verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
|
er wußte, wie seine Nation liebt, lebt, fühlt und denkt, bald leicht, bald ernst, mit Leichtsinn und Leidenschaft; so flossen auch die Gesänge aus seiner Brust, die von dem allgemeinen Nationalgefühl getragen wurden. Die Musik seiner Verse, die Klarheit und prägnante Einfachheit, und besonders der herrliche Refrain seiner Chansons, der oft einen großen Gedanken in einigen Worten zusammenpreßt, gruben sich fest in die Herzen der Nation.
Mit der Julirevolution brach die Begeisterung für den großen Sänger mächtig hervor. Als wollte man ihn zum Könige erwählen, so trug das Volk, arm und reich, berühmt und unberühmt, seine Büsten umher, bekränzte sie an allen Orten, in den Theatern, und fast gab es keinen Franzosen, der nicht Béranger’s Bild in seinem Zimmer hatte. Die neue Dynastie wollte den Stolz der Nation durch Ehren und Aemter gewinnen; Frankreich drängte den Chansonnier, die wohlverdienten Würden und Stellen anzunehmen, zu denen ihm mit Liebe und Verehrung alle Thore geöffnet wurden; Béranger wies den König zurück und dankte Frankreich; seine Einsamkeit barg von nun an seine Bürgergröße.
Seit der Julirevolution war Béranger in der That nur der große, ehrenvolle Charakter, jener politische Mann, der allen Huldigungen mit republikanischer Tugend widerstand und dessen Wohlthätigkeit, Einfachheit, Bescheidenheit und würdige Gesinnung jene allgemeine Verehrung der Nation erzeugte, die fast an Ehrfurcht grenzte. Er ließ die Leier, die ihm so reinen und hohen Ruhm gebracht, ruhen; seine Stimme erscholl nur selten noch zwischen den politischen Erregungen, die immer heftiger und hohler an den Thron der Julidynastie heranbrausten; arm, wie der Dichter dabei lebte, mußte das Volk allerdings in Béranger ein Ideal von Bürgertugend erkennen, die in einer Zeit, wo Alle nach Gunst, Würden und Reichthümern sich drängen, kaum noch möglich schien, ihre Existenz zu bewahren.
Fast ängstlich ging der greise Dichter jeder Ovation aus dem Wege, die ihm das Volk bereiten wollte; er, dessen Gesänge unsterblich sein werden, fühlte sich zu gering für den Ruhm und die Huldigung, zu bescheiden für den Lorbeer, mit dem die Nation ihren einzigen Dichter krönen wollte. Aber konnte es eine rührendere Huldigung geben, als wenn man den silberhaarigen Greis in einfachem, schlichtem Bürgerrock auf den Boulevards von Paris spazieren gehen sah und jeder Vorübergehende, jeder Fürst, jedes Kind, jeder Arbeiter und jedes Mädchen den freundlichen Alten ehrfurchtsvoll grüßte? Konnte es für einen Sänger des Volks einen höheren Ruhm und größere Belohnung geben, als wie ein Vater von den Arbeitern, den Grisetten und Kindern geliebt zu werden? Alle äußeren Ehrenbezeigungen verachtete Béranger; unzählige Mal hat die Regierung ihn zu locken gesucht, jedesmal ist sie geringschätzig abgewiesen worden, denn ein Charakter, wie der Béranger’s war, läßt sich nicht kaufen und das Princip, das der Chansonnier vertrat, war das der Freiheit und Unabhängigkeit. Als der jetzige Kaiser von Frankreich 1848 als Candidat der Präsidentschaft in Paris war, suchte er zweimal Béranger zu besuchen, und als er Präsident der Republik war, wiederholte er diesen Versuch: der Sänger, dessen bescheidenes Gemach für jeden Armen geöffnet war, nahm den hohen Besuch nicht an. Die Academie, nach der jedes Talent in Frankreich ringt, würde mit Stolz dem größten Dichter Frankreichs ihre Pforten geöffnet haben; aber Béranger wollte nicht das Unglück haben, Academiker zu sein, meinte, daß er für jene Herren nicht passe, und wahrscheinlich wird von dem Ruhm der Mehrzahl der 40 Unsterblichen keiner den des Liederdichters Béranger überdauern. Der, dessen Gesänge in jeder Hütte sind, hätte jede Zeile mit Gold aufgewogen erhalten können; Béranger begnügte sich, von seinem Verleger 800 Francs (240 Thlr.) Jahresrente zu nehmen, und erschöpfte sich in Dankbezeigungen, als ihm sein Buchhändler freiwillig diese Rente erhöhte. Fortune, passe ton chemin! (Glück, geh Deiner Wege!) dieser berühmte Refrain eines seiner Chansons war sein Wahlspruch, und nie hat ein Philosqph mit mehr Liebenswürdigkeit und Zufriedenheit den Geldmammon von sich gewiesen, als er. Seit 1833, wo er seine letzten Chansons herausgab, hat Béranger nichts oder doch nur sehr wenig veröffentlicht, wenn auch ein reicher Nachlaß, wir glauben unter dem Titel: „Dictionnaire des grands hommes“ vorhanden sein wird. Es war der echte Stolz eines großen Dichters, der, auf dem Gipfel des Ruhmes, seine edle Kunst nicht erniedrigen will, um Reichthümer zusammen zu scharren. Und wenn man bedenkt, wie wohlthätig Béranger trotz seines wenigen Einkommens war, wie viel er unterstützte, ohne zu fragen, wem er seine Spende gebe, wie schamhaft und naiv er es that, mit welcher durch zahllose Anekdoten bekannten Innigkeit und Schüchternheit, so erklärt sich, daß ein solcher antiker Charakter zu allen Zeiten einer der geehrtesten und geliebtesten gewesen wäre.