verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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herausziehen. Jede Person hatte ihren Ordensnamen. Die Herzogin hieß Madame la Prieure superieure, der Herzog Mgr. le Prieur superieur. Der Herzog von Meiningen hieß der Zufriedene (content). Frau von Buchwald, der berühmte Schöngeist, die Glänzende. Der Erbprinz hieß der Wachsame, Fräulein von Kameke die Hoffende, der Prinz Wilhelm der Unterhaltende, ein Fräulein Jacquin die Vielgetreue, ein Herr Cachedenier, der nebenbei ein angesehener Gelehrter und ein großer Buchersammler war, der Verschwiegene, ein Herr von Beust der Sänger, ein Herr von Buchwald der Scherzhafte, ein Herr von Bachoff wurde Schmetterling genannt, und der Graf Gotter, der eigentlich die Seele des Ganzen war und ohne den, wenn er einmal fehlte, die ganze Eremitage in's Stocken gerieth, wurde der Sausewind (tourbillon) genannt. Drei Damen, Frau von Herzberg, von Pflugk und von Janus nannten sich nach den drei Parzen: Clotho, Lachefis, Atropos, und drei Herren Aeakus, Minos und Rhadamanthus. Und so noch eine große Menge mehr.
Mitten in der blühendsten Periode des Ordens kamen die Franzosen nach Deutschland und diese Fremdlinge, die man anfangs mit Bewunderung und großer Freude in den Reihen der Eremiten aufnahm, waren Ursache, daß der Orden in Verfall gerieth. Diese Sorte Eremiten war denn doch etwas stark. So wie diese neuen Gäste die Galanterie und Courtoisie verstanden, hatte man, ob gleich man an deutschen Höfen abgöttisch die Franzosen verehrte, doch weder Muth noch Lust, sie zu verstehen. Die Ordnung in der Verbindung wurde wankend, es schlichen sich unerhört freie Sitten ein und die Marschälle Soubise und Caulincourt, geraden Weges aus den Boudoirs der Pariser Weltdamen kommend, machten sich zu Stimmführern der Gothaer Anachoreten. Der bekannte Schriftsteller Thümmel hat uns eine Schilderung der Ankunft dieser Helden und ihr Einwirken auf die Bewohner von Friedrichswerth gegeben, die jene Zeiten lebhaft charakterisirt. Es ist dem großen Friedrich nicht genug zu danken, daß er, selbst social und literarisch französisch gefärbt, doch so echt deutsch dachte und handelte, daß er diese frisirten Gecken, die sich Soldaten nannten, so effectvoll nach Hause leuchtete.
Das ernste Antlitz, das jetzt die Zeit annahm, zerstörte die Privat-Lustbarkeiten und mithin auch den Orden der lustigen Eremiten. – Nur Einer dieser Eremiten hat sich ein Andenken bis auf unsere Tage gegründet, dies ist ein Herr von Rotberg, der unter dem Namen der Weise in der Mitglieder-Liste aufgeführt steht und der der Gründer des Gotha'schen Hof-Kalenders ist, eines Büchleins, das in manchen tausend Exemplaren verbreitet ist und das Jedermann, wenigstens dem Namen nach, kennt. So hat also dieser Berg doch wenigstens eine Maus geboren.
„Mein Frau ist in Kösen,“ ist der in unserer Zeit aufgetauchte Ausruf des Berliners, der in den glücklichen Augenblicken seines ehelichen Lebens athmet, wo seine Frau verreist ist. Mag die Frau nun gerade in Kösen sein oder nicht, Kösen ist der Ort, der diesen Schrei der Freude in’s Leben gerufen hat; Kösen ist es, das mit Anbruch der Saison so und so viel Damen der Hauptstadt entführt, und Kösen muß daher für den Junggesellen das sein, was dem Muhamedaner als siebenter Himmel vorgespiegelt wird. Dahin mußte nothwendiger Weise der Tourist-Garçon, ehe er in das so vielseitig gefeierte Land der Thüringer einrückte. Also „zwei Billet nach Kösen“ – und mein Vetter R. und ich saßen in den staubigen Kissen des Waggon. – Schreckliche Eisenbahn, die zwischen öden, sich bis zum Horizont hinstreckenden Stoppelfeldern und einigen glatzenartigen Hügeln dahinzieht!, schreckliches Geschlecht, das Einen umgibt, sobald man dieselbe betritt! Wir waren umgeben von jüdischen Handlungs-Reisenden! –
Das erste Nahen einer bergigen Gegend empfindet man, sobald man die thüringer Bahn betritt, denn dies Gefühl der Bewegung, das dem Rütteln eines Leiterwagens auf einem ausgefahrenen Krüppeldamme gleicht, – kann unmöglich an dem schlechten Bau der Bahn liegen, wenn man auch allerdings auf eine weise Sparsamkeit der Direction durch die schmalen Sitze geführt wird, die zum Einschlafen der Füße und Kniereißen ganz besonders geeignet erscheinen. – Herrlicher Mondschein lag über der Gegend, und als wir die alten Thürme von Naumburg sahen, konnten wir nicht umhin, schon dieser Stadt einen flüchtigen Besuch zu machen. Das Gitter knarrt und der Miehtswagen rollt über das Pflaster der menschenleeren Straßen.
Durch zudringliche Fliegen früh gestört, öffneten wir der schönen frischen Morgenluft das Fenster und unserem entzückten Auge bot sich das reiche, belebte Bild einer kleinen Provinzialstadt dar. Ein Hausknecht wäscht die grau überzogenen Wagenräder, eine Bäckersfrau ordnet militärisch die langen Semmeln auf dem Schaubrett und zwei Hündchen überlassen sich unbefangen dem ganzen Muthwillen einer zuchtlosen Jugend.
Naumburg ist ein ungemein hübsches Städtchen mit einigen verbesserten Überresten alter Baukunst, unter denen sich besonders der Dom auszeichnet. Der älteste Theil, außer der im Anfange des Christenthums gegründeten Krypta, ist noch in Rundbogen-Auffassung (byzantinisch) mit einigen Uebergängen zum Spitzbogen (gothisch) und die unbeholfenen, aber charakteristischen Statuen der Gründer umstehen die halbverwitterten Säulen des einen Chores, während einige vortreffliche, lebensgroße Heiligenbilder von Lucas Cranach das entgegengesetzte schmücken. Die strenge Zeichnung, die mit ungemeiner Feinheit wiedergegebenen individuellen Kleinigkeiten der Physiognomieen, die gediegene Ruhe der Auffassung und des Colorit contrastieren als erhabenes Vorbild gegen die nüchternen daneben hängenden Werke eines Schadow, v. Schnorr etc. etc., die auf Bestellung irgend eines Mäcen 1820 in Rom gemalt wurden. Es sind Schülerarbeiten, die nicht gerade hier ihren Aufbewahrungsplatz finden sollten. Die Lage Naumburg’s ist eine durch manche Burg romantisch gemachte Gegend und seine Weinberge tragen nicht wenig dazu bei, jenen Ruf zu erhöhen. Wie mancher „Weißberger“ mag schon den nicht zu verwöhnten Gaumen eines wohlhabenden Privatmannes als weißer Bordeauxwein durchrieselt haben!
An einem heißen, sonnigen Nachmittage befanden wir uns auf der Landstraße nach Kösen. Erst jetzt fühlten wir uns frei, und lustig und guter Dinge zogen wir dahin, bis das Dorf Altenburg (Almerich gesprochen) die erste passende Gelegenheit zum Rasen bot. Klagetöne über gebotene Einstellung unschuldige Festlichkeiten
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_510.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2022)