verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 41. | 1857. |
Die Solitüde, wie der Consul sein Landhaus nannte, lag in einer einsamen Gegend Westphalens. Von dort bis zur nächsten Eisenbahn hatte man einen Weg von fünf Meilen zurückzulegen, und bis zu den nächsten Dörfern wenigstens eine Stunde. Ein düsterer Tannenwald schloß die Besitzung ein, die mit Recht den Namen Solitüde verdiente, denn sie lag so still und einsam, daß der Bewohner sich rühmen konnte, allein zu sein, wenn er den langen Joseph nicht als einen Menschen, sondern als eine Maschine betrachtete. Frau Katharina, die Haushälterin, diente dem Consul schon seit fünfzehn Jahren; sie hatte mit ihrem Manne, von dem sie geschieden war, traurige Erfahrungen gemacht, und war, mit einer Art Männerhaß im Herzen, ihrem Herrn von Bremen aus gern in die Einsamkeit gefolgt. Joseph, der Kammerdiener, hatte das Glück der Ehe nie gekostet; er war in dem Waisenhause erzogen, und der Vater des Consuls, ein ehrbarer Cigarrenhändler, hatte den vierzehnjährigen Knaben nach der Confirmation zu sich genommen, um ein gottgefälliges Werk zu verrichten, und sich einen guten Laufburschen zu erziehen. Der arme Laufbursche bekam viel Rippenstöße, aber wenig zu essen. Die den Waisenknaben eigene Schüchternheit bildete sich durch die harte Behandlung zur Menschenscheu aus, und Joseph ward nach und nach die Maschine, die pünktlich auf den Befehl gehorcht, ohne sich eine Betrachtung zu erlauben. Dem Consul war so eine Maschine recht, und er behielt sie nach dem Tode des Vaters zur fernern Benutzung bei. Der Bediente war eben so alt, wie sein Herr, und hatte sich, man kann es wohl sagen, in die närrischen Gewohnheiten desselben eingelebt. Der gute Bursche war wohl der einzige in der Welt, der den Consul für wirklich krank hielt. Frau Katharina, welche die Küche besorgte, erlaubte sich einige Zweifel, denn der enorme Appetit des Hausherrn ließ auf eine vortreffliche Gesundheit schließen. Der Zufall hatte hier drei Menschen zusammengeführt, die vollständig zu einander paßten, und vielleicht ist hierin die Ursache mit zu suchen, daß sich die bizarren Charaktere so ungestört ausbildeten.
Woher kam es aber, daß der Consul bei allen seinen Eigenheiten für Louise Bronner ein so lebhaftes Interesse hegte? Sollte die Verpflichtung, deren er in dem Briefe an den Neffen erwähnte, allein der Grund sein? Der Verfasser kennt ein Geheimniß aus dem Leben des braven Mannes, das er den Lesern der Gartenlaube indiscret mittheilt, um seiner Erzählung innern Zusammenhang zu geben.
Herr Dewald war Kaufmann; er hatte von seinem Vater, dem Cigarrenhändler, ein hübsches Vermögen geerbt, mit dem er ein Handelshaus einrichtete. Leberecht Dewald hatte einen Bruder, den er veranlaßte, den größten Theil seines väterlichen Erbes mit in das Geschäft zu geben. Beide Brüder waren fromm und gottesfürchtig, sie gingen jeden Sonntag in die Domkirche, um für das Gedeihen ihres Handelshauses inbrünstige Gebete zum Himmel zu senden. Leberecht, der Firmaträger, hatte trotzdem kein Gluck, alle seine Spekulationen schlugen fehl, und er schloß einen Accord mit seinen Gläubigern. Auch der eigene Bruder ward mit einer geringen Summe abgespeist. Um diese Zeit bemächtigte sich die Liebe des frommen Jünglings von achtundzwanzig Jahren; er sah Meta Möller, die sittige Tochter eines Schiffsmaklers, von der man sagte, daß sie ein Vermögen von hunderttausend Thalern habe. Leberecht besuchte die Erbauungsstunden, die der überaus fromme Makler an drei Abenden der Woche in seinem Hause hielt, sang und betete brünstiger und lauter, als alle andern Glieder der Versammlung, und nistete sich in der Gunst des Vaters ein, während die schöne Meta nichts von ihm wissen wollte. Leberecht ward schwermüthig, und weinte oft heiße Thränen, natürlich nur in Gegenwart des Vaters. Zugleich aber brachte er in Erfahrung, daß Meta im Geheimen einen weltlich gesinnten jungen Kaufmann liebte, der bei einem Banquier arbeitete. Dieser Commis hieß Bronner. Leberecht verfehlte nicht, die saubere Entdeckung dem frommen Schiffsmakler mitzutheilen. Es fand eine heftige Scene zwischen Vater und Tochter statt. Die Tochter blieb fest in ihrer Liebe, und der Vater ward vor frommer Entrüstung krank. Leberecht wachte Tag und Nacht an dem Krankenbette, betete mit dem Makler, und machte auch mit ihm das Testament. Dieses Testament ward mit der ausdrücklichen Bestimmung bei dem Gerichte deponirt, daß es an dem Hochzeitstage Meta’s eröffnet werden sollte.
Der kranke Schiffsmakler starb, und ward mit großem Pompe begraben. Ein Jahr später heirathete Meta ihren Bronner. Der junge Gatte trug auf Eröffnung des Testamentes an. Der Erblasser bestimmte darin, daß Meta seine Universalerbin sein solle, wenn sie Leberecht Dewald ihre Hand gereicht habe, daß sie aber nur eine Ausstattung von fünftausend Thalern erhalten würde, wenn sie mit einem Andern zum Altare getreten sei. Bronner begann einen Proceß gegen den Universalerben, den er der Erbschleicherei bezichtigte; Dewald aber gewann diesen Proceß, weil er nachwies, daß Meta ein angenommenes Kind des Schiffsmaklers Möller sei, mithin keine legalen Ansprüche habe. Das Gerücht
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_557.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)