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Seite:Die Gartenlaube (1857) 531.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Die zehnte Muse.




Unter den Vereinigungspunkten der literarischen Geister von Paris gab es bis vor drei Jahren unstreitig keinen liebenswürdigeren, als den Salon der Frau von Girardin, die Muse Frankreichs oder auch die zehnte Muse genannt und die Gemahlin des großen industriellen Genies Emil von Girardin.[1]

Frau Delphine von Girardin war ein feiner, mit unendlicher Liebenswürdigkeit begabter Geist; der Reiz ihrer Unterhaltung hatte etwas Märchenhaftes und schien keine Ermattung zu kennen; alle Welt liebte sie und Niemand konnte ihr grollen, selbst wenn ein feiner Witz ihr entschlüpfte, dessen Stachel oftmals verwunden mußte. Glaubte sie Jemanden gekränkt zu haben, so erheiterte sie bald wieder seine Züge durch den Reiz sinniger Entschuldigungen, daß man denjenigen beneiden mochte, dem die Kränkung ein Recht gegeben hatte, der französischen Muse grollen zu dürfen, und der nun dankbar dafür war, weil so lieblicher Balsam in seine Wunde gegossen wurde. Delphine von Girardin kannte in ihrer Liebenswürdigkeit keinen Unterschied; sie hatte den Ehrgeiz, von Jedermann reizend gefunden zu werden, und auch die Befriedigung, ihren Wunsch in hohem Maße erreicht zu sehen.

Das geistreiche Weib, welches, als ich es 1851 zum zweiten Male wieder sah, bereits in der Mitte der vierziger Lebensjahre stand, durfte immer noch als eine Schönheit erscheinen, von der die Männer augenblicklich entwaffnet sind. Nicht allein die Feinheit und Regelmäßigkeit ihrer Züge bezeichneten sie als eine der Begünstigtsten ihres Geschlechts, sondern der Geist und der hohe Esprit, welcher der edlen Physiognomie aufgedrückt war, legten jenen magischen Reiz um diese Gestalt, der die Frauen sogleich in den Augen der Männer der menschlichen Sphäre entrückt und diesen zur Aufgabe macht, sie mit der Schönheit der von Poesie, umkleideten Göttinnen Griechenlands zu vergleichen. Die Majestät ihres Geistes, die von ihrem Antlitz strahlte, gewann durch die großen blauen Augen mit dem unendlichen Reiz und der innigsten Sanftmuth einen lieblichen Charakter, und dazu ein reiches, prächtiges Haar, das in blonden Locken herabfiel und ihr den Anschein einer deutschen Rittersfrau verlieh. Wenn ich nicht irre, so ist sie in Aachen geboren worden oder doch getauft; ihre Mutter Sophie Gay, welche an einen Generalpächter des Ruhrdepartements verheirathet war, wohnte lange in Aachen, und Frau von Girardin, welche leidlich deutsch verstand, erzählte manches aus jener frühesten Zeit ihrer Kindheit, wo sie in dem Salon ihrer Mutter mancher deutschen Celebrität begegnete; eine besondere Vorliebe schien sie für den Fürsten von Pückler-Muskau bewahrt zu haben, dessen Bekanntschaft sie schon als sehr junges Mädchen machte. Im Grunde so hervorragend durch den Schönheitstypus des deutschen Wesens, mit einer breiten und klaren Stirn, einem zierlich geformten Munde, hinter dem wie zwei Reihen Perlen der weiße Schmelz der Zähne leuchtete, konnte man sich nicht satt sehen an der zarten Weiße ihrer Haut, an diesen schön gerundeten Schultern, die der liebenswürdige Béranger mit denen der Venus verglich, an ihrem sanft anschwellenden Arm und an jenem Reiz des Lächelns, welches Chateaubriand für das eines Engels hielt. Alles, was diesen Vorzügen das glänzendste Licht verleihen konnte, war ihr gegeben; ein Geschmack der Toilette, der in den guten Kreisen häufig nachgeahmt wurde; eine Grazie des Benehmens, welche sich zugleich mit feinem Tact nach den Regeln der Etikette formte, wenn diese durch den Rang einer Person nöthig war, und eine Freundlichkeit des Empfanges, die keine Laune verändern, keine Stunde wechseln konnte.

Als ich acht Monate früher unter dem algierischen Zelt, welches in der Mitte ihres reizenden Gartens stand und in dem sie während des Sommers arbeitete und Besuche empfing, mich von der wohlwollenden Frau verabschiedete, um nach Schleswig-Holstein zu reisen und den letzten Feldzug mitzumachen, machte sie mir arge Vorwürfe, die Sicherheit einer angenehmen Stellung mit dem Ungefähr eines etwas abenteuerlichen Dranges vertauschen zu wollen.

