armen Alexander fast die Sinne.
„Wenn Sie es nicht wären?“ wiederholte er bestürzt. „Mein Gott, wenn Sie es nicht wären! Doch nein, Sie wollen mich mystificiren, wollen noch einmal die Gewalt prüfen, die Sie über mein schwaches Herz ausüben!“ – Er trocknete den Schweiß von der Stirn, der in großen Tropfen herabrieselte.
Louise hatte Mitleiden mit dem Manne, den sie nie aufgehört
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_597.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2017)