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Seite:Die Gartenlaube (1857) 513.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 38. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die Auferstehung.
Novelle von Max Ring.
(Schluß.)
III.

Die traurige Nachricht von dem Tode des Assessor Bärmann verbreitete sich am anderen Tage mit Schnelligkeit durch die Stadt. Alle Welt bedauerte den Verlust des bescheidenen, reich begabten Mannes und beklagte die arme Mutter und seine junge Braut. Clementine wurde auf die schonendste Weise von ihrem Unglück durch die Präsidentin in Kenntniß gesetzt; sie überließ sich, wie alle sanguinische Naturen bei ähnlicher Gelegenheit, den Ausbrüchen der heftigsten Verzweiflung; aber nach und nach schenkte sie den Trostgründen ihrer Mutter ein williges Gehör. In ihrem Wesen lag es nicht, einem Schmerze fortwährend nachzuhängen; dazu fehlte es ihr an der nöthigen Tiefe und Innigkeit des Gefühls. Sie hatte in ihrer Weise Theodor geliebt, sie wäre ihm gewiß eine treue und zärtliche Gattin geworden, vorausgesetzt daß ihr keine zu großen Opfer auferlegt worden wären; aber mehr durfte man nicht von ihr fordern. Ihr Herz war weich und elastisch, jedem Eindrucke offen, der eben so schnell wieder verschwand und keine, oder nur leichte Spuren zurückließ. Im ersten Augenblicke überließ sie sich ganz und gar der Heftigkeit ihres aufrichtigen Schmerzes; sie beweinte den Tod Theodors, sein frühes Ableben und vor Allem ihr eigenes Geschick; nebenbei dachte sie aber schon an ihre Trauertoilette und wie der schwarze Flor zu ihrem weißen Teint stehen würde.

In Begleitung der Präsidentin war sie in das Haus der Commerzienräthin geeilt; sie fand die würdige Matrone weit gefaßter, als sie dachte. Der Schmerz äußerte sich bei dieser in der edelsten Weise, indem sie mit erhabenster Selbstverleugnung der Braut ihres Sohnes Trost einzusprechen sich bemühte.

„Ich habe einen Sohn verloren,“ sagte sie mit rührender Resignation, „Du Deinen Bräutigam. Du sollst an mir nach wie vor eine Mutter finden, wie ich an Dir eine Tochter. Durch gegenseitige Liebe wollen wir sein Andenken ehren und heiligen.“

Tief erschüttert sank Clementine weinend an die Brust der Betrübten. Nachdem sie ihre leicht fließenden Thränen getrocknet, äußerte sie den natürlichen Wunsch, die Leiche des Geliebten zu sehen. Theodor lag vorläufig auf seinem früheren Lager. Die Commerzienräthin fühlte sich noch zu angegriffen, um den schmerzlichen Anblick zu ertragen; sie gab daher dem Bedienten den Auftrag, Clementine in die Todtenstube zu führen. In Gesellschaft ihrer Mutter betrat sie den traurigen Ort, aus dem ihrer aufgeregten Phantasie ein dumpfer Verwesungsgeruch zu kommen schien. Das unheimliche Halbdunkel, durch zwei brennende Kerzen erhellt, die herabgelassenen Vorhänge, die bange Stille, die Nähe des Gestorbenen erfüllten ihre Seele mit einem unüberwindlichen Schauer und sie bereute bereits im Stillen ihren Wunsch. Bei dem Geräusche, das ihr Erscheinen verursachte, erhob sich eine dunkle Gestalt; es war Gertrud, welche noch einige Anordnungen zu treffen hatte. Das holde Mädchen zog sich mit einem scheuen, flüchtigen Gruß zurück und ließ Clementine und die Präsidentin allein mit der Leiche, welche mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen, nur mit einem weißen Tuche vorläufig zugedeckt, auf dem Bette lag. Bei diesem Anblick stieß Clementine einen leisen Schrei aus, der mehr ihr Entsetzen als ihren Schmerz verrieth.

„Schrecklich!“ flüsterte sie der Mutter zu.

„Du hast es ja gewollt,“ eiferte diese, die Ehrfurcht gebietende Nähe des Todes nicht beachtend. „Wer hat Dich denn gezwungen, die Leiche aufzusuchen?“

„Es wäre unschicklich gewesen, so fortzugehen. Schon der Commerzienräthin und der Leute wegen mußte ich dies Opfer bringen. Der Anstand erfordert es, aber ich vermag kaum hinzusehen; er sieht ganz entstellt aus und welch’ ein Geruch! Ich fühle mich einer Ohnmacht nahe.“

„Hier hast Du mein Riechfläschchen und nun laß uns gehen. Wir haben hier nichts mehr zu suchen. Du hast Deiner Pflicht genügt. Denke an Deine eigene Gesundheit. Du bist noch jung und hast noch eine reiche Zukunft zu erwarten.“

„Vorläufig denke ich nicht daran.“

„Aber Du wirst später daran denken. Ich glaube doch nicht, daß Du Dein ganzes Leben den Verstorbenen betrauern willst. Es gibt noch andere Männer auf der Welt und bessere Partieen.“

„Liebe Mutter! Sprechen Sie leiser.“

„Ich würde an Deiner Stelle Gott danken, daß es so gekommen ist. Du bist jetzt frei und wenn mich nicht Alles täuscht, so blühen Dir die glänzendsten Aussichten. Der Kammerherr von Rummelskirch –“

Clementine machte eine abwehrende Bewegung, obgleich sie der Mutter nicht Unrecht geben konnte. Wohl regte sich im Stillen die frisch erwachte Lebenslust und neue Hoffnungen blühten wieder auf, aber die Scheu vor dem Todten hielt sie noch ab, ihre eigenen Gedanken auszusprechen. Es graute ihr vor der Leiche, deren erstarrte Züge ihr zu drohen schienen. Sie glaubte, ein schmerzliches Zucken um den fest geschlossenen Mund bemerkt zu haben. Jedenfalls täuschte sie ihre lebhafte Phantasie.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_513.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)