verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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Wir kamen eine Stunde früher, ehe Aslan Pascha Audienz gab und zu Gericht saß, im Divan an. Der Bote, welcher gesandt worden war, uns zum Pascha zu geleiten, theilte uns mit, daß wir im Bureau des Aufsehers willkommen sein und den Pascha finden würden. Und da fanden wir ihn richtig, auf seinen Knien kauernd, umgürtet von den Gewändern seiner Würde.
„Khosch bulduk“ (Wohl gesunden) rief unser Führer Sarim Bey. „Burum!“ (Willkommen!) rief der Pascha.
Man winkte uns zu einem Sitze, den wir sofort einnahmen. Tschibuks mit dicken Bernsteinspitzen wurden uns gereicht und mit würziger Kohle angebrannt, worauf wir mit echt muselmännischer Apathie und Schweigsamkeit rauchten, wie der Pascha.
„Wie gehts?“ fragte endlich Sarim.
„Giedillah, Effendim“ (ich bin sehr krank) antwortete der Pascha, seine dicke gelbe Spitze einen Augenblick aus dem Munde nehmend.
„Min Allah!“ (Das wolle Gott nicht!) rief Sarim.
„Es ist wahr!“ versetzte der Pascha.
Langes Schweigen nur durch Tschibukdampfen unterbrochen.
„Was haben Sie jetzt für Arbeit vor?“ fragte Sarim nach langer Pause.
„Bosh!“ (Nichts!) entgegnete der Pascha zugleich mit einem Paff.
„Das ists – deshalb ist er krank,“ rief der Kadi, ein Unterrichter, der in des Paschas Abwesenheit Recht spricht. „Mein Herr ist der Herr und ich bin sein Sklave. Haben wir nicht den Schurken, der Bokschaliks (Geld aus der Zeit Mahmuds) nachmachte?“
„Benezer, Sie sind ein Esel, Kadi,“ war des Paschas Antwort. „Maschal’lâh, was kommt bei einem solchen Processe heraus? Die Arbeit lohnt nicht. Wahrscheinlich trägt der griechische Hallunke alle seine Piaster auf dem Rücken (d. h. er hat nichts). Unsere Casse ist niedrig, und wir brauchen Kläger und Verklagte, die ihre Gerichtskosten aus voller Börse bezahlen können. Deshalb sag’ ich noch einmal, Benezer, daß Sie ein Esel sind und der Sohn eines Esels.“
„Auch ist ein reicher Pascha unterwegs,“ fuhr der Kadi fort, ohne den ihm zugesprochenen Stammbaum in Frage zu stellen, „um die Hülfe des Lieblings vom Padischah (dem Sultan), Ihre Hülfe, mein Gebieter, anzuflehen. Ich weiß, daß er reich ist, wie König Karuun (der Crösus des Ostens), und seine Piaster umherstreut, als wären sie Feigenstaub!“
„Tschok tschai“ (das ist viel), erwiderte Aslan. „Und Sie glauben, daß er Geld hinter sich lassen wird?“
„Mein Gebieter ist weiser, als ein Karabasch. Sein Scharfsinn dringt in den Mittelpunkt aller Dinge, und nichts ist verborgen vor seinen Augen. So ist’s, wie mein Gebieter gerathen.“
„Es ist gut!“ entgegnete der Pascha. „Wenig sind der Piaster, die letzthin ihren Weg in den Schatz gefunden haben. Inschal’lâh (ich hoffe zu Gott), daß es so sei, wie Sie gesprochen, Benezer. Die Achtung vor der Gerechtigkeit muß im Verfall sein, sonst würden wir nicht so magere Geschenke bekommen. Ein Bokschah oder Anali (Taschentuch oder Handspiegel), das hält man jetzt für entsprechende Spenden an die Vertreter des Herrn der drei Meere. Doch nun vorvärts. Es ist Zeit. Gel!“ (Komm!)
Der Pascha arbeitete sich mit großer Anstrengung auf seine Füße, wobei ihm zwei Nefers[1] wörtlich unter die Arme griffen. Als diese ihn wie einen Leuchter oder eine Puppe auf die Füße gebracht hatten, unterstützten sie den Gapsenden und Wankenden unter den Ellenbogen und machten es dem „Günstling des Padischah“ möglich, vorwärts zu schreiten. Ihm folgten sechs Soldaten der Garde und ein Officier, außerdem sein Schwertträger, sein Oberster der Kaffeebereiter, der Spiegel- und Börsenträger, der Träger und Füller der Pfeife, zwei Mantelträger, ein Träger des großen Mantels, sein Hauptmann des Marstalls, der Inspector, der Aufseher, der Executor und Henker und noch viele untergeordnete Beamte.
