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Seite:Die Gartenlaube (1857) 442.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

höheren Luftraum in allen Dimensionen durchkreuzen, bis sie ihre topographischen Kenntnisse so erweitert haben, daß sie auf zwei Stunden weit fortfliegen können, ihre Heimath aber stets wiederfinden.

Wenn die Morgensonne die Luft erwärmt, beginnt auch das geschäftige Treiben im Bienenstaate und dauert unausgesetzt bis Sonnenuntergang fort. Tritt am Tage Regen ein, oder verdunkelt schwarzes Gewölk etwa plötzlich die Sonne, so eilen die Bienen schleunigst ihrem Asyle zu. Oft ist dieses Flüchten so massenhaft, daß die Passage am engen Pförtchen des Bienenstockes gehemmt wird; die Bienen bedecken wie ein schwarzer Schleier die Vorderseite ihrer Wohnung, ängstlich und stark summend hin- und herlaufend, bis sich der wirre Haufen verliert und seinen geordneten Einzug hält.

Auch im Innern des Bienenstockes zeigt sich ein geschäftiges Treiben mit Ordnen und Verarbeiten der eingesammelten Materialien. Kein Baumeister und Meßkünstler ist im Stande, sein Material sorgsamer zu vertheilen, die Räume weiser zu benutzen, seinem Baue eine künstlichere Grundlage und eine regelmäßigere Zurichtung zu geben, wie es die Bienen thun. Wie sie ihr kunstvolles Wachsschloß aufbauen, und wie sie namentlich ohne Richtscheit und Winkelmaß ihre sechseckigen Zellen construiren, ist freilich ein Geheimniß; die Bienen lassen sich bei ihrer Arbeit nicht zuschauen und bewahren ihre Kunstfertigkeit als ein privilegirtes Geheimniß, auch ohne daß sie ein Patent darauf nehmen. Was sich von ihrer Arbeit wahrnehmen läßt, bezieht sich blos auf die äußere Gruppirung. In Gestalt einer großen Traube hängen die Bienen da, unter sich in Kettenreihen verbunden, indem sich die zweite auf den Hinterleib der ersten klammert, die dritte an die zweite und so fort. Unbeweglich und unter forttönendem Gebrause verharren sie nach reicher Tracht in dieser Stellung; oft über Nacht sind schon die weißen blitzenden Wachsscheiben entstanden, die man zu sehen bekommt, wenn am anderen Morgen die meisten das Gewirke verlassen und zu neuer Arbeit ausfliegen. Man sagt, daß diese Wachsbereitung mittelst Ausschwitzens von Wachsblättchen zwischen den Bauchsegmenten des Hinterleibes zuwege gebracht würde.

Die Construction der Bienenzellen selbst ist eine vierfache, je nachdem sie zum Aufbewahren des Honigs, oder zum Ausbrüten der drei Bienenarten bestimmt sind. Nur die Zellen für junge Königinnen sind rund, in Gestalt und Größe dem Cocon einer Seidenraupe ähnlich; die übrigen sind sechseckig, für Drohnen oder Arbeitsbienen von der Größe derselben, für den Honig allein sind sie etwas tiefer.

Es ist wunderbar, daß alle drei Bienenarten aus einem und demselben Ei entstehen können, wenn sie in den betreffenden Zellen mit besonderem Futterbrei versehen werden. – Schon im Bau der palastähnlichen Königszelle nehmen die Bienen Rücksicht auf den Rang des darin zu bildenden Wesens, das durch sorgfältige Erziehungspflege und feinere Nahrung vor allen übrigen Genossen des Bienenvolkes ausgezeichnet wird. Denn die Königin nimmt in jedem Stocke die wichtigste Stelle ein; nur durch ihr Leben und ihre Gesundheit ist der Organismus des kleinen Staates gesichert. Wie die treibende Feder im Uhrwerk, gibt sie den Impuls dafür, daß jedes Glied an seinem Platze bleibt, und mit Ordnung und in Friede und Eintracht emsig seine Arbeit verrichtet. Die Bienen sind ihr mit aufopfernder Treue und Anhänglichkeit zugethan; ihrer Pflege und Beschützung widmen sie alle ihre Zeit und Kraft.




Zwickau und seine Kohlen.
Nr. 1.

