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Seite:Die Gartenlaube (1857) 430.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Eine Thür von Bronze schließt das Gewölbe, über derselben stehen die Worte aus dem Testamente von St. Helena: „Ich wünsche, daß meine Asche an den Ufern der Seine ruhe, im Schooße des französischen Volkes, das ich so sehr geliebt habe.“ Zu beiden Seiten der Pforte erheben sich die Statuen der kriegerischen und bürgerlichen Gewalt. Hierauf betritt man eine Art Vestibule, wo zur Rechten der getreue Bertrand, zur Linken Duroc ruhen, die Waffengefährten an der Seite ihres Herrn und Kriegsfürsten. Endlich gelangten wir in die Krypte selbst; sie bildet einen sechs Metres weiten Kreis. Ein Theil derselben befindet sich unter der offenen Kuppel, durch welche die goldenen Strahlen der Abendsonne drangen und mit rosiger Gluth die Riesengruft erfüllten. Rings herum zieht sich eine Gallerie, die von zwölf kolossalen Figuren gestützt wird; sie scheinen auf das Grab zu blicken. Der Sarg selbst besteht aus einem rothen, finnländischen Granitblock, der „den Mann von Granit“ umschließen soll. Noch ist derselbe nicht zur Aufnahme bereit und der riesige Deckel ruht auf einem Holzgerüst hinter dem leeren Sarkophag. Vorläufig wird die Asche des Kaisers in einer Nische aufbewahrt, bis das Werk fertig geworden ist.

In einer zweiten Nische, von einer Lampe beleuchtet und durch ein eisernes Gitter verschlossen, liegt der Degen von Austerlitz, die Krone, welche die Stadt Cherbourg dem Kaiser überreichte und die Decorationen, welche er bei seinem Leben getragen. Die Langsamkeit, mit der die Arbeit hier gefördert wird, erregte unser Erstaunen. Louis Napoleon baut, wie wir uns überzeugen konnten, mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit. Warum zögert er, die Leiche des großen Kaisers und Stifters seiner Dynastie zur Ruhe zu bringen? Auf unser Befragen erzählte uns der begleitende Officier mit geheimnißvoller Miene:

„Ich stand zufällig,“ berichtete er, „hinter einer Säule der Krypte verborgen, als der jetzige Kaiser mit seinem Onkel Jérome eintrat, um den Bau zu besichtigen. Jérome schien unwillig über das langsame Vorrücken desselben und sprach unumwunden seine Unzufriedenheit darüber aus. Der Kaiser behielt sein ruhiges, kaltes Gesicht, das Sie kennen, während der Alte sich immer mehr ereiferte. – Gesteh’ es nur, sagte dieser, daß Dir nichts daran liegt. Du willst nicht, daß Er hier bei den Invaliden liegt. Dir steckt St. Denis im Sinne; dort willst Du Dir Dein Grab bauen und Er soll auch gegen seinen Willen bei den alten Königen zu liegen kommen. – Der Kaiser schwieg, wie gewöhnlich, aber ein eigenthümliches Lächeln spielte um seine Lippen. Ich glaube wirklich, daß der Alte Recht hatte. Louis Napoleon will sich in St. Denis einmal beisetzen lassen und dahin gedenkt er auch die Asche des Kaisers zu bringen. O! er ist sehr stolz und kühn genug, um Alles umzustoßen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Deshalb wird hier so langsam gearbeitet und es wird noch mancher Tag vergehen, ehe der Sarg des Kaisers fertig wird.“

So erzählte der Officier, und auch er, ein Kind der neueren Zeit, schien sich zu ärgern, daß der jetzige Kaiser die alten Traditionen wieder auffrischen will, mit denen das revolutionäre Frankreich längst gebrochen hat. Bis jetzt ruht die Asche Napoleon’s nur provisorisch im Dome der Invaliden; sie kann noch immer keine Ruhe finden, wie der Ehrgeiz der bewunderungswürdigen Familie, die von seinem Andenken lebt.

Max Ring.




Auch ein König von Gottes Gnaden.