„O ja, Madame,“ entgegnete ich, „in Frankreich glaubt man gar nicht, daß es in Deutschland auch Vaterlandsliebe gebe, und besonders setzt man dergleichen Gesinnungen nicht bei den Personen voraus, welche Frankreich zu bleibendem Aufenthalte erwählt haben.“

„Ah, ah! Sie haben nicht ganz unrecht,“ erwiderte sie; „aber die Schuld liegt bei den Deutschen selber, mon pauvre garçon; sie begeistern sich stets, wenn es zu spät ist.“

„Das mag Erbfehler sein; aber meinen Sie denn, Madame, daß es schon zu spät sei, sich für die deutsche Sache der Schleswig-Holsteiner zu begeistern?“

„Vielleicht.“

„Wie so vielleicht?“

„Mir scheint es, als wenn sich diese Affaire nicht des Opfers verlohne, welches Sie bringen wollen. Der Krieg wird zu Ende sein, noch ehe Sie dort ankommen und, das vermuthe ich wenigstens, er wird Sie sehr abkühlen.“

„Gleichwohl, ich werde hinreisen; mir scheint es ganz, als schlage dort im Norden Deutschlands und bei den alten Friesen das neue Deutschland wieder Wurzel.“

„In diesem Falle wird sich schon Jemand finden, der sie ausreißt.“

„O, wie denken Sie von der Zukunft Deutschlands!“

„O, was sind Sie für ein Querkopf,“ entgegnete sie köpfschüttelnd.

Als eine tête carrée nahm ich damals Abschied von Frau von Girardin, und als ich jetzt wieder der Rue Chaillot zuschritt, um mich der graziösen Frau vorzustellen, machte ich allerhand Glossen über die eingetroffene Wahrheit dessen, was sie damals vorausgesehen hatte. Auch schien sie den Abschied nicht vergessen zu haben und empfing mich mit dem Gesicht eines Menschen, der die Bestätigung seiner Prophezeihung erwartet.

„Eh, Monsieur,“ rief sie bedeutsam aus, nachdem sie mich mit freundlichem Wohlwollen empfangen hatte „Ihr Deutschland ist also ganz todt?“

„Durchaus nicht,“ entgegnete ich ernst.

„Wie, Sie leugnen dies und kehren doch zurück?“

„Ja, ich kehre zurück, aber Deutschland ist ganz regelrecht gestorben.“

„Elle est donc morte, comme je vous disais?“

„Non, madame, elle est mourue.“

Die beiden Empfangs-Salons im Parterre der Villa, welche sonst einem griechischen Tempel von Außen ähnelt, waren noch in demselben Zustande, wie vor acht Monaten. Die Meubles boten nichts von Eleganz und Reichthum, den man sonst in den feinen Salons anzutreffen pflegt; die Tapeten waren dagegen eleganter und von besserem Geschmack, als die früheren. Lächelnd zeigte Frau von Girardin darauf hin.

„Sie wissen, daß ich in meinem Hause nicht zu Hause bin; aber mein Mann hat in guter Laune neue Tapeten gekauft.“

Der speculative Girardin hatte nämlich dies Haus mehrere Jahre früher um ungemein billigen Preis gekauft und lauerte nur auf die Gelegenheit, es mit Gewinn wieder zu verkaufen. In Folge dessen zeigte er sich sehr geizig, irgend Etwas an seine Wohnung zu wenden. Als Besitzer eines der größten Journale und mit Einfluß bei einigen hochgestellten Personen konnte Girardin sehr gut dergleichen Speculationen zu seinen Gunsten dirigiren. Er fing an, in seinem Journal die Nothwendigkeit eines neuen Straßenbaues in der Gegend auszuposaunen, in welcher sich sein Haus befand; sein Einfluß brachte es dahin, daß die Regierung vielleicht in der Nähe eine Fabrik oder eine Anstalt errichtete, so daß der Grund und Boden einer früher öden Gegend bald erhöhten Werth bekam und der schlaue Industrielle alsdann sein Eigenthum mit drei- und vierfachem Vortheil verkaufen konnte. Die Villa der Rue Chaillot war auf diese Weise seit einigen Jahren bereits im Preise gestiegen.

In den kleinen Salons der Frau von Girardin versammelte sich noch immer die alte Gesellschaft; fast niemals fand man sie leer, sondern sowohl die Aristokratie des Fauburg St. Germain, als auch die Literatur und Kunst hatten ihre steten Vertreter hierselbst. Victor Hugo und Lamartine gehörten zu den treuesten Besuchern der Salons von Delphine Gay; ebenso Méry, Theophile Gautier, der Baron Rothschild, Balzac und Charles Hugo, der

  1. Siehe das Portrait: Ein Parvenu der Presse in Nr. 28. der Gartenlaube.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_531.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2022)