verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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Ein Araber hatte mit der größten Aufmerksamkeit einem Engländer zugehört, wie er die Schönheiten Großbritanniens rühmte, die Dampfmaschinen, die Eisenbahnen, die Gaserleuchtung, die elektrischen Telegraphen u. s. w. und fragte dann sehr lebhaft: „Gibt es auch viele Dattelbäume in Ihrem Lande?“ Der Engländer antwortete ihm, daß man einige Exemplare auf nationale Kosten im Palmenhause zu Kew unter Glas und Rahmen pflege, sonst aber keine Dattelbäume zu finden wären. Mit dem lebhaftesten Mitleiden sah er den Engländer an und zeigte von da an nie wieder Lust, etwas von dem Abendlande zu hören. Was ist dem Araber ein Land ohne Dattelpalmen? Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, dampfgetriebene Spindeln zu Millionen, Tausende, Hunderttausende von Gaslichtern, der grüne, blumenbesternte Erdenhimmel von Wiesen, Eichenwälder – was sind sie ohne Palmen? „Womit erquickt Ihr Eure Augen in Sonnengluth, wenn keine hoch oben wiegenden Palmenzweige Kühlung herabfächeln? Womit vergleichen Eure Dichter die Taillen ihrer Schönen, wenn nicht mit Palmenwuchs? Nun versteh’ ich erst, warum sich jedes Jahr mehr Franken nach Egypten und den Nil herauf drängen.“
So schloß der Araber sein aufrichtiges Mitleiden mit Europa. Die Dattelpalme ist das Rennthier der brennenden Wüste, Feld, Garten, Speisekammer, Weinkeller und allgemeine Lebensbedingung Arabiens, Egyptens und der meisten asiatischen und afrikanischen Wüstenvölker. Die arabische Sage läßt den Dattelbaum von dem Thone entstehen, den Gott Allah übrig behielt, als er die ersten Menschen aus Thon modellirt und gemeißelt hatte. „Liebe den Dattelbaum wie Deine Eltern,“ sagt der Araber und ist stolz auf den fast wörtlich sich bestätigenden Glauben, daß er blos in Ländern der Gläubigen des Islam wachse. Der Araber stellt den Dattelbaum sich selbst, dem ganzen Menschengeschlechte gleich: „Wie der Mensch sich vor allen anderen Geschöpfen durch seinen aufrechten Gang auszeichnet, so erhebt die Palme schlank, stolz und gerade ihre Hauptkrone gen Himmel. Welches Geschöpf ist so schön wie der Mensch, und welcher Baum prächtiger im Walde, als die Palme? In ihrem Haupte quillt das schönste Gehirn, wie in dem Kopfe des Menschen. Schneide der Palme und dem Menschen diesen Kopf ab und es wächst kein anderer, wie anderen Bäumen. Schneide der Palme die Zweige ab und sie wachsen eben so wenig wieder, wie ein abgehauener Arm. Das Haupt der Palme hat einen haarigen Schmuck, wie der Kopf des Menschen. Die Geschlechter sind abgesondert, so daß der einzelne Dattelbaum oder Mensch zu ewiger Unfruchtbarkeit verdammt sind. Der männliche Palmbaum steht unter den weiblichen, wie der Sultan in seinem Harem. Die weiblichen haben aber mehr Freiheit mit ihrem Herzen. Manche solche Schönheit verschmäht es, sich von der nächsten männlichen Palme befruchten zu lassen und streckt ihre sehnsüchtigen, welken Zweige nach einer benachbarten Oase. wo der Geliebte ihres Herzens sich schlank in maijestätischer Schönheit erhebt. Ein solcher liebesiecher Baum kann nur geheilt werden, wenn man Blüthen von dem Geliebten in ihre Zweige bindet.“ – Letztere Sage ist beinahe eben so poetisch, wie die Heine’schen Königskinder und schöner als der im Norden einsam trauernde Tannenbaum, liebesüchtig träumend von einer südlichen Palme. –
Kein Mitglied der vegetabilischen Welt spielt eine so schöne und wichtige Rolle in Religion, Geschichte, Kunst und Poesie, als die Palme, nicht die indische oder egyptische Lotosblume, nicht der celtische Mistelzweig oder die französische Lilie oder der normännische Ginster. In der heiligen Schrift, besonders im neuen Testamente, schmücken Palmenzweige die schönsten und erhabensten Scenen, aus denen die „Palmen des Friedens“ bis in unsere Zeiten und in unsern Norden eingedrungen sind. In der östlichen und classischen Mythologie und Blumensprache ist die Palme Symbol alles Schönen und Siegenden. Sie umwehete den Tag des Triumphes, den Christus auf Erden feierte. In der christlichen Sprache bedeutet sie oft den Sieg über Hölle und Tod und die Auferstehung, wie im alten Griechenthume, das den „Phönix“ (zugleich griechischer Name der Palme) und sein aus eigener Asche hervorgehendes neues Leben zur Veranschaulichung des Auferstehungsglaubens erfand. Das segensreiche Leben der Palme ist in deren Krone, weshalb sie sinnreich zur Krone des Märtyrers, dessen Lohn ewiges Leben und ewige Dankbarkeit der Nachwelt ist, gewählt ward.