Am Morgen des 17. Juli v. J. bedeckte eine unermeßliche Volksmenge die Straßen und Boulevards von Paris. Diese Menschenmenge war schweigsam, stumm, tief betrübt. Ein großes, trauerndes Volk scheint seinen Vater verloren zu haben. Alle Werkstätten und Magazine sind geschlossen; Frauen und Mädchen sind in Trauer, und überall sieht man Thränen in den Augen. Hunderttausend Arbeiter in Blousen haben sich mit Immortellensträußchen geschmückt und stehen da, als hätte ein namenloser Schmerz sie sprachlos gemacht. Eine dumpfe, feierliche, majestätische Stille ruht auf der zahllosen Menge, nur der profane Ruf der Commandoworte stört diesen heiligen Sabbath. Aber neben dem Schmerz, der von den Gesichtern dieser Hunderttausende leuchtet, zuckt auch ein krampfhafter Zorn; die aufmarschirenden, kolossalen Truppenmassen, welche sich gewissermaßen mit ihren Bayonnetten in den Schmerz einer ganzen Nation hineindrängen, werden mit seltsamen, flammenden Blicken gemessen; denn sie trennen ein trostloses Volk von seinem Liebling, der zu Grabe getragen wird. Plötzlich hört man dumpfen Trommelwirbel, ein geheimnißvolles, stärker und stärker anschwellendes Rauschen: kein Athemzug der eingepferchten Menge; sie lauscht und sucht mit den von Thränen verschleierten Augen über die Bayonnette und Polizeicolonnen fortzusehen nach dem vorüberrollenden Gebein seines gestorbenen Geliebten; – es sieht nichts als Bayonnette, aber es hört das dumpfe Rasseln des Leichenwagens und den Schritt der folgenden Colonnen.

Wird hier ein großer Feldherr begraben? Ein Kaiser, ein König? – Ja, ein König wird zur Gruft gebracht, der Sängerkönig Béranger, das Herz von Frankreich!

Die Nachwelt folgt seinem Sarge und sinnt und sinnt, um etwas Anderes auf den Grabstein einzugriffeln, als was die Mitwelt seit dreißig Jahren gesprochen. Sie findet nichts, und malt in flammenden Zügen hin: „Gestorben ist der größte Dichter Frankreichs und sein größter Bürger!“ Und das Volk, das weinende Volk, la sainte canaille, tröstet sich und geht stolz an seine Arbeit; denn Béranger war ihm gehörig, ihm allein, immer und ewig, bis zu dem Tag, wo die Polizeischwärme eines Kaisers den noch warmen Leichnam mit Beschlag belegten.

Pierre Jean de Béranger sang in der That nur für das Volk, ja, er war selbst das Volk, welches seine innigsten Gefühle in unsterblichen Liedern verewigte. Seine Macht, höher als die der Könige und Soldateska, war der Gesang und das Lied, ein einfacher Chanson, bei dessen Strophen noch Kind und Kindeskinder sich entzücken werden. – Am 19. August 1780, wie uns sein Chanson „vom Schneider“ und „der Fee“ belehrt, in der Rue Montorgueil zu Paris geboren, verlebte er seine erste Kindheit bei seinem „armen und alten Großvater,“ einem Schneider, als Rest seines Adels nichts Anderes besitzend, als das fromme de. Ein echter Pariser Gamin, wie er war, fehlte er nicht beim Sturm der Bastille am 14. Juli 1789, und bis zum Tode bewahrte er das Andenken jenes Tages, die Grundsätze und Gesinnungen, durch welche damals die französische Nation jene Zwingburg der Willkür in Schutt legte; nach 40 Jahren verherrlichte er, hinter den Riegeln des Gefängnisses la Force, 1829, jenes Ereigniß, welches ihn zu einem großen Bürger schuf, vor dem später eine ganze Nation in Ehrfurcht und Verehrung sich beugte, der zu rein und groß war, um nur einen einzigen Feind und Neider haben zu können; zu bürgerlich, als daß jemals die Schmeichelei der Mächtigen ihn verlockt; zu königlich, als daß nicht alle Parteien in ihm das Ideal eines echten Franzosen gesehen hätten. Diese große Bürgereigenschaft ist die eine Seite seines Ruhmes, der Grund seiner Popularität ohne Gleichen. Sein ehrenhafter und liebenswürdiger Charakter hat stets den Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit bewahrt und nirgends mehr, denn als Dichter.

Dem jungen Béranger klang ewig der Gesang der Marseillaise in die Ohren, als ihn seine Eltern von Paris fortschickten und, vierzehn Jahr alt, einem Buchdrucker von Perronne in die Lehre gaben. Béranger hatte bisher nicht viel gelernt, kaum richtig schreiben und lesen, wohl aber verstand er sich auf Reden halten und Adressen votiren, was man zur Zeit der Revolution die Kinder als erste Bürgerpflicht lernen ließ. Als Buchdruckerlehrling vervollständigte Béranger seine Kenntnisse von der Orthographie, und kehrte mit achtzehn Jahren nach Paris zurück, besuchte die Theater und hatte namenlose Lust, Verse und Theaterstücke zu machen. Er versuchte sich in einem Drama, aber gab es, erschreckt von der Größe Molière’s, sogleich nach Vollendung dem Feuer preis; dann, begeistert von Chateaubriand, schrieb er ein Epos „Clovis“, ohne es jedoch später vor dem Schicksal der Vernichtung zu bewahren. Tu es un homme de stile, sagte sich Béranger und besang nun, da er arm war, seine Lisette, seine Liebe, und freute sich darüber, daß, wenn er einmal in der Woche mit seiner Grisette spazieren ging, er sechs Tage lang dafür bei Kohlsuppe dies Vergnügen besingen konnte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_430.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)