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Seite:Die Gartenlaube (1857) 569.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 42. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Onkel und Neffe.
Novelle von A. S.
(Fortsetzung.)
IV.

Um ein Uhr Mittags fuhr ein Reisewagen in den Hof der Solitüde. Wilhelm Dewald stieg mit seinen beiden Damen aus.

Der lange Joseph erschien auf dem Perron des freundlichen Landhauses; er erkannte den Neffen seines Herrn, und begrüßte ihn ehrfurchtsvoll, wenn auch ein wenig verdrießlich. Er führte die Gäste in den Saal des Erdgeschosses. Die Damen sahen den Diener, der sich so gemessen, fast feierlich bewegte, erstaunt an. Wilhelm fragte ängstlich: „Kann ich meinen Onkel sprechen?“

„Nein, mein Herr!“

„Großer Gott!“ riefen erschreckt die Damen.

„Warum? Ist er gefährlich krank?“ fragte der junge Mann.

„Nein, mein Herr!“

„Ist er todt?“

„Nein, mein Herr!“

„Was ist mit ihm?“

„Er befindet sich auf der Jagd!“ antwortete Joseph mit der Ruhe, die ihm eigen war.

„Auf der Jagd?“

„Ja, Herr Dewald!“

„Erwartet er mich?“

„Ich weiß es nicht, Herr Dewald.“

„Wann kehrt er zurück?“

„Das ist unbestimmt.“

„Besorge uns ein Frühstück.“

Joseph verließ den Saal. Die Gäste sahen sich einander fragend an.

„Es bleibt bei dem, was wir verabredet haben,“ sagte Wilhelm. „Erscheint später eine Aenderung unseres Planes nöthig, so können wir sie immer noch eintreten lassen.“

Wilhelm ließ das Gepäck in ein Zimmer bringen, das an den Saal grenzte.

Nach dem Frühstücke zogen sich die Damen in dieses Zimmer zurück, um Toilette zu machen. Wilhelm stand am Fenster, und beobachtete das Gitterthor. Da plötzlich schritt der Onkel, ein rüstiger Jäger, über den Hof. An seiner schweren Jagdtasche hingen fünf oder sechs Hühner. Verwundert blieb er stehen, und sah einen Augenblick den Reisewagen an, den man halb in die Remise geschoben hatte. Dann eilte er die Treppe hinan, und verschwand in dem Hause.

„Das ist seltsam!“ murmelte der unruhige Neffe. „Der Herr Consul sieht wahrlich nicht aus, als ob er an das Sterben dächte. Zu welchem Zwecke mag er den traurigen Brief an mich geschrieben haben? Sollte er ein Erguß seiner Hypochondrie oder wohl gar eine List sein?“

Der rasch eintretende Consul unterbrach diese Reflexionen.

„Onkel, theurer Onkel!“ rief Wilhelm ihm entgegen.

Der Consul umarmte ihn mit einer Zärtlichkeit, die an Rührung grenzte.

„Willkommen, Wilhelm!“ rief er aus. „Wo ist Deine Frau? Bist Du allein gekommen?“

„Nein, sie befindet sich in jenem Zimmer, um Toilette zu machen. Wir sind während der Nacht gereist, und eben erst aus dem Wagen gestiegen.“

„Mein Gott, über diese Ceremonien! Ich sehe wohl, daß man mich nicht kennt; wir sind ja hier nicht in der Stadt. Ich hasse die Umstände, und will, daß man sich zwanglos bewege. O, Ihr eiteln jungen Leute!“

„Albertine, die Freundin, von der ich in meinem Briefe gesprochen, ist mit uns gekommen!“ sagte der Neffe, indem er den Onkel fixirte.

„Desto bester! Desto bester!“ rief der Consul mit einem Anfluge von Heiterkeit. „Die Freundin unserer guten Louise ist herzlich willkommen, denn ich weiß, daß sie ihren Umgang mit Vorsicht wählt.“

„Gewiß, lieber Onkel!“

„Du stellst mir die Freundin Deiner Frau vor, ich mache Dich mit dem neuen Eigenthümer des Forsthauses bekannt, einem jungen Manne, der mich diesen Morgen auf der Jagd begleitet hat. Er ist zwar nur erst fünfundzwanzig Jahre alt – aber ein Philosoph, der seines Gleichen sucht. Die Menschen sind ihm verächtlich, und die Frauen haßt er wie die Sünde. Der Mann gefällt mir. Während wir den Wald durchstreichen, moralisiren wir.“

„Demnach, mein Onkel, befinden Sie sich –“

„Schlecht, schlecht, sehr schlecht!“ sagte der Consul, ein saueres Gesicht machend. „Ich fühle, daß ich langsam vergehe. Mein Körper ist so schwach, so abgemattet – – “

„Wenn Sie den Wald durchstreift haben –“

„Nein, nein, davon kommt es nicht; es ist die Folge meiner schlechten Gesundheit.“

„So fehlt Ihnen wohl der Appetit?“

„Auch der Appetit fehlt nicht; ich esse und trinke gut, aber ich schlafe schlecht. Die Nacht, die Nacht ist mir eine furchtbare

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_569.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)