Die erhabene egyptische Baukunst verdankt ihre kolossalen Formen der Palme. Sie war das erste Muster für die alten egyptischen und griechischen Colonnaden. Der vollendetste Tempel Egyptens in Edfou verdankt seine Erhabenheit der treuesten Nachahmung schlanker Palmen mit luftiger Blätterkrone und schwer niederwiegenden Früchten. Selbst während der Zeit vollendetster Baukunst lernten die Egypter und Griechen noch von der Palme. Die hohen Säulen Egyptens und der Akropolis von Athen nehmen nach oben in dem Grade zu, als die zunehmende Entfernung, vom Auge deren Umfang scheinbar verkleinert, so daß sie nun von unten gleichmäßig groß erscheinen. Dieses optische Anwachsen ist zum Theil getreu dem nach oben anschwellenden schlanken Palmenstamme entnommen.
Der Einfluß, den die Palme von jeher auf die Er- und Empfindung der Menschen ausübte, ist leicht erklärlich. Sie ist der stolzeste, schönste, segensreichste, individuellste Baum. In letzterer Eigenschaft konnte sie Goethe zum Repräsentanten aller klimatischen Einflüsse auf den Menschen, d. h. des wesentlichen Theils ihrer Nationalität, Geschichte und Cultur machen. „Niemand wandelt ungestraft unter Palmen.“ Das heißt: von den Klimaten ist das Palmen-Klima das stärkste, mächtigste über den Menschen und am schärfsten begrenzt. Aber Niemand wandelt auch unbelohnt unter Palmen. Man mache sich ein Bild von der unerschöpflichen Fülle ihrer Schönheit und Lebensquellen im Palmenklima. Der Wüstenreisende – und die Palme ist wesentlich Krone und Bedingung aller Oasen – kennt nichts Schöneres und Erhabeneres als den Palmenhain. Er ist hart, unempfindlich, aber die aus der Ferne winkende Palme macht ihn weich und andächtig und beflügelt seine ausgebrannten Schritte, wie ein himmlischer Zauber. Seine Karavane hat sich Tage, Wochen, Monate lang durch die baumlose, weglose, spurlose, wasserlose Wüste, durch Wogen glühenden Sandes, durch Wogen glühender Luft unter dem glühenden Himmel hingewunden. Kein Grashälmchen, keine Spur eines fliegenden oder nur kriechenden Lebens, keine Abwechselung als dunkler, glasiger Fels mit gelbem, haltlosem, heißem Sande, Gluth und Licht strahlend und die Augen des Arabers zusammenziehend zu Knopflöchern mit einem kleinen, blitzenden Diamanten dazwischen und das Gesicht selbst der Jugend zu tausend Falten verschrumpfend, Sand am Tage den Fuß verbrennend und in der Nacht eisige Kälte ausstrahlend. Endlich entdeckt das schärfste Auge aus dieser ewigen Sandwüste hervorschimmernd eine dunkele, hervorragende Stelle, vom lebhaften schreitenden, hoch und weithinschauenden Kameele schon erspäht. Die ausgeglühtesten, hinwankenden Wanderer eilen mit neuer Kraft den schneller schreitenden Kameelen nach. Der vorher todesmüde, stumme Marsch wird mit jedem Schritte rascher, lebendiger und stürzt sich endlich mit jauchzendem Galopp unter das lustige, duftige Säulenwerk der Palmen-Oase. Kein dicker Urwald ist so erquickend, als der von oben mit graziösem Blätterrauschen gegen den Sonnenstrahl geschützte und von allen Seiten jedem Luftzuge offene Palmenhain der Wüste, dieses Leben mitten im weiten Tode. Der Wind säuselt seiden und schilfig durch die dichten Fächer der Palmenkronen, Vögel zwitschern und schillern lustig dazwischen und langgeschwänzte Jerboa’s reißen die lustigsten Possen und riskiren ohne Risiko die fabelhaftesten gymnastischen Kunststücke an deren schlanken Stämmen. Der Boden unten ist auf die kostbarste Weise persisch beteppicht mit der delicatesten Vegetation, zwischen welcher unzählige Arten von Koleopteren freudig umhersummen. Das aus der Wüste hier verdichtete, warme Naturleben genießt sich hier voller, freudiger und üppiger, als in den Paradiesen ununterbrochener Blüthe und Fruchtbarkeit.
Aber das sind blos die geringsten, nur ästhetischen Genüsse, die der Wüstensohn seinen Palmen verdankt. Sie sind die Bedingung seines physischen Lebens und fast die einzige Quelle desselben. Alles, was er ißt und trinkt und als Erquickung oder Luxus genießt, liefert ihm die Dattel-Palme. Deren Frucht ist frisch und getrocknet, roh oder gekocht die angenehmste, nahrhafteste Speise des Pflanzenreichs. Die fleischige Wurzel der jungen Blätter in der Krone des Stammes liefert Gemüse zu dem Dattelfleische
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_551.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)