verschiedene: Die Gartenlaube (1857) | |
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No. 31. | 1857. |
„Der Kerl muß zu finden sein, Herr Referendarius,“ sagte der Reviercommissarius. „Heute Mittag „geben wir ihn in der Conferenz auf,“ Einer wird ihn schon kennen.“
Die Versammlung der sämmtlichen Polizeicommissarien Berlins des Mittags auf dem Polizeipräsidium hatte namentlich auch solche gegenseitige Mittheilungen zum Zweck.
Der Referendarius hatte indeß seine eigenen Gedanken.
Kurze Zeit nach der Entfernung der beiden Beamten erschien der Polizeidirector, den ein besonderer Zufall, oder war es Instinct bei ihm? fast immer in die Nähe führte, wenn in Berlin ein ungewöhnliches Verbrechen verübt war. Er war durch die Dresdner Straße gekommen, hatte daselbst von dem Raubanfalle gehört und stieg nun zu dem Herrn Ehrenreich hinauf. Dieser mußte auch ihm erzählen.
Er hatte gleichfalls seine eigenen Gedanken.
„Begreifen Sie die Geschichte, Herr Director?“ fragte der Herr Ehrenreich.
„Sehr gut und einfach, mein Herr? Was wäre Ihnen unbegreiflich daran?“
„Was? Alles. Wie zum Beispiel ist der Schlüssel zum Schranke wieder in meine Westentasche gekommen? Er war fort, als ich aufstand, das Licht anzuzünden; er war wieder da, als ich das Lichts angezündet hatte.“
„Der Dieb hat ihn, während Sie das Licht anzündeten, wieder hineingesteckt.“
„Aber warum, zu welchem Zweck?“
„Er war damals wahrscheinlich noch allein, oder, wenn auch beide Schurken drinnen waren, so scheuten sie einen Kampf mit Ihnen. Sie steckten daher den Schlüssel wieder in die Westentasche und machten sich leise und eilig wieder aus dem Staube, damit Sie, wenn Sie mit dem Lichte nachsuchten und Alles in Ordnung fanden, glauben sollten, geträumt oder sich sonst geirrt zu haben. Sie müssen gestehen, der Zweck ist erreicht.“
„Aber, ich hörte nichts.“
„Solche Bursche sind gewandt und leichtfüßig.“
„Und wo waren sie geblieben, als ich sie suchte?“
„Wieder zu dem Fenster hinaus, durch welches sie gekommen waren.“
„Hm, hm, und warum haben Sie nur meine Uhr mitgenommen und nicht auch dieses Kästchen, in dem ich mehrere tausend Thaler Gold verwahre und nach dem sie offenbar hauptsächlich gesucht haben?“
„Sie hörten einen Fall, als sie später zum zweiten Male aufwachten?“
„Ich wachte davon auf.“
„Das war die Stange, an welcher im Schranke die Kleider hingen. In der Eile, in der Dunkelheit sind die Kerle ungeschickt gewesen; sie haben die Stange heruntergerissen; nun lagen alle Kleider auf dem Kästchen, zu dem sie sich erst mühsam hindurcharbeiten mußten. Wahrscheinlich hat dies der eine Spitzbube versucht, während Sie mit dem anderen rangen. Sie wurden mit diesem eher fertig, als jener mit seinem Versuche. Er mußte dieses aufgeben, um seinem Cameraden zu Hülfe zu springen. Als man Sie niedergeschlagen hatte und Sie betäubt da lagen, klopfte die Frau Rohrdorf. Jetzt konnten sie nur noch an ihre Rettung denken und begnügten sich damit, auf der Flucht die Uhr zu ergreifen, die auf dem Tische lag.“
„Ja, ja, Herr Polizeidirector, Sie haben mir zwar noch kein Wort von der Berliner Aufklärung vorgesprochen, aber ich sehe doch, Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Nur eins klären Sie mir noch auf, wie sind die Kerls in meine Stube gekommen? Daß sie das nicht fest anliegende Fenster, das erste wie das zweite Mal, mit einem dazwischen gesteckten Messer öffnen konnten, ist mir leicht erklärlich. Aber wie kamen sie zu dem Fenster hinauf? Es liegt offen an der Straße; zwanzig Schritte davon brennen zu beiden Seiten die Gaslaternen, zwar schlecht genug, denn der Magistrat hat das Geschäft selber übernommen; hinter jedem Kellerhalse steckt ein Nachtwächter. Teufel, Herr, und Sie haben sehr vigilante Nachtwächter in Ihrem Berlin. Am Abend meiner Ankunft hier kehrte ich etwas spät in meinen Gasthof zurück. Ich hatte mir eine Cigarre angezündet und schlenderte ganz arglos durch die Straße. Auf einmal springt hinter dem ersten Kellerhalse, an dem ich vorbeikomme, ein Kerl auf mich los, schwarz wie die Nacht, das Gesicht in eine alte Sturmhaube gesteckt, einen langen Speer, um zehn Menschen daran aufzuspießen, in der Hand, einen Sarras an der Seite und im Gürtel ein Ding, wie ein ungeheurer, krummer Türkendolch. Ich springe erschrocken zurück und denke, ein Räuber will mich überfallen: ich rief: Polizei, Nachtwächter, zu Hülfe! Da erklärt mir der Mensch, der Nachtwächter sei er selbst, und er hält mir das Ding vor, das ich für den Türkendolch gehalten hatte, und zeigt mir, daß es sein Nachtwächterhorn ist, mit dem er seine „Collegen,“ nicht Cameraden, sagte der Mann in der Stadt der bureaukratischen Intelligenz, zusammenrufen werde, wenn ich nicht auf der Stelle still stehe und das Rufen aufgebe. Und
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_421.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)