[1] Die Nation wollte einen solchen Mann mit Gewalt in die Geschicke ihres Landes verflechten, und wählte ihn nach der Februarrevolution zum Mitgliede der Nationalversammlung. Béranger ging, um das Vertrauen zu ehren, ein einziges Mal in die Versammlung, dann nahm er, 8. Mai 1848, seine Entlassung, die ihm jedoch erst am 14. auf sein dringendstes Ansuchen gewährt wurde. Der Brief, den er damals an den Präsidenten schrieb, charakterisirt den Sänger vollständig. Er heißt:
- „Wenn irgend etwas mich mein Alter, meine Gesundheit und meine legislative Unfähigkeit vergessen machen könnte, so wäre es das Schreiben, welches Sie an mich zu richten so gefällig waren, und worin Sie mir mittheilen, daß die Nationalversammlung mein Entlassungsgesuch mit einem abschläglichen Bescheide beehrte. Meine Erwählung und diese Handlung der Volksrepräsentanten werden Gegenstand meiner ewigen Dankbarkeit sein, denn sie sind ein allzu hoher Lohn für die geringen Dienste, welche ich der Freiheit erweisen konnte; sie sind ein Zeichen, wie beneidenswerth in Zukunft die Belohnungen derer sein werden, die, mit größerem Talent begabt, unserm theuern Vaterlande wirkliche Dienste leisten werden. Glücklich, den Anlaß zu diesem ermuthigenden Beispiele gegeben zu haben, und überzeugt, Bürger Präsident, daß dies bisher meine einzige Leistung ist, bitte ich die Nationalversammlung neuerdings, mich nicht aus der Verborgenheit des Privatlebens zu ziehen. Es ist dies nicht der Wunsch eines Philosophen, noch weniger eines Gelehrten, es ist der Wunsch eines Reimers, der sich zu überleben glauben würde, wenn er inmitten der öffentlichen Geschäfte die Unabhängigkeit der Seele, das einzige Gut, das er je anstrebte, verlöre. Es ist das erste Mal, daß ich etwas von meinem Lande verlange. Die würdigen Repräsentanten werden deshalb meine nochmalige Bitte um Entlassung nicht verwerfen, und der Schwäche eines Greises vergeben, der es nicht verkennt, welcher Ehre er sich selbst beraubt.
- Passy, den 14. Mai 1848 Béranger.
Seit jener Zeit verließ der Dichter seine Einsamkeit nicht wieder.
Das wiederhergestellte Kaiserreich machte, ebenso wie die Restauration, dir Juliregierung und die Republik, Anstrengungen, mit Béranger’s Namen seine Existenz zu vergolden. Der Kaiser, der vermeinte, daß Béranger wegen seiner Gesänge, die vielfach den Ruhm Frankreichs und die Schlachten unter Napoleon I. besangen, auch ein Sänger der Napoleoniden überhaupt sein werde, ließ ihm den Orden der Ehrenlegion anbieten; aber Béranger wies eine solche Auszeichnung von der Hand.
Am 16. Juli, Nachmittags 4 Uhr 35 Minuten, starb nach langem Krankenlager Béranger in seiner Wohnung zu Paris, Vendomestraße Nr. 5., fast 77 Jahre alt. 21 Stunden später trug ihn die Polizei bereits zur Gruft. Die kaiserliche Regierung, welche den lebenden Béranger nicht gewinnen konnte, machte von ihrem Rechte Gebrauch, belegte den Todten mit Beschlag und erklärte ihn für kaiserliches Eigenthum, da das Kaiserthum der wahre Ausdruck der Nation sei. Sie machte seine Apologie, nachdem das Volk sie schon seit dreißig Jahren gemacht, und nahm sein Begräbniß in die Hand, um den unerreichten Dichterkönig für gute Prise zu erklären. Und sonderbar: so ward der Nationalpoet Frankreichs, der Dichter des Volkes und der Freiheit, von Soldaten und Polizeiagenten fast allein zur Gruft gefahren, und zwar als kaum sein Herz erkaltet war, das so hochherzig für das französische Volk geschlagen! Das Volk, Béranger’s Volk, für das er gedichtet, das stand von ferne, eingekeilt zwischen Bayonnetten und Spionen, die seinen Schmerz belauerten und durfte nicht eine Quaste seines Leichentuches küssen, nicht dem geliebten Sänger und dem besten Menschen die letzte Ehre erweisen. Als könnte die Leiche des demokratischsten Poeten, des ehrenhaftesten Bürgers, den Händen wieder entfliehen, die sich seiner bemächtigt hatten, um sie in die Erde zu scharren, so eilte die ungeheuere Truppenmasse mit dem Sarge dahin, angstvoll durch enge und abgesperrte Gassen, hinter dem Schmerz der Nation herum, bis hinauf zum Père Lachaise, auf dessen Todtenhügeln Geschütze aufgepflanzt standen, die drohend ihren Schlund auf die Menge unter sich richteten.
- ↑ Siehe Gartenlaube 1855. Nr. 2. und 1856. Nr. 31.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_432.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)