Langsam und feierlich ließen ihn die Nefers auf die weichen, einsinkenden Kissen des Divan am obern Ende der Audienz- und Gerichtshalle nieder. Die Menge der Kläger und Verklagten, welche am Eingange zu beiden Seiten standen, falteten demüthig über die Brust ihre Hände, breiteten dann die innern Handflächen nach oben aus, und stürzten sich mit der Stirn gegen die Erde. Die Beamten an der Thür trieben dann die Leute heran, den Saum des Gewandes vom Pascha zu küssen. Aber der Pascha war sehr gnädig und herablassend, und gab den Nahenden freundlich die Hand. Jeder nahm diese mächtige Hand mit vieler Andacht, beugte sich nieder, und legte sie sich ein Weilchen auf seinen Kopf.
„Lah illàh el il l’Allàh! Muhamed il resul Allàh!“ (Es gibt keinen Gott, als Gott! Muhamed ist der Prophet von Gott) rief der Secretair des Gerichts mit singender Feierlichkeit. „Allàh schekier! (Lob sei Gott) Die ganze Erde muß kommen für Gerechtigkeit in diese Zuflucht vor das Auge des Schattens vom Padischah. Laßt nun Alle, die Gerechtigkeit wollen, darum bitten und sie sollen die Gabe erhalten!“
Als der Secretair diese Worte gesprochen, machte sich ein ältlicher Türke mit grauem Bart aus der Menge los, schritt rasch durch die Halle bis in die leere Mitte, warf sich auf seine Kniee und murmelte dreimal: „Gerechtigkeit! Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!“
Der Secretair breitete Pergament auf seinen Knieen aus, tunkte die Feder in das Tintenfaß an seinem Gürtel, und hielt sich bereit, die Sprüche des Spiegels der Gerechtigkeit niederzuschreiben.
„Wer ruft um Gerechtigkeit? Sprich! Wir hören!“ sagte der Pascha.
„Möge das Leben meines Herrn sein, wie seine Macht, ohne Ende und sein Schatten nie abnehmen!“ rief der alte Türke. „Der Ruf meines Herrn hat sogar die Thore von El Masr (Cairo) erreicht, und das Licht seines Scharfsinnes entdeckt Geheimnisse, verborgen in der Finsterniß der Mitternacht. Deshalb bin ich gekommen, ich Suleiman, der Specereihändler von Divan Yuli (Divanstraße), um den Richterspruch des Widerscheines vom Padischah gegen Ibu Scheitan Kahuur, den schwarzen Sclaven, der meine Casse hat in meiner Abwesenheit, zu erflehen.“
„Gut. Du sollst haben, was Recht ist. Denn bin ich nicht hier wie der Padischah selbst, die Sonne der Gerechtigkeit und der Schatten des Universums?“ rief der Pascha.
„Taibin! Taibin! (Ausgezeichnet! Sehr gut!)“ schrieen die Beamten in seiner Nähe, und ein Beifallsgemurmel lief durch den ganzen Saal.
„Mein Herr, der Pascha,“ nahm der alte Türke wieder das Wort, „haben ohne Zweifel den Ruf Suleimans vernommen, der die kaiserlichen Essenzen bereitet. Ich habe die Eigenschaften wohlriechender Pflanzen zu meiner Wissenschaft gemacht, bis ich alle Gelehrten dieses Faches herausfordern konnte. Selbst die Wissenschaft der Franken ist nur ein Stäubchen in der Sonne meiner Wissenschaft von allen wohlriechenden Essenzen. Vor einigen Wochen erfand ich nach hundert kostbaren Versuchen eine neue Essenz, deren Vorzüge alle andern Essenzen unter dem Himmel zusammengenommen übertrafen. Ein einziger Zug davon mit dem Athem war wie der Eingang in’s Paradies. Ein Fläschchen davon blos zu öffnen, gab so viel Wonne, wie die Bekehrung aller Ungläubigen. Sie war geboren aus dem Geist der Rose, und wer sie roch, brauchte lange Zeit, um vor Entzücken wieder zu sich zu kommen. Dieser Sohn hier eines verbrannten Vaters stahl mir nun die einzige Flasche dieser Essenz, klein wie eine Erbse, verkaufte sie an einen listigen Franken, der die Natur dieser Essenz entdeckte und nun nachmacht. Dieser Kahuur hat mich und die höchsten Harems und die Houris im Paradiese um die höchste Wonne gebracht.“
„Kahuur, tritt vor!“ befahl der Pascha.
Der schwarze Nubier ward hervorgestoßen. Er warf sich winselnd auf den Boden und schrie um Gnade. Aber auf des Pascha’s Befehl ward er in eine Ecke gebracht, an den Füßen entblößt und an eine Holzstange gebunden, die von zwei Männern gehalten wurde, während sie mit den freien Händen dicke lederne Riemen hervorzogen, um wechselsweise die nackten Füße zu schlagen. Der Schwarze schrie fürchterlich, seine Augen rollten entsetzlich vom Boden herauf, in welchen er biß, den er mit den Handen kratzte. Die beiden Diener der Gerechtigkeit fuhren ruhig fort, die Füße
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_549.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)
- ↑ Nefers sind Männer von besonderer, vermeintlicher Reinheit. Sie tragen Weiberhaar um Hals und Schultern.