verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 36. | 1857. |
Die reiche Commerzienräthin Bärmann hatte nur einen einzigen Sohn, den sie über Alles liebte. Theodor verdiente auch im vollsten Maße die Zärtlichkeit seiner Mutter; er war in jeder Beziehung ein trefflicher Mann, und sowohl körperlich wie geistig mit den schönsten Gaben und Anlagen ausgestattet. Um das Glück vollständig zu machen, hatte er vor einiger Zeit seine Mutter mit einem freudigen Geständniß überrascht. Die reifende Tochter des Regierungspräsidenten von Wilden, um deren Liebe er sich schon längst beworben hatte, willigte endlich ein, die Seinige zu werden.
Clementine war die gefeierte Schönheit der Residenz, eine ausgezeichnete Partie, um die der Assessor Bärmann von aller Welt beneidet wurde. Sie besaß eine Fülle glänzender Eigenschaften, welche durch ihr blendendes Licht so manche kleinern Schwächen und Fehler übersehen ließen, die ihrem Charakter anhafteten. Das scharfe Mutterauge der Commerzienräthin wurde dadurch nicht getäuscht, aber die würdige Frau kannte selbst aus eigener Erfahrung den günstigen Einfluß der Ehe auf derartige unbedeutendere Gebrechen, von denen Niemand gänzlich frei zu sprechen sein dürfte. Sie billigte daher von ganzem Herzen die Wahl ihres Sohnes und empfing die zukünftige Schwiegertochter aus seinen Händen mit der aufrichtigsten Liebe und Zärtlichkeit.
Für die Verlobten begann jetzt eine Zeit der rauschendsten Zerstreuungen, denen sich besonders Clementine mit verzeihlicher Lebenslust hingab. Sie liebte die Aufregung der Gesellschaft, den Tanz, das Vergnügen und sah sich gern bewundert und gefeiert. Theodor mißgönnte ihr nicht diese Lust, obgleich sein ernsterer Sinn sich mehr nach einem ruhigern Glücke, einem stilleren Genusse sehnte. Er freute sich sogar an den Triumphen seiner Braut, und seine uneigennützige Liebe fand in der Anerkennung, welche ihr von allen Seiten gezollt wurde, selbst die höchste Befriedigung. Ein Fest drängte das andere, da sowohl der Präsident wie die Commerzienräthin eine überaus zahlreiche Bekanntschaft und viele Verwandte besaßen, die sich beeilten, dem Brautpaare Bälle, Diners und Soupers zu geben. Außerdem bot die Residenz in diesem Winter die verführerischsten Genüsse; man lebte gerade im Carneval und auf der Höhe der diesmaligen überaus glänzenden Wintersaison. Die Krone sämmtlicher Vergnügungen, gleichsam die Quintessenz aller Lust, bildeten die prächtigen Opernbälle, welche selbst von dem Hofe und dem Fürsten regelmäßig besucht wurden. Clementine hatte den Wunsch geäußert, denselben beizuwohnen. Theodor selbst liebte nicht den Tanz, dennoch beeilte er sich, ihrem Wunsche zu entsprechen. Es war dies keine ganz kleine Aufgabe, denn der Andrang zu den Bällen war so groß, die Auswahl von Seiten der Intendanz so streng, daß es ganz besonderer Protection bedurfte, um sich den Zutritt zu verschaffen. Die Billete wurden im eigentlichen Werthsinne mit Gold aufgewogen; aber unbeachtet aller dieser Hindernisse war es dem Assessor gelungen, die genügende Anzahl zu erhalten, allerdings nicht ohne einen großen Aufwand von Beharrlichkeit und Geldkosten, die eines besseren Zweckes würdig waren.
Clementine dankte ihm mit dem bezauberndsten Lächeln und mit einem Kuß, welcher ihn seine ausgestandene Mühe vollkommen vergessen ließ, und wodurch er sich hinlänglich belohnt hielt. Die ganze Woche über befand sie sich in einem Zustande der freudigsten Aufregung und erwartungsvoller Ungeduld.
Endlich schlug die ersehnte Stunde; sie hatte die ausgesuchteste Toilette gemacht, und Theodor wurde von ihrer strahlenden Schönheit, die ihm nie zuvor in so reizendem Lichte erschienen war, unwillkürlich hingerissen. Er empfand mit einer Art von Wonneschauer jene bezaubernde Macht, welche das vollendete Weib über den liebenden Mann ausübt, selbst dann, wenn derselbe auf andere Gaben, als den bloßen sinnlichen Reiz vorzugsweise sieht. Mit einem nie gekannten Stolz hob er das schöne Mädchen in den Wagen, wo bereits seine Mutter saß. Die Berührung ihrer schlanken Taille, der sanfte Druck ihrer Hand, der Duft ihrer ganzen jugendlichen Erscheinung, versetzten ihn in eine Art von freudigem Rausch. Er fühlte sich überglücklich in dem gesicherten Besitze eines so herrlichen Wesens, das er voll Bescheidenheit nicht zu verdienen glaubte.
Unterdeß rollte die elegante Equipage der Commerzienräthin durch die breiten Straßen der Residenz dem hell erleuchteten Opernhause zu. Der Kutscher trieb die feurig dampfenden Pferde zur Eile an, aber immer noch nicht schnell genug für Clementinens steigende Ungeduld, welche sich in jeder ihrer Bewegungen verrieth. Zuweilen erhob sie sich leise von dem elastischen Sitz, und versuchte durch die von Frost angelaufenen Scheiben des Wagens zu blicken, dann sank sie wieder träumerisch in die weichen Seidenpolster zurück, und schloß ihre funkelnden Augen, als wollte sie das in ihrer leicht bewegten Phantasie entstandene Bild der ihrer harrenden Freuden durch diese körperliche Bewegung festhalten. Dazu lächelte sie überselig in sich hinein, bereits schwelgend im Vorgenusse des ihr bevorstehenden Triumphes. Die kleinen Füße tanzten im Gedanken auf dem Boden des Wagens verschiedene Walzer und Galloppaden, deren Melodieen durch das liebliche Köpfchen summten. Sie sprach auch dazwischen bald mit ihrem Verlobten, bald mit seiner Mutter, doch zerstreut und abgebrochen, weil die Aufgeregtheit ihres ganzen Wesens keine längere und zusammenhängende Unterredung zuließ. Theodor war auffallend still und in sich gekehrt,
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_485.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2019)