Es nimmt uns Wunder, wenn wir hören, daß im fernen Westen in zehn und zwanzig Jahren Städte mit Tausenden von Bewohnern aus Wildnissen emporwachsen, und dabei übersehen wir, daß sich in unserer unmittelbaren Nähe Erscheinungen wenn auch nicht gleicher, so doch ähnlicher Art zutragen, die aber um so mehr geeignet sein dürften, unser Interesse zu erregen, als sie mächtig mit in den Strom des Lebens eingreifen, dessen Fluthen wir alle mehr oder minder anheimgegeben sind. Zwar können wir nicht Städte ausweisen, die binnen wenigen Jahren aus den ersten Anfängen bis zu einer ansehnlichen Bedeutung aufstiegen, wohl aber solche, die vor wenigen Jahrzehenden wie müde Greise ein armseliges Dasein hinschleppten, und heute wie thatkräftige Jünglinge nach wohlgeführtem Laufe sich anschicken, noch ruhmvollere Bahn zu betreten. Welche Stadt wir hier namentlich im Sinne haben, lehrt schon die Ueberschrift.

Zwickau in Sachsen hat seit einer Reihe von Jahren einen so mächtigen Aufschwung genommen, daß es der, welcher es zwanzig bis dreißig Jahre nicht gesehen hat, kaum wieder erkennen kann, und es arbeitet in industrieller Hinsicht mit solcher Kraft und mit so bedeutenden Mitteln, daß seine Thätigkeit weithin fühlbar wird und für die Entwickelung des industriellen Lebens in seiner näheren und ferneren Umgebung maßgebend geworden ist.

Und doch war es vor etwa dreißig Jahren noch eine todte armselige Stadt, von so wenigem Interesse, wie es nur ein von dem großen Markte des Lebens abgeschnittenes Landstädtchen haben kann. Auf seinen Straßen zeigte sich nicht die geringste Spur von einem regeren gewerblichen Leben; fast unheimliche Stille herrschte, wenn sie nicht etwa durch den Marsch einer kleineren oder größeren Truppe von Soldaten unterbrochen wurde oder die liebe Schuljugend nach der Entlassung aus ihren Käfigen die Straßen zu ihren Tummelplätzen machte.

Daß die Stadt mit einer sehr starken Garnison belegt war, war für sie ein wahres Glück, und ihr Verbleiben beinahe eine Lebensfrage: durch sie wurde doch einige Bewegung in das matt hinschleichende Leben der Stadt gebracht; aus ihrer Bekleidung und Verpflegung zog das gewerbliche Leben doch einige Nahrung und ihre Einquartierung in die Wohnungen der Bürger ließ die weitläufigen Räume der Häuser doch nicht ganz leer erscheinen.

An Größe fehlte es den Häusern nicht, und viele zeigten durch ihre architektonische Schönheit, daß Zwickau in vergangenen Jahrhunderten auch einmal ruhmvollere Tage gesehen haben müsse; aber jetzt standen sie da vernachlässigt und traurig über den Verfall aller irdischer Größe, und setzten die Armseligkeit der Gegenwart nur in um so grelleres Licht. Auf den Straßen wuchs Gras, an den einsameren Stellen so reichlich und so hoch, daß es abgehauen werden konnte, und in den unteren Theilen der Stadt wurde durch das aus der Mulde in die Stadt geleitete in offenen Bächen fließende Wasser so viel Unrath und Schlamm zusammengeführt, daß förmliche Sümpfe entstanden. Diese verschwanden nur dann einmal, wenn es diesem oder jenem Feldbesitzer beikam, den in ihnen lagernden Düngestoff für seine Felder zu benutzen. Vor der Stadt dehnten sich als Zeugen dafür, daß Grund und Boden noch wenig Werth hatten, große mit Weiden und Pfützen wohlausgestattete Anger hin, den Schweinen und Gänsen der Bürger angenehmen Aufenthalt zu gewähren, und der Baum, der die Sümpfe liebt, die Erle gedieh in der Umgebung von Zwickau am üppigsten. Für 10,000 Thlr. hätte man ganze Straßen von Zwickau kaufen können und wer 20 bis 30 Thlr. Miethzins gab und geben konnte, mußte sich in guten Verhältnissen befinden und ganze Häuser zu seinen Wohnungs- oder Arbeitszwecken brauchen.

Und jetzt? In den günstig gelegenen Straßen drängen sich fast die Menschen in geschäftiger Eile vom frühen Morgen bis zum späten Abend und nicht einmal die Ruhe der Nacht läßt sie ganz leer werden; aus 6000 Menschen sind 16,000 geworden. Schwere Lastwagen rasseln fortwährend, zuweilen in langen, ununterbrochenen Zügen über das Pflaster, die meisten mit Steinkohlen und Coak, doch viele auch mit anderen Gütern beladen. Das Pflaster, dessen Erneuerung und Ausbesserung die möglichste Sorgfalt gewidmet wird, will doch niemals in rechten Stand kommen. Es vergeht keine halbe Stunde, in der nicht das gellende Pfeifen des Dampfwagens daran erinnert, daß Zwickau mit den Hauptlebensadern der Zeit, den Eisenbahnen, in lebhafter Verbindung steht, und nicht lange mehr wird es dauern, so werden von hier aus die Locomotiven

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_442.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)